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Juli Zeh: "Ich habe das Preußen-Gen"

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In Stellenanzeigen wird von Bewerbern einiges verlangt: Teamfähig sollen sie sein, flexibel und zuverlässig. Doch wie wichtig sind Schlüsselqualifikationen im Job wirklich? Wir fragen bekannte Persönlichkeiten. Folge 19: Juli Zeh über Zuverlässigkeit. jetzt.de: Nachdem ein Schriftsteller den ersten Erfolgsroman veröffentlicht hat, fordert der Verlag möglichst schnell und zuverlässig ein Nachfolgewerk, das mindestens genauso gut sein soll. Ist die oft beschriebene, hemmende Panik des Autors vor der Deadline nur ein Klischee oder die Wahrheit? Juli Zeh: Das ist nicht mal ein Klischee, sondern einfach nur Schwachsinn. Es kommt zwar vor, dass man sich selbst unter Druck setzt, aber ich kenne keinen Verlag, der solche allgemeinen Fristen setzt. Das ist ein Mythos. Die Verlage, für die ich schreibe, wissen, dass man Kunst nicht erzwingen kann. Irgendwelche Fristen muss es doch geben. Natürlich muss auch der Verlag planen, aber er übt keinen erpresserischen Druck aus. Es ist eher so, dass man selbst einen groben Zeitplan vorschlägt. Da heißt es dann: Wenn es gut läuft, bin ich möglicherweise nächstes Jahr im Sommer fertig. Kann eine selbst gesetzte Deadline nicht auch Angst machen? Je näher die Deadline rückt, desto stärker wird in mir das Gefühl, dass alles grauenhaft ist und komplett neu geschrieben werden muss. Dann muss man mir das Manuskript schon aus der Hand reißen, damit ich endlich loslasse. Wie früher an der Uni, oder? Es ist vom Grundsatz her nicht unähnlich, ja. Trotzdem gibt es Unterschiede. Ich habe im Studium zwar massenweise Diplom- und Hausarbeiten geschrieben, aber die waren mir nie so wichtig wie ein Roman. Bei den Hausarbeiten kommt irgendwann die Abgabefrist, man versucht den Text kurzfristig noch mit Kosmetik rund zu machen und betet dann, dass es geklappt hat. Das ist bei einem Roman natürlich viel schwieriger, weil es nicht darum geht, Punkte zu kriegen. Ein Roman muss einfach gut sein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Schriftstellerin Juli Zeh, 35, hat Rechtswissenschaften in Passau, Krakau, New York und Leipzig studiert und absolvierte gleichzeitig ein Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Auf ihren erfolgreichen Debütroman "Adler und Engel", der im Jahr 2001 erschien, folgten weitere Romane und literarische Projekte. Seit einigen Jahren unterstützt sie aktiv die SPD, zuletzt erschien die CD "Corpus delicti – Eine Schallnovelle", die Juli Zeh zusammen mit der Band Slut aufgenommen hat. Wenn man sich deine Vita so ansieht, hat es den Anschein, dass du deine Aufgaben immer zuverlässig erledigt hast. Zuverlässig schon, aber immer auf den letzten Drücker. Warum ist es eigentlich häufig so, dass man konzentrierter, besser und schneller arbeitet, je größer der Zeitdruck wird? Das muss wohl eine menschliche Eigenschaft sein, die man vielleicht sogar chemisch begründen kann. Wenn man unter Zeitdruck gerät, setzt eine Aufgeregtheit ein, man schwitzt und man fühlt sich nicht wirklich gut - aber dieses Gefühl treibt an. Es ist ähnlich wie bei den Tieren: Die laufen auch erst dann wirklich schnell, wenn der Wolf hinter ihnen her ist. Wie gehst du mit Zeit- und Erwartungsdruck um? Die Ansprüche, die ich an mich selbst habe, sind dermaßen übertrieben und größenwahnsinnig, dass mich Druck von außen eher kalt lässt. Aber ein paar Strategien habe ich schon: Ich lese zum Beispiel keine Rezensionen, wenn mir vorher schon jemand gesagt hat, dass sie fies sind. Denn wenn man lange vor sich hin gearbeitet hat und hofft, dass das Resultat der Menschheit gefällt, kann sich bei schlechter Kritik schnell ein depressives Gefühl der Sinnlosigkeit einstellen. Dann beginnt die berühmte Schreibblockade, die auch pathologisch werden kann. Hast du eine eigene Definition von Zuverlässigkeit? Mir ist Zuverlässigkeit im Sinne preußischer Tugend unglaublich wichtig. Meine Definition von Zuverlässigkeit ist einfach: Wenn ich mich mit Leuten verabrede oder etwas verspreche, dann halte ich mich daran. Da bin ich übertrieben sorgfältig, ich habe sozusagen das Preußen-Gen. Allerdings würde ich den Begriff der Zuverlässigkeit niemals auf Kunst oder Kreativität übertragen. Trotzdem denkt man doch beim Schreiben automatisch darüber nach, wie die eigene Kreativität beim Leser ankommt, oder? Wenn ich diese Gedanken nicht ausblenden würde, müsste ich sofort aufhören. Früher musste ich richtige Selbstbetrugstechniken anwenden, um das Schreiben nicht als Dienstleistung zu begreifen. Wie hat dieser Selbstbetrug ausgesehen? Ich habe Jura studiert und konnte diese Ausbildung nutzen, um mir einzureden, dass ich nicht in erster Linie Schriftstellerin bin und das Schreiben nur als Hobby neben dem Studium mache. Ich habe mir quasi ein Iglu gebaut, um den Druck fernzuhalten. Das hat ganz gut geklappt, aber wenn der Text erstmal hundert Seiten hat und klar wird, dass der entstehende Roman tatsächlich veröffentlicht wird, dann wird es schwierig, sich das einzureden. Du gehst also völlig unstrategisch an ein neues Buch heran? Ja, denn alles andere wäre für mich ein Hemmnis. Für meinen Roman "Schilf" hatte ich vorher tatsächlich mal einen Plan gemacht, eine Art Gliederung. Ich habe darin den Verlauf der Handlung und sogar eine erste Kapitelanordnung festgelegt. Damit habe ich mir selbst so viel Erwartungsdruck gemacht, dass ich in eine Schreibkrise geraten bin, wie ich sie noch nie hatte. Heißt Zuverlässigkeit für dich, immer und überall erreichbar zu sein, jede E-Mail zu beantworten und jeden Anruf anzunehmen? Nein, ich kann schon mal ein paar Tage ohne E-Mails und Telefon leben, ich bin da kein Junkie. Außerdem habe ich zuhause gar keinen Handyempfang. Aber wenn ich dann sehe, dass Anrufe auf der Mailbox oder Mails im Postfach sind, versuche ich das so schnell wie möglich zu erledigen, damit ich es nicht ständig im Hinterkopf habe. Ich versuche eben zu vermeiden, dass sich viele E-Mails ansammeln, die ich dann auf einmal beantworten muss. Wenn die Dinge erst anschwellen, fühle ich mich bedroht. Wenn in Stellenanzeigen ein zuverlässiger Bewerber gefordert wird, klingt das oft so, als solle er vor allem gehorsam sein und alle Anweisungen widerspruchslos befolgen. Stimmst du zu? Ich würde das nicht so zynisch sehen, sondern glaube, dass Zuverlässigkeit hier im guten Sinne des Wortes gemeint ist. Kein Arbeitgeber hat Interesse daran, dass jemand nur Anweisungen erfüllt. Jeder Vorgesetzte möchte doch entlastet werden und braucht dafür jemanden, der eigenverantwortlich arbeitet. Du unterstützt auch in diesem Jahr wieder den Wahlkampf der SPD. Da drängt sich natürlich eine Frage nach der Zuverlässigkeit der Sozialdemokraten auf: Kann sich der Wähler auf die SPD verlassen? Ich finde, dass eine Partei ebenso wenig zuverlässig sein kann wie das Wetter. Denn eine Partei ist ja ein enorm multikomplexes Gebilde aus vielen Personen. Man könnte höchstens nach der Zuverlässigkeit einzelner Parteimitglieder fragen. Na gut: Kann ich mich auf Frank-Walter Steinmeier verlassen? Wer glaubt, dass Wahlversprechen - auch die eines Kanzlerkandidaten - eingehalten werden, der ist naiv. Man muss als Wähler durch die Oberfläche des Wahlkampfs blicken. Es gibt also keine Zuverlässigkeit in der Politik? Es gibt zumindest den Superpolitiker nicht, der alle Wahlversprechen hält. Ich habe damals mit Gerhard Schröder und auch jetzt wieder mit SPD-Politikern über dieses Thema gesprochen. Ich habe ihnen vorgeschlagen, doch mal die Wahrheit zu sagen. Sozusagen Ehrlichkeit als Alleinstellungsmerkmal gegenüber allen anderen Politikern. Es kann doch sein, dass die Leute einen Politiker genau deshalb gut finden, weil er der einzige ist, der die Wahrheit sagt. Interessanter Gedanke. Was haben die Politiker dazu gesagt? Dass es nicht möglich sei. Wenn man immer ehrlich sei, lasse der Wähler einen Politiker erst recht fallen wie eine heiße Kartoffel, das haben sie gesagt. Und dass es der Medienbetrieb so verlange, sonst heißt es: Wenn du nichts großartiges versprichst, bist du ein fauler Sack, hast keine Muckis und willst nichts ändern. Hast du nicht Verständnis dafür, dass die Wähler frustriert sind und sich nach mehr Zuverlässigkeit in der Politik sehnen? Ich persönlich spüre keinen Frust und verstehe auch die Leute nicht, die frustriert sind. Viele erwarten im Wahlkampf eine Art Krieg der Sterne, ein Gut gegen Böse, wie das bei Obama der Fall war. Aber so ist es nun mal nicht. Im Gegenteil: Die große Koalition ist langweilig und bestimmt kein Krieg der Sterne, aber wenn man die Politik nur unter diesem Unterhaltungsaspekt sieht, dann ist das ein großes Missverständnis. Wer frustriert zuhause sitzt und wartet, dass etwas passiert, ist selbst schuld. Denn jeder kann mitmachen. Und wenn es wirklich einen Grund dazu gäbe, dann würden die Leute auch mitmachen. Diese Art von Frust ist ein Dekadenzphänomen. Die obligatorische Frage am Ende: Welche Schlüsselqualifikation ist nötig, um im Job erfolgreich zu sein? Keine, denn man wird nur dann Erfolg haben, wenn man tut, was man wirklich tun will. Das ist zwar eine Binsenwahrheit, gerät aber bei den heutigen Schülern und Studenten in Vergessenheit. Stattdessen überlegen sie, ob sie ihren Beruf zyklisch oder antizyklisch wählen sollen. Aber, ich denke, wer keine Freude an seinem Beruf hat, wird immer nur Durchschnitt sein. *** Alle bisher veröffentlichten Folgen der Jobkolumne findest du hier.

Text: andreas-glas - Foto: dpa

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