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Was ist eine Zicke?

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Die Jungsfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Unterbrecht mich bitte, wenn ich ganz falsch liege, aber mir kommt es vor, als hätte das Wort „Zicke“ ziemlich oft eine neue Deutung erfahren. Ich erkläre das mal: Anfangs, so in den Siebzigern, sagten kesse Jungs in schlappen Filmchen „Zicke“ zu ihrer Freundin, wenn die nicht gleich beim Beat-Abend am Wörthersee mit ihnen knutschen wollte. Hier also Zicke: Von Mann zu Frau. Bedeutung: das rätselhafte Wesen, wehrlos ihren biologischen Launen ergeben. Etwa in den Achtzigern wurde es dann modern, dass Buben in Kinderfilmen ältere Schwestern hatten, die voll auf Pferde abfuhren. Da war es ein Pflichtsatz, dass der kleine Benni in jeder Folge „Du alte Zicke!“ zu seiner Schwester sagte, weil die nicht mit ihm Eichhörnchen beobachten wollte, sondern lieber den feschen Reitlehrer Mark. Hier also Zicke: Freche, aber duldbare Kindersprache. Bedeutung: überspannte Nervensäge, Pupertäts-Krankheit. In den matten Neunzigern dann kam es, wohl unter dem Eindruck von Sex&The City und den Spice Girls, dazu, dass das Wort "Zickenkrieg" eingeführt wurde und mächtig oft von den Schlagzeilen der Boulevardblätter grüßte - sobald zwei Frauen einander nicht höflich grüßten. Hier also Zicke: Gesellschafts-Ausdruck für eine Diva, bzw. sogar die neue Kategorie eines Frauentyps (vgl. „Boxenluder“, „Revuegirl“). Bedeutung: Sturkopf-Dame, die klar sagt was ihr nicht passt, Machtmittel und Waffe der Frau. Nun, in unserer Zeit kommt es mir vor, als wäre vom einstigen Rolemodel „Zicke“ nur noch ein Ausdruck übrig, den sich Mädchen völlig wahllos untereinander an den Kopf werfen. Von „Ich bin heute mal zickig!“ bis „Ey, die Trish, früher war die mal cool aber jetzt finde ich die voll zickig“, geht dabei das Einsatzgebiet und besonders auffällig scheint mir, dass es dabei immer um Abgrenzung vom eigenen Geschlecht geht, also etwa: „DIE ist voll die Zicke aber ich gar nicht, ich trinke mit den Jungs Weinbrand bis zum Morgen.“ Ich wette, wenn man 100 Mädchen der achten Klasse fragt, was sie überhaupt nicht mögen, steht sehr oft das Wort „Zicken“ in der Antwort. Hier also Zicke: Eine Art Schwarzer Peter der in der Clique weitergereicht wird. Bedeutung: Ursprünglich mädchenhaft, verweichlicht und den Launen des eigenen Geschlecht zu sehr verfallen. Jungs und Männer hingegen benutzen das früher inflationär verwendete Wort „Zicke“ heute kaum noch. Aber wie seht ihr das? Was bedeutet heute „Zicke“. Und wie habt ihr die Wandlung dieses Wortes wahrgenommen? Und ist „Zicke“ tatsächlich ein Verhalten, das man sich zulegt wie eine Fremdsprache? Die Mädchenantwort liest du auf der nächsten Seite


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ha! Seit Stunden denke ich über deine Frage nach und merke, dass ich immer mehr schlechte Laune bekomme und so richtig schön in eine Stimmung verfalle, die man durchaus als „zickig“ bezeichnen könnte. Besondere Kennzeichen: kratzbürstige Abneigung gegenüber freundlichen Gesten und sozialverträglichem Verhalten. Und weißt du, warum? Weil ich diesen Begriff nicht ausstehen kann. Ein Mädchen als Zicke zu beschimpfen, ist bescheuert und ein Mädchen, das sich selbst stolz als „zickig“ bezeichnet, ist bescheuert in Potenz. In erster Linie geht es bei diesem Begriff ja darum, den anderen abzuwerten. Und zwar, indem man ihn in die Schublade „schwierig, egoistisch, humorlos und verbissen“ einordnet. In dieser Schublade befindet sich niemand gerne und deshalb versuchen die meisten Mädchen auch alles, um möglichst unzickig zu erscheinen. Und wenn sie dafür bis zum Morgengrauen Weinbrand saufen müssen, nehmen sie das gerne in Kauf, solange sie nicht abgestempelt und wegsortiert werden. Also: Zicke ist ein böses, böses, böses Schimpfwort. Andererseits. Habe ich bei diesem bösen Wort sofort ein ganzes Fotoalbum in meinem Kopf – ich weiß genau, was eine Zicke ist und was sie ausmacht. Unter anderem sind Zicken: Mädchen, die keinen Humor haben, immer in Stöckelschuhen rumdackeln und erwarten, bei einem Regenguss über die Strasse getragen zu werden, die nie lachen, es sei denn, um einen Jungen um den Finger zu wickeln, die lateinamerikanische Tänze einstudieren, sich nicht zum Affen machen können, wenn es mal angebracht wäre, andere Mädchen prinzipiell als Konkurrentin ansehen und das Leben als einen permanenten Vorwurf an sich selbst erleben. Zusammengefasst also: echte Höllenwesen, die ein Zusammenleben quasi unmöglich machen. Nun gibt es von dieser Sorte nur sehr wenige Mädchen in meinem Umfeld – zum Glück. Die meisten selbsterklärten Zicken habe ich im Fernsehen gesehen – besonders häufig in Casting-Shows. Was genau das Problem dieser Mädchen ist, habe ich bis jetzt nicht kapiert. Sie selbst verteidigen ihre unsoziale Ader mit der Ansage, dass das Leben eben kein Freibad-Besuch sei und sie sich wettbewerbsorientiert verhalten würden. Was ja in so einer Show gar nicht so dumm ist. Trotzdem kann ich kein Fünkchen Sympathie für solche Mädchen empfinden. Ich verstehe solche stolzen Zicken-Mädchen einfach nicht. Vielleicht ist es ja so: Mädchen, die nach dieser Strategie ihr Leben fahren, glauben, dass sie sonst nicht ernst genommen werden. Gleichzeitig halten sie dieses Verhalten für besonders weiblich, weil ihnen mal jemand erzählt hat, Frauen seien in erster Linie irrational und launisch (wg. Hormonen und Busen vielleicht). Was mich immer wieder erstaunt, ist, dass diese Mädchen nicht einfach links liegen gelassen werden, sondern durchaus bemerkenswerten Erfolg mit ihrer Masche haben. Woran das liegt, ist mir schleierhaft, aber irgendetwas Anziehendes werden diese Mädchen bestimmt haben. So. Und jetzt geh ich erst mal in die nächstgelegene Weinbrand-Bar und ersäufe meine schlechte Laune in Chantré. Unzickige Grüße, penni-dreyer

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