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Mädchen, wünscht ihr euch alle einen großen Bruder?

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Die Jungsfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ja, ich bin mit einer kleinen Schwester gesegnet. Dieser Umstand erschien und erscheint mir als gottgegebenes Schicksal, schließlich hatte ich keinen Einfluss darauf, so wenig etwa, wie auf meine besonders schönen Daumen. Ehrlich gesagt, denke ich gar nicht so besonders oft daran, dass ich eine jüngere Schwester habe. Familienverhältnisse ändern sich, jenseits von Hollywood, ja nicht täglich, man bewahrt sie in einer sehr alten Hirnschublade auf. Ihr lieben Mädchen aber fragt mich häufig schon beim harmlosen Kennenlernen oder auf dem Partyflur nach den genaueren Umständen meiner Vergeschwisterung. (Mir fällt diese Frage übrigens fast nie ein, wie kommt ihr bloß immer so schnell darauf?). Wenn ich dann also die jüngere Schwester offenlege, erntet das ausnahmslos Entzücken, oder sagen wir, so ein wohlwollendes Strahlen und alle mit dieser Information angereicherten Mädchen finden das „ach, total schön“ und sagen „Du bist sicher ein toller großer Bruder“ und am Ende seufzen nicht wenige „Ich hätte auch gerne einen großen Bruder. Stattdessen habe ich nur neun kleine Schwestern.“ Das lasse ich alles vage lächelnd über mich ergehen, schließlich habe ich nichts gegen wohlwollendes Seufzen in meine Richtung. Aber ich frage mich doch, was das eigentlich soll. Warum seid ihr von der Großer-Bruder Konstellation so fasziniert, was berührt auch daran? Und warum hättet ihr gerne einen, was verspricht man sich gemeinhin von einem großen Bruder? Genau einen oder dürfen es auch mehr sein? Und macht es mich, hüstel, als Mann interessanter, wenn ich Eigentümer einer kleinen Schwester bin? Dann sage ich das nämlich in Zukunft öfter. Die Mädchenantwort gibt's auf der nächsten Seite!


Die Mädchenantwort:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen und sagen: Ich habe einen großen Bruder und ich bin sehr froh darüber. Ein großer Bruder ist nämlich für viele Dinge gut: Zum einen ist er vom anderen Geschlecht. Das bedeutet: normalerweise bekommen wir seltener von den Eltern zu hören, dass wir uns gefälligst an der wohlerzogeneren, netteren und überhaupt: besseren Ausgabe namens ältere Schwester orientieren sollen. Schließlich sind wir anders und unsere Eltern wissen nicht schon von vornherein, was geschlechtsspezifisch normal ist, was sie uns möglichst schnell austreiben müssen und was sich mit der Zeit schon auswächst. Außerdem haben wir eine ganze Kindheit und Jugend lang Zeit, euch zu beobachten. Wir lernen euch kennen, wundern uns manchmal über euer komisches Verhalten, zwicken euch so lange, bis ihr ernsthaft böse werdet (und merken uns auch für die Zukunft, wann dieser Punkt erreicht ist), und können ganz allgemein beobachten, was an euch noch so anders ist, außer dem Zipfel zwischen den Beinen. Ältere Brüder, vorausgesetzt, sie sind einigermaßen nett und wohlgeraten, können ihren kleinen Schwestern sehr viele wertvolle Lektionen beibringen und sie im Erwachsenenalter vor folgenschweren Fehlern bewahren. Normalerweise sorgen sie in jahrelanger Basisarbeit dafür, uns hysterische Zickenattacken auszutreiben und uns so auf ein einigermaßen gleichberechtigtes Leben vorzubereiten. Und das waren nur die Vorteile eines großen Bruders während der Kindheit. Kommen wir nun zum wichtigsten Teil des Großwerdens: der Pubertät. Weil sich Jungs normalerweise ein klein wenig langsamer entwickeln als wir, fangen unsere älteren Brüder (wenn der Altersunterschied die üblichen zwei bis drei Jahre beträgt) ungefähr zeitgleich mit uns an, sich für die richtig tollen Sachen zu interessieren. Für Partys! Für das andere Geschlecht! Und für Musik! Und wieder können wir nur profitieren. Sind wir einigermaßen d’accord miteinander, dann dürfen wir uns ungestraft an den Rock’n’Roll-Zipfel des älteren Bruders hängen, mit ihm auf Partys rennen, zeitgleich den ersten Rausch haben und vor allem: das unendlich weite Feld der männlichen Klassenkameraden des Bruders beackern. Ein Traum! Eure Freunde sind das Interessanteste, was es in dieser Zeit gibt. Und die Tatsache, dass wir über euch Zugang zu ihnen haben, macht sogar uns bei gleichaltrigen Mädchen zu begehrten Freundinnen-Exemplaren. Und wenn sich dann einer eurer Freunde auch noch für uns zu interessieren beginnt, dann sind wir tatsächlich im Pubertäts-Himmel angelangt. So lange, bis sich jener Freund als Idiot herausstellt und wir ihm die nächsten Jahre vorsichtig aus dem Weg gehen müssen, wenn er über den Flur ins Zimmer unseres Bruders schlurft. Im Übrigen ist es nie so – um mal einen hartnäckigen großer-Bruder-Mythos aus der Welt zu schaffen – dass wir unsere älteren Brüder holen können, wenn uns jemand geknufft hat oder gar ein Junge gemein zu uns war. Da versagen sie meist und sagen uns knapp, wir sollten uns selbst um unseren Mist kümmern. Und haben damit natürlich im Prinzip recht. Die schlauen Kerle wissen wahrscheinlich, dass wir da draußen auch in Zukunft alleine klar kommen müssen. Oder sie haben einfach keine Lust auf Drama. Wenn wir einen älteren Bruder kennenlernen, der noch dazu nett und gut anzusehen ist, dann wissen wir ziemlich genau, dass der uns wahrscheinlich besser verstehen wird, als ihre schwesterlosen Geschlechtsgenossen. Und das finden wir ziemlich gut. Was wir nun umgekehrt unseren älteren Brüdern bieten können, darüber können wir nur spekulieren. Vielleicht werdet ihre eure Freundinnen besser verstehen, hoffentlich werdet ihr zu uns kommen können und euren Kummer erzählen und vielleicht, hoffentlich, wenn wir dann so komplett ausgewachsen sind, können wir aufeinander stolz sein und darauf, dass wir aus dem jeweils anderen so ein ordentliches Menschenexemplar gebastelt haben. christina-waechter

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