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Die Jungsfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Liebe Mädchen, ihr werdet immer emanzipierter, immer unabhängiger. Das bringt uns Jungs beim Imponiergehabe in Schwierigkeiten. Früher war es noch leicht, euch zu beeindrucken, das wissen wir aus Schwarzweißfilmen. Damals reichte es, wenn wir eine Perlenkette kauften, euch ständig Zigaretten anboten oder zum Frühstück bei Tiffany’s ausführten. Heute tun wir uns viel schwerer: Wenn wir nach alter Gentleman-Manier darauf beharren, die Rechnung beim Italiener ganz alleine zu begleichen, wenn wir euch großzügig zu Kino, Popcorn, Cola und Apfelringen einladen, findet ihr uns nicht mehr automatisch gut. Ihr sagt dann, ihr kämt euch so altmodisch und abhängig vor. Das ist eigentlich auch gut so, schließlich finden wir Jungs euch unabhängig und emanzipiert viel besser als andersrum – und, nebenbei, es spart es uns eine Menge Geld. Komisch ist nur, dass ihr trotzdem Dinge tut, die zu modernen Powermädchen gar nicht passen. Meine Bekannte Sonja zum Beispiel. Sie studiert ein Fach, für das man ein Einser-Abi braucht und wohnt in einem Altbau in mondäner Lage. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Kellnerin in einem Nobelrestaurant. Sie ist intelligent, fleißig und finanziell unabhängig von den Eltern. Das Musterbeispiel eines emanzipierten Karrieremädchens. Außer beim Ausgehen, oder besser: beim Bezahlen beim Ausgehen. Sonja wurstelt sich immer so durchs Nachtleben, dass sie nie mehr Geld ausgibt, als der Eintritt in den Club und eine Schachtel Kippen kosten. Und das geht so: Kaum steht Sonja in der Disco alleine an der Bar und schaut kurz auf ihr Handy, schon steht ein schief grinsender, besoffener Junge neben ihr, brüllt eine beliebige Flirtfloskel in ihr Ohr und bestellt zwei Drinks. Sie lächelt, blinzelt und bedankt sich. Das unbehagliche Schweigen zwischen zwei Fremden, das so lange dauert, bis die Getränke fertig sind, überbrückt der Junge mit hoffnungsvollem Speed-Baggern. Leider stets umsonst. Ist der Drink nämlich da, wechselt Sonja noch zwei Sätze mit ihm und geht. Dieses Spiel wiederholt sie, mit wechselnden Zahlpartnern, so lange, bis sie genug getrunken und getanzt hat. Dann steigt sie ins Taxi und lässt sich für das gesparte Geld bis vor die Haustür fahren. Ich finde das nicht gut. Nicht, weil ich denke, dass Sonja immer selbst zahlen sollte. Oder weil ich finde, dass jeder spendierte Drink mit einem Zungenkuss vergolten werden muss – generell verurteile ich den Tausch von Gütern gegen weibliche Gesellschaft. Aber, Mädchen, wenn ihr euch von fremden Typen einladen lasst, die euch plump anmachen, wo bleibt da plötzlich euer Stolz? Wo euer sonst so allgegenwärtiges Streben nach Unabhängigkeit? Und, ganz am Rande, findet ihr das nicht gemein gegenüber dem armen Jungen? Irgendwie hat er doch dafür bezahlt, wenigstens für die Dauer des Trinkens eure Aufmerksamkeit zu haben. Und wie, bitteschön, sollen wir jetzt noch wissen, was ihr wollt? Seid ihr am Ende gar berechnende Opportunistinnen, immer genau so weit emanzipiert, wie es euch gerade passt? Bitte erklärt mir all das. Die Mädchenantwort

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jaja, schon klar: Alle sind wir entweder leichtfertige Schmarotzerweibchen oder unflexible Kratzbürsten! Eine kollektive kalte Schulter garniert mit einer Riesenschnute wäre jetzt schon ein bisschen angebracht, oder? Aber nein, ergreifen wir lieber diese vortreffliche Gelegenheit, mit einem Klassiker unter den Geschlechtermissverständnissen aufzuräumen. Die armen Tresenkerls. Selbst in schummrigster Clubbeleuchtung erkennen wir sie aus meilenweiter Entfernung. Jedes Mal, wenn sich ihnen ein Dekollete nähert, beginnen ihre Augen unter der Stirnspeckschwarte erwartungsvoll aufzuleuchten. Wir wissen, dass ein Gespräch mit ihnen niemals länger als eine Minute dauern kann – wir wissen aber auch, dass sie hoffen, sich mindestens zehn Minuten plus eine Knutscherei für einen Cuba Libre eintauschen zu können. Wir verstehen eigentlich nicht so ganz, warum sie sich Wochenende für Wochenende nicht eines Besseren belehren lassen. Doch der Glaube an die Kraft des Freigetränks scheint stärker zu sein als die Macht der Vernunft. In Jugendsprache nennt man solche Menschen glaube ich „Voll die Opfer.“ Wie Lämmer an der Schlachtbank lehnen sie in der Nähe der Bar – vollkommen hilflos und bereit, ausgenommen zu werden. Wie wir damit umgehen, hängt jetzt davon ab, welche Seele in unserer Brust wohnt: Die des Schlächters oder die des Jägers. Doch eines muss klar sein: Es geht hier nicht ums Geld. Sondern um die jeweilige Definition von Selbstachtung. Die metzgermäßigen Mädchen unter uns wittern ihre Beute schnell. Ein paar Blicke, ein paar nette Sätze und das kalte Mixgetränk geht auf Tresenjunge. Hier findet das Missverständnis statt: Der Spender glaubt, sich soeben sehr großzügig verhalten zu haben – und erwartet ein bisschen Dankbarkeit oder zumindest Pflichtgefühl. Da liegt der Wahrnehmungsfehler. Ein Drink ist ein Drink ist ein Drink – keine X-Box oder Perlenkette. Dafür vor Dankbarkeit zu zerfließen ist etwas viel erwartet. Vor allem, weil die meisten von uns den Unterschied zwischen willkürlicher Freigiebigkeit und echtem Interesse kennen. Wer eine wildfremde Person einfach so einlädt, wirkt ob er will oder nicht, ziemlich ergebnisorientiert und also eher unsexy. Für die Metzgermädchen ist der Fall klar: Es gibt keinen Grund, ein Freigetränk abzulehnen. Aber niemand hat hier einen Vertrag unterschrieben, dass die Dauer seines Konsums mit flachem Smalltalk zu verbringen ist. Die Jägerseele verbietet sich so ein Verhalten: Wieso sollte ein modernes Mädchen mit moderner Kaufkraft etwas von jemandem annehmen, den sie weder kennt geschweige denn mag? Lieber kauft man sich doch da sein Bier selbst. So entgeht man dem quälend-zähen Tresentalk und vermeidet das moralische Dilemma, eine unerwünschte Unterhaltung abwürgen zu müssen. Und das Jägermädchen ist froh und frei, selbstständig und unabhängig durch den Club zu streifen.. also, ihr versteht schon. Weil wir aber heute selbst in besonders großzügiger Stimmung sind, gibt es noch einen kleinen Hinweis für alle netten Jungs an der Bar: Wartet mit eurer Einladung doch das nächste Mal einfach ab, ob wir ein ganzes selbstgekauftes Bier mit euch zusammen trinken. Wenn das passiert, ist es schon ein ziemlich gutes Zeichen, dass wir euch nicht nur an die Cocktails wollen. Dann könnt ihr uns mit froher Hoffnung auf einen einladen. meredith-haaf

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