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Wie oft muss ich mich bei Freunden und Familie melden?

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Für alles was sich zwischen Menschen „abspielt“, sagt Markus Kehrer, Therapeut und Coach mit einem Master in Human Communication, gebe es keine klaren und eindeutigen Antworten. Wie häufig man sich bei seinen Freunden und seiner Familie melden sollte, hängt deshalb wohl von verschiedenen Faktoren ab.

Man könnte dafür eine Gleichung aufstellen mit Variablen. Die Entfernung spielt eine Rolle, der Grad der Verwandtschaft, wie eng die Beziehung ist, wie schnell die Mutter sich Sorgen macht und wie lange man das eigene schlechte Gewissen durchschnittlich unterdrücken kann. Heraus käme eine Zahl, die angibt, wie oft man sich melden sollte. Der Vorteil dabei wäre, dass man einen Anhaltspunkt hätte. Man könnte in den Terminkalender ein Kreuzchen malen. Der Nachteil: Es würde ein Pflichttermin daraus. Viel besser ist es, sagte eine Freundin von mir, man meldet sich aus ehrlichem Interesse, weil man sich nahe steht und das Bedürfnis habe. „Da trennt sich dann die Spreu vom Weizen“. Entweder es seien gute Freunde, dann habe man öfter etwas zu besprechen - oder eben nicht und man melde sich, wenn man Lust hat. Das könne dann auch nur wenige Male im Jahr sein. Pure Höflichkeit, meinte sie, sollte nie ein Grund sein.

Susanne Ehrenspeck, Kommunikationsberaterin und Familientherapeutin sagt: „Es ist viel sinnvoller, auf eine gute Beziehung zu achten, denn dann kommt das Telefonieren von ganz alleine.“ Bald entstehe dann auch das Gefühl, erzählen zu wollen - „und nicht Bericht erstatten zu müssen“. Allerdings sollten auch Eltern dazu ihren Teil beitragen: Kinder dürften nicht das Gefühl bekommen, „aus der Entfernung kontrolliert zu werden“, erklärt Susanne Ehrenspeck. Das habe auch mit Vertrauen zu tun. „Es kann belastend sein, wenn sie anrufen sollen, damit sich die Eltern keine Sorgen machen.“ Denn indirekt werde damit ausgedrückt, dass Eltern nicht genug Vertrauen hätten, dass die Kinder alles richtig machen. Das Thema, wie oft man sich meldet, spiele deshalb auch beim „Abnabelungs-Prozes“ eine Rolle, so Familientherapeutin Ehrenspeck. Eltern melden sich meist von sich aus - denn eine Mutter will wissen, was ihr Kind tut. Mütterliche Sorge ist dabei das eine Motiv, das andere aber wohl auch aufrechtes Interesse. Die Abstände spielen sich mit der Zeit von selbst ein - ob es einmal die Woche ist, öfter oder seltener hängt meist davon ab, wie eng die Verbindung ist, wie viel aus dem Leben man teilt.

„Jede Beziehung bedarf ihrer eigenen Gestaltung“, meint dazu Familienberater und Therapeut Markus Kehrer. Jeder müsse sich deshalb fragen, wie viel Kontakt er geben kann - und in welcher Form. „Grundsätzlich“, sagt Kehrer, „ist der Mensch in der Lage, verschieden Beziehungen in unterschiedlicher Intensität zu halten“. Das alles, Kontakt zu halten, eine Beziehung zu pflegen, sei Arbeit, erklärt er. „Es kann anstrengend sein den Kontakt zu halten, wenn man von Familie und Freunden weit weg ist.“ Viele, die oft den Wohnort wechseln, stünden deshalb auch vor der Frage, ob sie alte Kontakte halten oder neue Beziehungen aufbauen. Was soll ich machen, wenn alles an mir hängt, wenn sich der andere nicht von sich aus meldet? „Dann stimmt etwas an der Beziehung nicht“, sagt Susanne Ehrenspeck. „Ich würde mich auf Dauer nicht darauf einlassen.“ Wenn sich der andere nicht von sich aus melde, liege das Problem bei ihm. „Er kann nicht erwarten, dass ich es löse, in dem ich immer anrufe.“

Hilfreich kann ein fester Termin sein - das gilt für Fernbeziehungen genauso wie für Freundschaften und Eltern. Jeden Sonntagabend nach dem Abendessen ein Anruf bei den Eltern schafft zwar den Überraschungseffekt ab, den ein spontaner Anruf auslöst; er hilft dafür aber, sich nicht aus den Augen zu verlieren. Denn besonders für Freundschaften gilt, dass die Schwelle immer höher wird, je mehr Zeit vergangen ist: Je größer die Abstände werden, desto mehr Überwindung kostet es, weil jeder in seinem eigenen Alltag lebt und man nur noch wenige Gemeinsamkeiten findet. Sich regelmäßig melden ist die einzige Möglichkeit, dass sich die Leben ab und zu berühren.

Benjamin Dürr, 24 Jahre, hat inzwischen einen Rhythmus für das telefonische "Bericht erstatten" gefunden - bekommt aber trotzdem gelegentlich ein schlechtes Gewissen wegen der großen Abstände.

Fünf Tipps, um Kontakte zu pflegen:

1. Ein Telefonat mit den Eltern immer sonntagabends ist zwar keine Überraschung mehr, regelmäßige Termine verhindern aber, dass man sich aus den Augen verliert.

2. Je größer die Abstände werden, desto schwieriger wird es, Gemeinsamkeiten zu finden und Erlebnisse aus dem Alltag zu teilen. Deshalb die Abstände nicht zu lang werden lassen.

3. Ob man sich nur aus Höflichkeit meldet, bleibt jedem selbst überlassen - allerdings ist es wohl sinnvoll, sich zu fragen, welche Qualität die Beziehung zum anderen noch hat, wenn man es einen das Leben des anderen gar nicht interessiert.

4. Nicht krampfhaft festhalten: Sich nur noch zu melden, um den Kontakt nicht zu verlieren, rettet eine Freundschaft meist auch nicht.

5. Ein Überraschungsanruf kann Wunder bewirken: Nach längerem Schweigen ist die Freude groß. Auch Freundschaften können so „wiederbelebt“ werden.

Text: benjamin-duerr - Cover: benicce / photocase.com

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