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Von Köln nach Kairo: Die Fernfahrer-Kolumne Teil 2

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Das Schwierigste am Verreisen ist das Losfahren. Abfahrt für Mittwoch geplant, doch die Pässe liegen immer noch bei der syrischen Botschaft. Da liegen sie schon lange. Aber genau einen Tag, nachdem eine neue Gebührenordnung in Kraft getreten ist, kommt ein Anruf: Bitte noch einmal Nachzahlen. Na gut, Abfahrt auf Donnerstag verschoben. Donnerstag: Wenigstens ein Pass da. Freitag: Zwei Pässe da, einer mit einem falschen Visum. Mit dem kann man nach Syrien hinein , aber dort nur drei Tage bleiben. Samstag: Ali, der Briefträger, wird um halb acht in der Früh im Postamt genötigt, das Einschreiben mit dem dritten Pass sofort rauszurücken. Macht er auch brav, aber in Pass drei ist auch das falsche Visum drin. Egal. Das muss unterwegs irgendwie geregelt werden. Los geht’s. An sich aber gar nicht schlecht, diese Verzögerungen. Genug Zeit, die To-Do-Listen abzuarbeiten. Sehr, sehr kleiner Auszug: - vom Schreiner-Bruder ein Regal zimmern lassen, in den Bus einbauen - Rückbank für den Bus kaufen - die Damen wollen Sicherheitsgurte. Hat die Bank nicht. Also: zurückbringen, neue kaufen - neue Rückbank einbauen - dafür: Löcher in den Bus bohren, Sachen wegflexen. Boah, ey! - der Sparkatze eine Kreditkarte abschwätzen - Kassetten machen - in Köln ausziehen - Freunde, Verwandte und Bekannte beruhigen und Verabschieden (20 mal) - unter Protest den Strassen-Bürokraten vom ADAC beitreten - Keilriemen wechseln lassen - vorsorglich noch mal betrinken (Islamische Länder!) - Lederhose mitnehmen? - von Papi eine Reiseapotheke mit abgelaufenen Medikamenten zusammenstellen lassen - Impfen (und danach dem Spatzerl die blauen Flecken streicheln) - TAN-Nummern im Internetz verstecken - Sachen packen - Testament schreiben - sofort wieder zerreißen, diesem theatralischen Mist - Baumarkt: Dieselkanister, Moskitonetz, Wasserkanister - Kolumne schreiben - Neue Reifen - Kolumne wirklich schreiben! Zwischen drin noch: Geburtstag feiern. Ich kriege nix, dafür bekommt der gute, graue Bus: Eine stinkende Südstaatenflagge für den Rückspiegel, einen Wackeldackel, einen Mini-Maßkrug für den Rückspiegel, ein Mini-60er-Trikot. Mit all diesem Zeug im Bus und einem gesunden Kater in Kopf und Bauch geht es dann endlich los. Erst durch ganz Österreich, was ein bisschen langweilig ist, weil es dort nur regnetregnetregnet. Hinter Wien jedoch große Freude: Die erste Wette ist gewonnen. Böse Menschen haben dem Bus nicht zugetraut, weiter zu kommen. Kommt er doch.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dicke Luft in Bratislava Und zwar am ersten Tag bis: Bratislava. Das hat keine Betten für uns frei und gibt uns außer Chips und Schnaps nichts zum Essen. Ist ansonsten aber sehr gut zu uns. Die Pissoirs sind immer noch von „Ideal Standard“, auch ansonsten gestaltet sich die Markenwelt sehr gewohnt: Hornbach, Obi, Lidl, Aldi, Siemens, T-mobile. Toller Club in einem ehemaligen Atombunker. Die dicken Motorrad-Rocker-Türsteher vergeben erst Stempel gegen kein Geld beim Reingehen und schlafen beim Rausgehen friedlich in der Ecke. Wir später zu viert im Bus. Lecker Luft. Am nächsten Tag: Ungarn. Der Reiseführer sagt: „Ungarn hat eine der höchsten Selbstmordraten der Welt: 60,1 von 100.000 Einwohnern. Psychologen raetseln immer noch über die Ursachen. Manche mutmaßen, der Hang der Ungarn zum Düsteren führe unweigerlich häufiger zu Verzweiflungstaten. Rund 60 Prozent der Selbstmörder wählen den Tod durch Erhängen“. Wow. Im ersten Ort, in dem wir halten, muss das noch extremer sein. Himmel und Häuser sehr grau, kein einziger Mensch auf der Straße. Dabei scheint der Ort zu florieren: Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche österreichischen Gebisse zu sanieren. Zahnarzt neben Zahnarzt neben Dentallabor neben Optiker neben Zahnarzt. Mit dem hier verdienten Geld bauen sich die Zahnärzte Häuschen auf dem Land, die alle irgendwie ein bisschen nach Disneyland aussehen. Nur, dass sie komplett in der falschen Landschaft stehen. Besser schnell weiter. In einen Ort, der Tata heisst und in dem es noch schlimmer regnet als in Österreich. Dafür gibt es was zu Essen, naemlich: 16 dKg "Hühnerleber reichlich", 50 mal 10g gegrillten Zander mit Salzkruste, die man nicht mitessen soll, was wir aber nicht wissen. 500 ml Fischsuppe mit Wallerfilet, 25 dKg "Schweinerippe mit Wurstfülle und Rührei mit Zweibeln und Schrott." Tier in Tier zu füllen ist eine Spezialität der Ungarn, weiß der Reiseführer. Danach besser keine 17 dKg "Klauen gebraten", sondern lieber "7 g Kaffe" mit Milch (5 g).

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der salzige Zander Am nächsten Tag stellt uns Budapest vor eine schwierige Aufgabe, die wir langfristig mal lösen sollten: Wie reist man als Tourist umher, ohne zu sehr Tourist zu sein? Ohne sich ständig hinter japanisch-italienisch-österreichisch-deutschen Horden herzuschieben? Erste Idee: Nette Einheimische ansprechen und kennen lernen, sich von ihnen die Stadt erklären lassen. Die ersten Einheimischen sind Franzosen. Mist. Um nachzudenken legen wir uns in den "Városliget". Den nennt der Reiseführer "die grüne Lunge von Pest", der alte Scherzkeks. moritz-baumstieger

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