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Woher weiß ich, ob ich angemessen bezahlt werde?

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Meine ersten Euros habe ich für einen Artikel in der Zeitung bekommen. Zeilengeld, ein paar Cent für jede gedruckte Zeile. Eigentlich gar keine schlechte Idee, dachte ich damals, den Wert des Artikels an seiner Länge zu messen. Vorher hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht, wie viel ein Text in der Zeitung wert ist; oder wie man etwas, das man nicht anfassen kann, in Geld umsetzen kann. Seither habe ich mich oft gefragt: Wer legt eigentlich fest, was meine Arbeitskraft wert ist? Und woher weiß ich, ob das der tatsächliche Wert meiner Arbeit ist? Wie kann ich feststellen, ob ich angemessen bezahlt werde?

Man kann die Fragen philosophisch zu beantworten versuchen. Oder man kann sie an Gewerkschafter stellen. „Für fast alle Branchen gibt es Tarifverträge“, sagt Cornelia Haß, die Pressesprecherin von verdi. Ihre Gewerkschaft hat über zwei Millionen Mitglieder in mehr als tausend Berufen - für sie alle gelten Regeln und Tarife. Dafür haben sich Arbeitgeber und Beschäftigte diskutierend, feilschend und verhandelnd die Nächte um die Ohren geschlagen.

Das Ergebnis ist fast immer ein Kompromiss. Heute arbeiten rund zwei Drittel der Beschäftigen in Westdeutschland (in Ostdeutschland sind es weniger) zu Löhnen, die in Tarifverträgen festgelegt sind, schreibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. „Jedes Gewerkschaftsmitglied kann sich die Unterlagen schicken lassen“, erklärt Haß. Im Internet werden die Daten nicht veröffentlicht, weil sie verdi-Mitgliedern vorbehalten sein sollen - andere Gewerkschaften, wie zum Beispiel die IG Metall für die metallverarbeitenden Betriebe, IG Bau für das Baugewerbe und der Deutsche Beamtenbund haben ähnliche Regelungen.

Für einen ersten Überblick über die Verdienste in verschiedenen Branchen empfiehlt verdi-Sprecherin Haß www.lohnspiegel.de. Tarifverträge sind für die Unternehmen bindend. Was darin festgeschrieben ist, muss gezahlt werden. Tarifverträge schützen jene, die einen solchen haben. „Es lohnt sich deshalb, für Tarifverträge zu kämpfen“, rät Cornelia Haß - das, sagt sie, sei eine Forderung, für die man streiken darf. Schwieriger ist die Sache bei Selbstständigen. Sie können - oder müssen - ihre Honorare selbst festlegen.

Beim ersten Mal war ich von dieser Tatsache beeindruckt, der Gedanke gefiel mir, selbst mein Honorar zu bestimmen. Aber schon nach ein paar Minuten nachdenken kippte die Stimmung. Ich hatte Angst, zu wenig zu verlangen, als billig zu gelten. Aber was passiert, wenn ich das Honorar zu hoch ansetze: Drucken sie dann lieber die Texte eines anderen? Soll ich zu verhandeln anfangen - funktioniert eine Zeitungsredaktion wie ein Basar? Bei solchen Fragen hilft es, in Ratgebern die üblichen Preise der Branche nachzuschlagen. Für den Bereich Kunst und Medien gibt der „Ratgeber Selbstständige“ des Mediafon von verdi beziehungsweise das dazugehörige Buch Honorar-Empfehlungen. Zusätzlich gibt es Berufsverbände, die eigene Honorarempfehlungen für Selbstständige aussprechen: Vom Verband der Redenschreiber (VRdS) über den Bundesverband Freiberuflicher Kulturwissenschaftler (BFK) zum Verband der Oecotrophologen (VDOE) sind nahezu alle Jobs in Vereinen und Verbänden organisiert. Oecotrophologen sind übrigens Ernährungswissenschaftler.

Und wann darf ich eine Gehaltserhöhung fordern? Selbstständige können über ein höheres Honorar selbst entscheiden, beispielsweise wenn sie längere Zeit für einen Kunden gearbeitet haben. Bei Angestellten ist eine Gehaltserhöhung oft Sache eigener Initiative - ungewöhnlicher Arbeit und guter Argumente. Bei Berufen mit Tarifvertrag ist der Termin für eine Gehaltserhöhung festgeschrieben. Rechtzeitig vor Ablauf dieser Frist beraten Angestellte und Arbeitgeber über neue Löhne, erklärt verdi-Sprecherin Cornelia Haß. Inzwischen bin ich souveräner geworden. Aus der Angst ist ein Mittelweg aus „nicht zu niedrigem“ und „nicht zu hohem“ Honorar geworden. Und ich habe gelernt, dass es nicht gerecht ist, den Wert eines Artikels an seiner Länge zu messen. Schließlich bestimmt nicht die Länge den tatsächlichen Wert eines Textes, sondern die Qualität, der Mehrwert oder die Tiefe.

Benjamin Dürr, 22 Jahre, hat als freier Journalist nicht nur das Schreiben gelernt - sondern inzwischen auch, wie viel Geld eine Zeitungs-Zeile wert sein sollte.

Fünf Tipps zum angemessenen Verdienst:

1. Keine Angst: Sowohl Angestellte als auch Selbstständige sollten sich nicht scheuen, angemessene Löhne zu fordern. Für das Aufsetzen eines Tarifvertrags dürfe gestreikt werden, sagt verdi-Sprecherin Cornelia Haß.

2. Firmen festlegen: Für viele Berufe gibt es Tarifverträge, darin sind die Löhne vereinbart, an die sich die Unternehmen halten müssen. Die Listen können bei den Gewerkschaften eingesehen werden. Branchen ohne Tarifverträge haben das Recht, einen solchen Vertrag zu fordern, erklärt Cornelia Haß.

3. Verhandlungssache: Selbstständige können ihre Honorare selbst festlegen. Anhaltspunkte bieten Ratgeber für die Branche und die Berufsverbände. Ein Beispiel im Internet ist der das mediafon von ver.di.

4. Für Gehaltserhöhungen ist im Tarifvertrag ein Datum festgeschrieben. Rechtzeitig vor diesem Termin wird darüber beraten. Selbstständige können beispielsweise nach längerer erfolgreicher Zusammenarbeit mit einem Kunden höhere Honorare verlangen.

5. Mut und gute Argumente: Bei Angestellten ist eine Gehaltserhöhung gerechtfertigt, wenn außergewöhnliche Arbeit geleistet wurde, Fortbildungen besucht wurden und das Unternehmen davon profitiert. Nur von diesen positiven Argumenten lassen sich Chefs überzeugen. Meist muss aber der Arbeitnehmer selbst die Initiative ergreifen.

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