Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Habe ich zu hohe Ansprüche?

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Leon hat mir eines Tages im Geheimen erzählt, dass er sich in Oxford beworben hat. Er war damals der Klassenbeste. Sehr strebsam, nie schleimig. Ein talentierter Tänzer und Cellist. Ich war überzeugt, dass er in Oxford genommen wird. Wer, wenn nicht er? Der, der in allem immer alles gibt und die höchsten Ansprüche an sich selbst stellt: Leon halt. Als er die Absage bekam, kam Leon nicht zur Schule. Eine Freundin flüsterte zu, er habe sich in seinem Zimmer eingeschlossen, einem Nervenzusammenbruch nahe, und den ganzen Tag geheult.

„Hohe Ansprüche können auslösen, dass man mit dem Ergebnis unzufrieden und häufig frustriert ist, weil das Ziel nicht erreichbar ist oder nicht erreicht wurde“, erklärt Dr. Gernot Langs, Chefarzt in der medizinisch-psychosomatischen Klinik Bad Bramstedt und Experte im Umgang mit jungen Menschen, die an ihren Ansprüchen scheitern. Sein Zauberwort ist das Akronym „SMART“, das in diesem Fall keinen Minimal-PKW bezeichnet: Ansprüche, die man an sich selbst stellt, sollten spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert sein, so Langs.    

Leon hat bei seiner Bewerbung in Oxford fast alle Buchstaben abgehakt: Es sollte Oxford sein (S), sein Ziel ist erreicht, wenn er dort genommen wird (M), Oxford hat ein hohes Renommee (A) und nach einigen Semestern ist das Studium vorüber und man sieht weiter (T). Der Buchstabe, der am ehesten fehlt, ist das „R“: Wie wahrscheinlich ist es, dass man als Schüler in der elften Klasse, ohne Abitur und egal, wie gut, ein Stipendium für die Eliteschmiede Oxford bekommt?    

„Naja, wenn man als 18-Jähriger plant, mit 30 und ohne einen Schulabschluss die erste Million verdient zu haben, ist das doch sehr hoch gegriffen.“ Langs veranschaulicht das anhand seiner Buchstabenketten: „Das mag zwar ‚SMAT’ sein, braucht aber einen guten Plan B, der realistischer ist.“ Ist der Anspruch an sich selbst, der deutsche Mark Zuckerberg zu werden, sollte trotzdem der Gedanke an den ersten gut bezahlten Job und die Familiengründung mit 30 nicht komplett von dem zu schreibenden Lebenslauf gestrichen werden.    

Leons Geschichte ist noch nicht zu Ende. Jahre später, nach seinem Master an drei europäischen Universitäten und einem Abstecher zu einer angesehenen Tanzschule, ist Leon immer noch nicht in Oxford gelandet. Dafür in Cambridge, wo er gerade seinen Ph.D. macht. „Die Jugend hat den Auftrag, die Welt verändern zu wollen“, sagt Dr. Langs. „Da darf es ruhig mal unrealistisch sein. Sonst gibt es Stillstand.“

„SMART“ ist also nur eine Seite der Medaille. Gerade als Jugendlicher sollte man sich gelegentlich in nahezu unvernünftigen Ansprüchen üben. Trau dich, sonst wirst du nie erfahren, ob es nicht doch geklappt hätte.

Die Antwort von Jurek Skrobala, 25, hat den hohen Anspruch, diese Autorenzeilen immer so kreativ wie möglich zu halten.   Fünf Tipps für den Anspruchsvollen:

1. Versuche, deine hohen Ansprüche nicht zu fern ab der Realität zu setzen. Jemand, der zum ersten Mal in seinem Leben als Zuhörer in der Philharmonie sitzt, kann nicht binnen der kommenden Wochen zum Dirigenten aufsteigen.

2. Konkretisiere deine Ansprüche. Sind deine Ziele klar benennbar?

3. Denke in Alternativen. Klappt nicht, was du dir wünschst, sollte ein Plan B da sein. Vielleicht auch C, D und E.

4. Sei nie anspruchslos.

5. Pure Vernunft darf niemals siegen und schon lange nicht, solange man jung ist. Halte es in raren Dosen, aber sei auch mal unrealistisch.

  • teilen
  • schließen