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Kinderlieder neu gehört: "Geschwisterliebe" von den Ärzten

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Heute: Geschwisterliebe Darum geht’s: Die Geschwisterliebe ist ein klassisches Soap-Opera-Motiv: Julia und Julian erblicken als siamesische Zwillinge das Licht der Welt. Bei der Geburt werden sie zunächst durch einen medizinischen Jahrhunderteingriff voneinander getrennt – dann schlägt jäh das Schicksal zu und trennt sie auch im Leben voneinander (wie und warum weiß keiner so genau, hat irgendwas mit der Mafia zu tun). Im Alter der aufknospenden und wuchernden Sexualität lernen die beiden sich dann durch eine Schicksalsfügung kennen (warum weiß keiner so genau, hat was mit der Mafia zu tun). Ohne zu wissen, dass sie Geschwister sind, entdecken sie ihre gegenseitige Seelenverwandtschaft. In der Blüte ihres jungen Lebens finden sie die Blüten des anderen besonders attraktiv – und es drängt sie zu gegenseitiger Bestäubung (warum weiß keiner so genau, hat was mit schlechten Drehbuchschreibern zu tun).

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In dem Lied „Geschwisterliebe“ von der Band Die Ärzte geht es genau darum. Nur dass die Ärzte auf allerlei Schnickschnack wie den medizinischen Jahrhunderteingriff, die geheimnisvolle Trennung, die Mafia und die Drehbuchschreiber verzichtet haben. Deshalb ist die Geschichte der Geschwisterliebe in diesem Fall ein wenig schlichter: Bruder möchte unbedingt Schwester flachlegen. Punkt. Warum wir dieses Lied gesungen haben: Ganz unten im Kassettenregal unseres großen Bruders fanden wir diese kopierte Kassette, auf deren Etikett ganz dünn mit Bleistift „Ab 18 – Auf dem Index“ geschrieben stand. Da wir 14 waren, wollten wir alles hören, was ab 18 war. Also ließen wir die Kassette mitgehen und lauschten den Klängen der Musik heimlich auf dem Walkman in unserem Zimmer. So lernten wir das Verbotene kennen: die alten Klassiker der Ärzte. Die Geschichten von Claudia und ihrem Hund, von Bademeister Paule und von den Trieben der Geschwisterliebe. Toll, Themen unter der Gürtellinie! Wunderbar, viele böse Worte! Großartig, unerlaubte Gedanken! Diese Kassette mussten wir unbedingt unseren Freunden vorspielen. Diese Kassette mussten wir unbedingt beim Zelten am Stadtrand auf unserem tragbaren Rekorder mit ihnen anhören. Volle Lautstärke aufgedreht und dann mitgrölen: „Du bist so eng, das macht mich geil – und morgen nehme ich dein Hinterteil.“ Und dann ein bisschen leiser: „Noch Stunden später bist Du sehr erregt: ich hab Dich schießlich gerade flachgelegt.“ Einen Ton haben wir dabei nicht getroffen. Dafür hatten wir eine Dose Hansa-Pils in der Hand. Mein Gott, waren wir cool! Heute wissen wir: Mein Gott, waren wir peinlich! Bis wir das erste Mal jemanden flachgelegt haben, hat es noch Jahre gedauert. Genau genommen wurden wir beim ersten Mal flachgelegt. Darüber waren wir froh, weil wir eh nicht so genau wussten, was da wie laufen soll. Halbwegs nachvollziehbar ist, dass pubertierende Jungs ein Flachleg-Lied mitgrölen. Völlig unverständlich ist, wie sie dabei den Geschwister-Aspekt so gut verdrängen können. Die von uns, die Geschwister hatten, stritten häufig mit ihnen und konnten sich zeitweise noch nicht mal einen festen Händedruck vorstellen. Oder ein Schulterklopfen. Nicht jedes Bier, bei dem das Preis-Leistungsverhältnis stimmt, ist trinkbar. Die Mafia ist nicht an allem Schuld. Die Ärzte sind heute beliebt beim Finanzamt und bei ausgewählten Banken, weil es ihnen gelungen ist, ihre Pubertät bis weit ins Erwachsenenalter zu verlängern. Text, der genauso gut zur Melodie passt: Das Lied von der wahren und wartenden Liebe: Wir haben zusammen im Sandkasten gesessen. Beim Doktorspielen wollt’ ich nur dein Fieber messen. Jetzt bist du 18 – und es ist so weit. Wir warten keine Ewigkeit. Was deine Eltern auch sagen, ich werd’ dich zum Altar tragen. Ich hoffe, dass du viele Kinder kriegst, weil das doch schließlich gute Sitte ist. Nun sind wir zum Pfarrer gefahren. Auf diesen Jubeltag warte ich seit vielen Jahren. Meine Liebe ist so rein und wahr. Ich trag’ dich gleich zum Altar. Der große Augenblick ist da. Der Pfarrer fragt dich, du schreist: „Jaaaaaaaaaa!“ Dein Kleid ist weiß, das macht mich heiß. Überall an mir klebt: Schweiß, Schweiß, Schweiß. Denn jetzt hab ich seinen Segen: und kann dich endlich, endlich flachlegen. Das befriedigt meine Triebe, Trauschein und Liebe, Trauschein und Liebe. Das befriedigt meine Triebe, Trauschein und Liebe, Trauschein und Liebe.

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