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Wie sage ich meinen Eltern oder Freunden, dass ich schwul oder lesbisch bin?

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Meine spontane Antwort lautet: Raus damit! Sei Du selbst, lebe Dein Leben, wie Du es willst und für richtig hältst! Kein Verstecken! Ich hätte mir jedenfalls ein paar Jahre nervöses Rumgeeier ersparen können, wenn ich mich einfach früher getraut oder mir Hilfe gesucht hätte. Denn die gibt es, und sie macht alles einfacher.

Beim Coming-Out kann man verschiedene Erfahrungen machen. Als ich meinen ersten Freund herzklopfend mit ins Jugendcafé nahm und meine Freunde dort es ganz normal fanden und nur mit den Schultern zuckten, war ich fast enttäuscht: Viel Lärm um nichts? Anderswo war es nicht ganz so leicht, meine Eltern waren alles andere als begeistert, und da war ich froh, andere Leute zu haben, die mich unterstützten.

In Zeiten von schwulen Außenministern, lesbischen Talkmasterinnen und Homo-Ehe ist es zwar weniger problematisch, wenn Männer sich in Männer und Frauen in Frauen verlieben – aber so ganz "normal" ist es leider trotzdem noch nicht. Auf den ersten Blick sind alle heterosexuell, in Filmen und Werbungen gibt es fast nur Hetero-Pärchen, und wenn Schwule oder Lesben auftauchen, müssen sie meist Klischees bedienen.

Über Klischees kann man diskutieren, nicht so bei krassen Vorurteilen gegenüber Schwulen und Lesben, die es auch noch gibt: "abnormal", "degeneriert" oder "gegen die Natur". Auch aufgeklärte Eltern hören sowas und machen sich dann Sorgen: Wenn mein Kind schwul oder lesbisch ist, wie viel schwieriger wird sein Leben dann sein? Was sagen die Nachbarn? Wäre es nicht einfacher, "normal" zu sein?

Rich Schmidt, Mitarbeiterin der Beratung In&Out beim Jugendnetzwerk Lambda, spricht sogar von einem "unfreiwilligen Outing", das die Eltern parallel zu dem ihrer Kinder in der Gesellschaft machen müssen. Doch insgesamt sieht sie eine positive Tendenz: "Heute sind die Eltern in der Regel eher unterstützend. Meist findet das erste Outing bei den Eltern bei der Mutter statt." Die ist oft verständnisvoller als der Vater.

Am besten ist es, das Coming-Out dort anzufangen, wo man gute Reaktionen erwarten kann: bei den besten Freunden, Geschwistern, Lieblingstante, Vertrauenslehrer. Mit Unterstützung im Rücken kann man dann die härteren Brocken angehen. Für das Danach zu sorgen sei ebenfalls sehr wichtig, sagt Rich Schmidt. "Man sollte sich im Klaren sein, welche Reaktionen man erwarten kann und wie man mit ihnen umgeht." Sich Hilfe im Internet zu suchen kann hilfreich sein. Auf Websites, in Foren oder sozialen Netzwerken gibt es jede Menge Coming-Out-Geschichten, dort kann man sich mit  anderen Leuten in der gleichen Situation austauschen. Schätzungsweise fünf bis fünfzehn Prozent der Leute fühlen sich zum eigenen Geschlecht hingezogen: Jede Menge Leute haben sich also schon geoutet. Sie haben das Ganze nicht nur überlebt, sondern sind in den meisten Fällen auch gestärkt daraus hervorgegangen. Manche müssen sich auch gar nicht aktiv outen, "langsames Coming-Out" nennt das Manuel, 24: "Ich war jung, ich hatte noch nie einen Mann geküsst, ich wusste nicht, ob ich schwul bin, aber irgendwie hatte ich Robbie Williams gerne oben ohne auf meinen Schulsachen kleben." Die Eltern und das ganze Umfeld bekamen parallel mit ihm mit, dass er sich mehr für Männer interessierte als für Frauen. Sie waren während seines Coming-Out-Prozess quasi live dabei, weil er sich nie verstellt hatte.

Wenn du das Thema aber selbst auf den Tisch bringen willst, gilt: Je sicherer und positiver Du bist, desto einfacher ist es auch für deine Eltern. Eine gute Einstellung für das Coming-Out wäre zum Beispiel folgende: "Ich habe mich verliebt! Alles ist toll und ich will es euch allen mitteilen!" Schwieriger wird es, wenn du die eigene Unsicherheit zu sehr betont. Und so etwas sagst wie: "Ich bin schwul (oder lesbisch) und jetzt finde ich mein Leben scheiße!" Deine Eltern kannst du natürlich auch unterstützen, indem Du sie auf gezielte Literatur oder etwa die Website des Bundesverbands der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen verweist. Das Coming-Out ist oft keine einfache Sache – aber umso befreiender und bereichernder. "Psychologisch betrachtet ist das Outing eine wichtige Auseinandersetzung mit sich selbst", sagt Rich Schmidt. Es ist nämlich der Moment, in dem du den Mut aufbringst, zu dir zu stehen. Du definierst dich, stellst dich den Erwartungen von Gesellschaft oder Familie und sagst: "Ich bin anders." Und sagst gleichzeitig ganz laut "JA!" zu Dir selbst – ein prägender Moment! Deine Eltern und Freunde werden mitgehen. Wenn sie Dich wirklich lieben, ist es ihnen egal, ob Du auf Frauen oder Männer (oder beide) stehst – hauptsache, es geht Dir gut.

Malte Göbel, 35, hat sich 1996 das erste Mal geoutet und in diesen Text auch die Erfahrungen von Manuel, 24, einfließen lassen.

Fünf Tipps fürs Coming-Out:

1. Verfalle nicht in Panik! Du bist nicht die bzw. der Erste, nicht die bzw. der Einzige, der oder dem so etwas bevorsteht.

2. Suche dir Unterstützung per Internet - zum Beispiel bei Du Bist Nicht Allein (dbna.de) oder dem Jugendnetzwerk Lambda mit der Beratung In&Out. Es ist außerdem hilfreich, andere Schwule und Lesben kennenzulernen und sie einfach auszufragen.

3. Sprich zuerst mit Menschen, denen du vertraust und deren Unterstützung du dir sicher bist. Das können deine Freunde sein, deine Geschwister, die Lieblingstante oder der Vertrauenslehrer deiner Schule.

4. Bereite dich auf das Gespräch vor! Diskutiere mit deinen bereits gewonnen Unterstützern, welche Ängste und Erwartungen du hast. Was könnte im besten/schlimmsten Fall passieren? Sorge für das "Danach"!

5. Bei guten Bedingungen und positivem Anlass: Raus damit!

Text: malte-goebel - Foto Cover: tobeys / photocase.com

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