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Fernfahrer-Kolumne (X): Servus Fuchsschwanz - hallo Kairo!

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Ein letztes Mal einsteigen in den guten, grauen Bus. Vorglühen, Kassette rein, anschnallen. Los. Auf dem Weg nach Kairo noch: Die Ruhe in der Wüste genießen, ein letztes Mal mitten in der Wildnis schlafen. Beim Zwischenziel, dem Berg Mose, stehen die Touristen am Fuß des Berges Schlange. Das ist nix für uns. Der gute, graue Bus darf eine Wüstenpiste ausprobieren, wir suchen uns unseren eigenen Mosesberg. Der ist zwar kleiner, die Sonne geht aber auch dort unter und macht dabei brav den Himmel bunt. Sehr schön. Nur hat das Spatzerl ein wenig Angst vor Tretminen, die nach einem ADAC-Infoblatt irgendwo am Sinai herumliegen sollen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Liebe Reisegruppe, sehen sie rechter Hand die Pyramiden von Gizeh am Horizont, linker Hand die Moschee von Kairo und vor allem - die Mutter aller Smogs! Fotos: Patrick Desbrosses Dinge, vor denen das Spatzerl auf der Reise sonst noch Angst hatte: - Karpatenhunde - Quallen - Erstickungstod beim Schnorcheln - eventuell giftige Muschelsuppe - Meer (bei Nacht) - schlechtem Wasser - Händchenhalten und Küssen in Istanbul (laut einem Gesetz aus den Achtzigern auf der Straße verboten) - uralten Aufzügen - Gas im Bus - gemeinen Felsklettereien - Höhlen (der enge Gang) - 50 Zentimeter-Hupferl von einem Fels zum andern - Schlangen in der Wüste - Feuerfische - Straßenüberqueren in Kairo Am meisten Angst hatte sie aber beim Wildcampen. Vor Dieben, Räubern und auch Mördern. Deshalb lag immer die dicke, schwarze Taschenlampe neben ihrem Schlafsack. Um damit die Diebe, Räuber, Mörder zu hauen, bevor sie böse Sachen machen können. Also hatte auch ich Angst. Davor, die dicke, schwarze Taschenlampe über den Schädel gezogen zu bekommen, wenn ich nachts vom Pinkeln zurück ins Bettchen krabbele. Auch diese Nacht wird überlebt, weiter. Kurz vor Kairo endlich der erste Unfall: Ein Beduinen-Opa macht am Steuer seines Pick-Ups ein kleines Nickerchen. Mit geschlossenen Augen kann er den guten, grauen Bus nicht sehen und schneidet uns. Das Spatzerl bremst, es rumpelt trotzdem kräftig. Der Beduinen-Opa hat eine Delle in seinem Pick-Up, der gute, graue Bus nur ein paar Streifen Pick-Up-Farbe am Kotflügel. Also wird nach einigem Kopfschütteln auf Beduinisch „Tschüss“ gesagt und unter dem Suez-Kanal nach Afrika hinein getunnelt. Der gute, graue Bus ist trotzdem beleidigt. Als wir in das Stadtverkehrs-Chaos von Kairo eintauchen, macht er mit dem Auspuff wieder grässliche Geräusche. Egal. Wir schlängeln uns in die Innenstadt und kommen an. Der gute, graue Bus wird nach 7319 Kilometern im Parkhaus abgestellt. Hier darf er sich ein halbes Jahr ausruhen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Stau am Mittleren Ring von Kairo Fotos: Patrick Desbrosses Kairo ist, nun ja, groß. Falls es hier einen Horizont gibt: Zu sehen ist er nie, die Luft ist zu milchig. Auf dreispurigen Straßen fahren fünf Autos nebeneinander, überholen links und rechts und oben und unten. Nachts schalten sie anstatt Licht nur blinkende LED-Lampen an und hupen. Das tun sie aber auch tagsüber. Ab und zu scheppert es. Dann wird ausgestiegen, ein wenig geschrieen und gerangelt. Aber nur kurz, man wird sich doch wegen der paar Ampeln, die hier zur Dekoration aufgehängt wurden, nicht ernsthaft in die Haare kriegen. Also Klaps auf die Schulter, verdeckter Boxer in die Magengrube, und weiter geht’s.


Dazwischen hüpfen Fußgänger hin und her, den Bürgersteig blockieren fliegende Händler. Sie verkaufen BHs in obskuren Größen, Plüschherzen und garantiert echte „Rolexxxx“. Die Uhrenmarke lässt sich hervorragend den Touristen ins Ohr zischeln. Dasselbe Geräusch ersetzt aber auch dem Mann auf dem Fahrrad die Klingel, der auf seinem Kopf ein zwei Meter langes Brett mit Fladenbrot balanciert. Wenn die Polizei kommt, dann heben auch die Händler ihre Stände auf den Kopf und laufen schnell weg. Das sieht toll aus, die Polizisten haben aber kein Auge dafür. Sie halten lieber beim Schlendern nach alter arabischer Sitte Händchen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Auf den Straßen der Stadt Fotos: Patrick Desbrosses Abends, wenn man denkt, der ganze Trubel wäre mal so langsam vorbei, geht es richtig los. Die Meute brüllt, schreit, zischelt nach: Süßigkeiten! Gebäck! Tee! Wasserpfeifen! Pfeifen auch für die Kinder! Aber welche aus Plastik, die tollen Lärm machen! Irgendwann im Morgengrauen krabbeln alle zurück in ihre Wohnungen. In ururalte Häuser, Altbauten im Pariser Stil oder in Hochhauskästen. Doch dann hat schon längst die Wachablösung stattgefunden: Andere Menschen kommen. Sie wollen: Tee! Rolexxxx! Autofahren! BHs! Hupen! Lärm machen! Unsere Lieblingsbeschäftigungen in Kairo: - keine Pyramiden anschauen - in Bahnhofhallen-artigen Moscheen rumlungern und Ägyptern beim Rumlungern zuschauen - lebensnotwendige Accessoires kaufen, z.B. Telefone mit arabischen Zahlen - unsere nagelneuen Backgammon-Bretter bespielen - Feuerwehrautos zusehen, die mit Blaulicht und Sirene im Verkehrsbrei feststecken - Koffer packen - antike Taxis bewundern - abends zusehen, wie die Sonne romantisch im Smog versinkt - zum Essen eingeladen werden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Fastenbrechen nach dem Ramadan: Hier kurz vor dem Anpfiff.... Fotos: Patrick Desbrosses Das ist ganz einfach: Wenn an Ramadan abends das Fasten gebrochen wird, stellen die Leute Tische auf die Straße. Jeder, der nicht schnell genug wegläuft, wird eingefangen und muss mitessen. Schüsseln mit Reis, obendrauf ein Stück Fleisch, zugedeckt mit Fladenbrot. Dazu: Säfte, pappsüß. Da muss man sich gleich mit Cola den Zucker aus den Zähnen spülen. Das alles darf man zuerst aber nur anschauen, nicht anlangen. Gemeinsam wird auf das Startsignal gewartet. Das ertönt, wenn irgendwo in Saudi-Arabien die Sonne untergegangen ist. Dann: Löffel in die Hand und… …exakt 120 Sekunden, nach dem der Imam der nächstgelegenen Moschee so etwas ähnliches wie „O´zapft is!“ durch die Lautsprecher gebrüllt hat, ist der Spaß vorbei. Und wir starren staunend – im offenen Mund noch den ersten Löffel Reis – auf die leer gegessene Tafel, an der wir noch als einzige sitzen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

... und hier 180 Sekunden später (mit Rolexxxxx gestoppt!) Fotos: Patrick Desbrosses Zu guter Letzt: Abschied nehmen. Tschüß gesagt wird: - zum guten, grauen Bus. Der macht jetzt Winterschlaf. - zum Fuchs. Der Schlüsselbund mit dem Busschlüssel. Kurzwort für den Fuchsschwanz, den Schlüsselanhänger. - zu der Katze. Etymologisch nicht nachvollziehbarer Name für den geheimen Geheimgeldbeutel, der die ersten zwei Wochen ausschließlich unter der untersten Kleidungsschicht versteckt getragen wurde, danach ganz oben im Deckelfach des Rucksacks. - zum allabendlichen Kofferraumklappe auf – Stühle raus, Tisch raus, Koffer raus – Krimskrams raus – alles im Fahrerhäuschen aufstapeln – Dieselkanister unters Auto – Nackenstützen ab – Gurte in die Rückbank stopfen – Rückbank umklappen – Laken drauf. Ab jetzt gibt’s wieder Betten. - zum Vagabundenleben - zu einander. Nach acht Wochen in elf verschiedenen Ländern müssen Spatzerl und Foto-Patrick nach Hause, fleißig studieren. Ich bleibe ein halbes Jahr hier in Kairo, Arabisch lernen. Natürlich auch fleißig. Dazu geht’s nachts mit dem Taxi raus zum Flughafen. Dort ist die Sicherheitskontrolle vor den Eincheck-Schalter, also ganz an den Eingang verschoben worden. Ich darf nicht mit rein, wir müssen uns hier verabschieden. Mit Foto-Patrick geht das gut, der kriegt bloß ein Bussi auf die Backe. Ziemlich doof aber, sich hier vom Spatzerl zu verabschieden: Nirgends ein Platz, an dem man in Ruhe knutschen könnte. Überall guckende Ägypter. Nachdem wir das Knutschen in halbdunklen Ecken dennoch versucht haben, stellen sich Foto-Patrick und Spatzerl bei der Sicherheitskontrolle an. Ein kleines Mädchen, dessen Papi wie ich in Kairo bleiben muss, gibt sich neben uns Mühe, die Abschiedsdramatik zu steigern: Es heult, was die Lunge hergibt. Das Spatzerl macht ein bisschen mit. Dann aber setzt sie ihr tapferes Gesicht auf, bei dem das Kinn immer ein wenig zuckt, und verschwindet hinter der Röntgenmaschine. Aus der Ferne sehe ich Foto-Patrick und das Spatzerl ein letztes Mal am Check-In. Sie haben 16 Kilo Übergepäck. Im Feilschen geübt, schrauben sie die Strafgebühr auf Null herunter. Ich bin zu traurig zum Feilschen. Und fahre mit dem Taxi für den vollen Touristenpreis zurück in das Hotel. ENDE Alle Folgen der sehr feinen Fernfahrer-Kolumne kannst du hier nachlesen

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