Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Wir schämen uns für unsere Generation"

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Im Kopenhagener Stadthafen liegt Schnee auf Straße, Schiffen und Häuserdächern. Henrike Wegener, 29, arbeitet in Lüneburg an einem Forschungsprojekt zum Umweltrecht. Seit zehn Jahren engagiert sie sich für Klimaschutz, seit einer Woche ist sie in Dänemark. Gemeinsam mit anderen Aktivisten will sie sich am Freitag vor Presse und Delegierten die Haare abrasieren. jetzt.de: Henrike, warum wollen Sie sich in der Öffentlichkeit den Kopf rasieren? Henrike: Für mich drückt es das Gefühl aus, das ich am Ende dieses Gipfeltreffens habe: Verzweiflung. Worüber? Über den Verlauf der Konferenz und die Unfähigkeit unserer Politiker, eine Katastrophe zu verhindern. Die Regierungschefs werden uns am Ende des Gipfels ein Ergebnis präsentieren und es vielleicht als historisch bezeichnen. Aber es ist jetzt schon abzusehen, dass es nicht reichen wird. Die Diskrepanz zwischen dem, was getan werden muss und dem, was tatsächlich passiert, ist riesig. Ich bin verzweifelt darüber, dass das, was die Zivilgesellschaft bisher versucht hat - Demonstrationen, Proteste, Lobbyarbeit - da drinnen nicht ankommt. Aber die Bilder von der Demo wurden doch während der Konferenz auf allen Bildschirmen übertragen. Ja. Nette Bilder. Aber berichtet wurde dann doch vor allem über die wenigen Krawalle und Festnahmen. Und das, worum es geht, bleibt im Hintergrund. Für mich ist es das einzige, was ich jetzt noch tun kann: Meine Verzweiflung ausdrücken. So etwas wie ein letzter Kraftakt.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sich den Kopf zu rasieren ist ja was sehr Persönliches, Sie fügen sich damit selber etwas zu. Wie kommt es, dass Ihnen das Scheitern der Konferenz so nahe geht? Ich frage mich ja eher, warum das anderen nicht so geht. Ich habe eine kleine Nichte, die im August geboren wurde. Wenn ich an sie denke, spüre ich ein großes Verantwortungsgefühl. Dann frage ich mich: Was tun wir ihr eigentlich an? Ich habe das Bild von einer Lawine vor Augen, die man jetzt gerade noch aufhalten kann, bald aber nicht mehr. Was passiert dann? Dann geht es nicht nur um die Umwelt, sondern um unsere Gesellschaft, unser Zusammenleben auf dieser Kugel: Viele Menschen werden fliehen müssen, wenn das Wasser steigt, denn der größte Teil der Menschheit lebt am Wasser. Ressourcen und Trinkwasser werden sich verknappen, Menschen hungern. Die Kluft zwischen arm und reich wird größer werden und Konflikte werden zunehmen. Das fühlt sich für mich nicht abstrakt, sondern sehr konkret an. Warum ist es so schwierig, eine politische Lösung für das Problem zu finden? Einmal ist es offenbar schwierig, den Delegierten das Problem so nahe zu bringen, wie es mir geht. Deswegen auch die Idee, sich die Haare abzuschneiden. Andererseits stehen immer noch die alten Strukturen und Denkmuster im Vordergrund: das Gegeneinander von Staaten, das Konkurrenzdenken, das in Wirtschaftsfragen eine Rolle spielt. Der Klimawandel ist insofern ein neuartiges Problem. Konkurrenz kann dabei keine Rolle mehr spielen, wir müssen es gemeinsam lösen. Das scheinen die Staatschefs und -chefinnen nicht hinzukriegen. Sie waren für die Umweltorganisation Friends of the Earth auch als Beobachterin auf der Konferenz. Wie war das? Spannend. Aber ich habe das Gefühl, die Konferenz ist eine eigene Welt. Bei den Verhandlungen geht es viel um internationale Beziehungen, um die Architektur des Vertrages und gar nicht so sehr um das eigentliche Problem. Aber seit gestern hat die UN einige Organisationen komplett von der Konferenz ausgeschlossen, was ich schon erschreckend finde. Ich komme nun also nicht mehr rein. Stattdessen wollen Sie jetzt vor den Türen des Konferenzzentrums ihren Kopf kahl rasieren. Fällt Ihnen das schwer? Ja, sehr, sonst würde es auch mein Gefühl nicht ausdrücken. Das Motto der Aktion ist climate shame. Warum? Wir haben lange nach treffenden englischen Worten gesucht. Und „shame“ ist gut, weil es beides ausdrückt: Wir schämen uns für unsere Generation, dass wir es nicht hinkriegen, das zu tun, was nötig ist. Aber vor allem sagen wir „shame on you“ und meinen die Politiker, die den katastrophalen Klimawandel nicht abwenden. *** Mehr zum Klimagipfel auf sueddeutsche.de und im jetzt.de-Label Kopenhagen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
  • teilen
  • schließen