Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Die jetzt.de-Kettengeschichte, Teil 28

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Was bisher geschah: Anna jobbt an der Tankstelle und haut mitten in der Nachtschicht ab - zum Mensch-ärgere-dich-nicht-Turnier, bei dem ihr Schwarm Gerwin Gewinner antritt. Dort sperren Gerwin und die alte Liesel Maier Anna auf einem Dachboden ein. Annas Chef Paul, der sie retten will, kennt die Entführer schon aus seiner Zeit als illegaler Kunsthändler. Die drei haben Kunstwerke gestohlen, die magische Kräfte haben. 

In einer Parallelrealität hat Anna inzwischen einen Roman namens "Nachtschicht" gelesen und wurde in die Geschichte hineingesogen. Ihre Freundin Rana gerät in die Fänge der Entführer, Ranas Freundin Bernhard wird ermordet. Anna und Paul flüchten in die Tankstelle, werden von einer Zombie-Armee bedroht und von einem fliegenden Einhorn gerettet...

...und Anna erwacht in einer Redaktion als Autorin einer Kolumne namens "Nachtschicht", wird aber wegen Schlafens während der Arbeitszeit gefeuert. Als sie traurig vor dem Redaktionsgebäude sitzt, tauchen ein geheimnisvoller Fremder im grauen Sakko und Gerwin auf. Gerwin nun allerdings als Kapitän eines Raumschiffs. Das ist natürlich alles sehr verwirrend und Anna geht mit Lavendelduft in der Nase ohnmächtig zu Boden...

Alle vorigen Teile der Kettengeschichte kannst du hier nachlesen. Und hier kommt Teil 28 von jetzt-Userin Golem.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


L A V E N D E L D U F T...ein Hauch davon,
der genügt,
sie in eine verwunschene Zeit zu...
...zu locken, zu ziehen, zu entführen ...?  

"Gute Erinnerungen sind der Beginn eines rückwärtsgewandten Engelsfluges", hat 'mal jemand zu ihr gesagt. Anna weiß nicht mehr, wer das war, aber sie ärgert sich, dass sie ihn hat laufen lassen. "Was bisher geschah" findet sie jedenfalls "abgestanden" und "flach". Anna nimmt den Mund gerne voll. Vor allem dann, wenn sie sich in entsprechender Gesellschaft weiß. In einer, die auf Intelligenz und Kreativität steht. In der Nacht Dienst in einer Tankstelle tun..., mit Hopperlicht und so.  Mal die sehen, die im Dunkeln stehen. Am Tag an der Filmhochschule. Dem lichten Bau, aus dem die Talente kriechen. Dazu noch dies und das und fertig.

Anna ist fertig. Dass sie die ziellos mäandernde Geschichte völlig daneben findet,  dass sie "Gerwin", "Paul", "Liesl" als Namen ohne Fleisch anwidern, hat ebenfalls - nicht ausschließlich, aber eben doch zum großen Teil - damit zu tun, dass Anna den Mund gerne voll nimmt. Anna nimmt den Mund gerne voll und von Anfang an war ihr Mund voll des abstoßenden Geruchs nach Benzin und  glycerin­schwerem Wasser. Nach diesem Geruch schmeckte alles. Alles, was daher kam, ob Mensch oder Wort oder beides.

Mit dem Lavendelduft ist das anders. Er ist sozusagen Annas Rettung, an die sie nicht mehr geglaubt hat. Das expressionistische Licht am Ende des Tunnels.

Mit Engelsflügeln ausgerüstet landet Anna in der blau-weißen, sonnenblumwarmen Küche ihrer Urgroßtante M.

Annas Urgroßtante M. ist, was man eine überzeugte, ziel- und geschmackssichere, biografieschwere, vogelleichte Dame nennt, die allerdings rein gar nichts übrig hat für späte Anstecknadeln oder vor sich hinklimpernde Verdienstorden. Weshalb sie diese in der dunklen Nachttischschublade verschwinden lässt, wo sie liegen, verkeilt ineinander und umgeben von...

...Lavendelduft, der sich breit macht. Er kriecht durch alles. Durch Bretter und Ritzen. An jedes Staubkorn hängt er sich, durchzieht jedes Leinen, auch das Tuch, das sorgfältig gefaltet unten liegt, im unteren Teil des Nachtschränkchens. Anna holt es sich, damit sie nie  vergisst, welchen Wert das Leben hat. Dann kehrt sie zurück zum Tisch, setzt sich auf den Binsenstuhl, von dem die Urgroßtante behauptet, schon van Gogh habe sich auf dem - "und zwar kniend!" - niedergelassen, um um sie zu werben. Die Urgroßtante verehrt die Kunst. Sie liebt die Sonne und ist losgezogen, bis sie beides gefunden hat. Anna rückt näher. Unter der Hand der Urgroßtante entstehen auf einem schwerweißen, rauen Blatt, entlang der Spitze des Bleistifts Bilder.

Man kann, man muss Annas Urgroßtante mit Namen M. eine verlorene, eine übersehene, eine in aller Heimlichkeit arbeitende 98-jährige Comiczeichnerin nennen.

Uff.

Anna erschrickt. Auf dem Blatt landet leicht kratzend ein Raumschiff. Die Urgroßtante greift nach ihrer blauschweren Tasse, nimmt einen Schluck kalten Kaffees, denkt nach. Während Anna betet. "Rette mich!", betet Anna. "Rette mich!" Aus dem Raumschiff steigen Außerirdische.

Uff.

Über den unförmigen Köpfen der Außerirdischen schweben verbeulte Sprechblasen bis zum Rand gefüllt mit rätselhaften, herumwirbelnden Zeichen.

Ohne Frage. Diese Wesen vom anderen Stern sind wütend. Sehr wütend. Quasseln ohne Unterlass. Die Urgroßtante spitzt ihren Stift. Dann betritt ein Mädchen das Papier mit dicker Brille und kurzem, karierten Rock, fragt: "Warum?" Schickt seine Sprechblasen unentwegt auf Reisen und fragt "warum?". "Warum, warum, warum?". Bis die Außerirdischen entnervt abdrehen, in ihr Raumschiff steigen und wegzischen.

Uff.

Anna lehnt sich zurück. Sie küsst ihre Urgroßtante auf die harte Stirn und weiß, dass sie die nächste, übernächste, überübernächste...Geschichte durchstehen wird. Von irgendwoher hört sie Geknatter.  Maschinengewehre. Was sonst? Anna macht sich auf den Weg, winkt mit dem duftenden Tuch, während man wahrscheinlich auf sie schießt.

Du willst wissen, wie es weitergeht? Teil 29 der Kettengeschichte erscheint am 6. November.

Text: jetzt-redaktion - Illustration: Yinfinity

  • teilen
  • schließen