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Liebespaare: Ben, Lena und der gruschelige Anfang

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Ben und Lena, zusammen seit einem Jahr Ben, 23, erzählt: Studiert Politik in Bremen Ich wünschte, ich könnte an dieser Stelle etwas Romantischeres erzählen. Die Wahrheit aber ist ziemlich dröge: Lena und ich haben uns bei StudiVZ kennen gelernt. Damals saß ich zu Hause auf gepackten Umzugskartons und wartete darauf, dass das mein neues Leben losgeht. Derweil klickte ich mich durch Profile zukünftiger Mitstudenten und malte mir aus, wie sie wohl in Echt aussehen werden – ohne Fotoshop, Sepiafunktion und XXL-Sonnenbrillen. Lenas Profil war angenehm selbstdarstellungsfrei. Und die Bilder im Fotoalbum waren hübsch. Ihr Beziehungsstatus stand auf „vergeben“, ich schreib sie trotzdem an. Ich wollte ja auch nicht turteln, sondern mich gegen die Einsamkeit am ersten Unitag versichern.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bei der Einführungsveranstaltung erkannte ich sie sofort. Lena sah tatsächlich aus wie ihr Foto, eine seltene Gabe. Und sie sprach wie sie schrieb. Wir freundeten uns schnell an und wurstelten uns gemeinsam mit ein paar anderen durch die ersten Wochen in der neuen Stadt. Mit der Zeit wurde das lose Grüppchen zu Clique, Lena und ich zu Rädchen in ihrem Getriebe. Wir waren also täglich zusammen, aber immer nur als Stück vom Ganzen, immer geschlechtsneutral. Ich habe sogar ihren Freund kennen gelernt, als er sie in Bremen besuchte. Er war okay. Seine Existenz hat mich nie gestört. Als ich aber selbst eine Freundin hatte, war Lena trotzdem die Letzte, die davon erfuhr. Um Weihnachten herum erzählte mir Lena, dass sie Schluss machen will. Ich redete es ihr nicht aus. Danach war alles wie immer und gleichzeitig ganz anders. Lena war dieselbe, ich war derselbe, das Drumrum auch. Wir gingen immer noch mittwochs zu Astasitzungen, freitags in die Stammdisco und radelten danach zusammen nach Hause. Anders war, dass ich plötzlich jedes Mal darauf hoffte, dass wir uns beim Abschied küssen. Seltsam, wie sich eine Freundin von einem neutralen Wesen in ein Mädchen verwandelt, sobald sie solo ist. Es ist ja nicht so, dass mir Lenas Grübchen oder ihre Haare vorher nicht aufgefallen sind. Aber früher hat man sie als einen selbstverständlichen Fakt wahrgenommen, so wie: Gras ist grün, Sonne warm. Jetzt wurden all die hübschen Kleinigkeiten plötzlich relevant. Unser erster Kuss war mehr Schnapseuphorie, als einer dieser Filmküsse, die gleichzeitig das Happyend und der Anfang sind. Es passierte an einem dieser rituellen Discofreitage. Die Clique war längst gegangen, uns war das egal. Wir tranken weiter: Lena einfach so, ich gegen meine Unentschlossenheit. Das hat gut geklappt. Auf der Tanzfläche küssten wir uns. Danach fuhren wir zusammen nach Hause, wie immer. Nur dass ich mich diesmal nicht vor der Haustür verabschiedete. Am nächsten Morgen umarmten wir uns zum Abschied. Der Spuk war vorbei, wir waren zurück in der Freundschaftsschiene. Aber ein paar Tage später passierte es wieder. Und wieder. Und wieder. Aus Rücksicht auf den empfindsamen Cliquenmikrokosmos hielten wir alles geheim. Ganz drei Monate lang schafften wir es, uns zu versteckten. Und das in Bremen! Erst als uns eine Freundin erwischte, haben wir unsere Gefühle institutionalisiert. Die anderen haben es ohnehin schon geahnt. Der Freundschaft hat es übrigens nicht geschadet. Eigentlich war alles - wie immer. Aber irgendwie doch ganz anders. Auf der nächste Seite erzählt Lena, warum Bens erste Kontaktaufnahme einen ganz besonders schlechten Eindruck bei ihr hinterließ.


Lena, 21, erzählt: Er hat mich gegruschelt! Gegruschelt! Nur Deppen gruscheln. Und ganz sicher fangen keine Oscar-gekrönten Liebesgeschichten bei StudiVZ an. Ich antwortete Ben trotzdem. Das erste Semester in einer fremden Stadt stand bevor, ich suchte dringend Freunde. In sozialen Dürreperioden schraubt man seine Ansprüche herunter und schreibt fleißig zurück. Ja, auch Gruschlern. Ben war viel umgänglicher, als seine virtuellen Anbandelungsmethoden vermuten ließen. Mit ihm war es von Anfang an unanstrengend. Man musste nie so tun, als sei man spannender oder großartiger, als man tatsächlich war. Wir haben viel miteinander geredet, auch über meinen damaligen Freund und zwischengeschlechtliche Sachen allgemein. Vielleicht bin ich genau deshalb nie auf die Idee gekommen, dass wir auch irgendwann etwas anderes füreinander sein könnten, als Paartherapeuten. Es ist es ja so: Menschen, mit denen man über Gefühle spricht, sind selten von selbigen betroffen. Als er mich an einem sehr betrunkenen Freitagabend auf der Tanzfläche küsste, war ich also so überrascht, dass ich mitmachte. Ich hatte vor ein paar Wochen mit meinem Freund Schluss gemacht und war eigentlich noch mittendrin im Abnabelungsprozess. Eigentlich fand ich das Ohne-Freund-Sein gerade ganz gut. Seit der zwölften Klasse war ich dauerliiert. Jetzt wollte ich endlich ausprobieren, wie es sich anfühlt, emotional autonom zu sein. Rock’n’Roll und alles. So richtig den Diem carpen! Stattdessen knutsche ich mit Ben. Und es fühlte sich auch noch gut an! Die erste Nacht konnte man noch als Rock’n’Roll gelten lassen. Bei der zweiten war es schwieriger. Selbst als die Ausrutscher zum Dauerzustand wurden, wollte ich mir nicht eingestehen, dass ich wieder einen Freund habe. Außerdem waren wir Clique! Natürlich waren Ben und ich volljährig, aber aus Furcht vor sozialen Sanktionen knutschten wir heimlich und reuevoll wie Drittklässler, die sich für einen Schulstreich rechtfertigen müssen. Als ich in den Semesterferien nach Hause fuhr, ging ich davon aus, dass es das Ende unserer Knutschepisode sein wird. Ein paar hundert Kilometer Entfernung würden unsere Gefühle schon gerade rücken. Im zweiten Semester würden wir zusammen darüber lachen, dachte ich. Und wenn genug Zeit verflossen ist, werden wir unser Coming-Out vor der Clique haben. Die lachen dann hoffentlich mit. Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass Ben und ich jetzt wissen, wie wir uns körperlich anfühlen. So als Prophylaxe für später. Ich dachte also diese vernünftigen Gedanken und rief ihn trotzdem jeden Tag an. Rein freundschaftlich natürlich. Aber dann stand Ben plötzlich in meinem Heimatörtchen. Er hatte sich das Auto seines Vaters unter den Nagel gerissen und drei Stunden bis zu mir gefahren, einfach um hallo zu sagen. Unangekündigt. Und das war genau wie beim ersten Kuss: unerwartet, doof, aber irgendwie gar nicht so schlecht. Ben kam damals für wenige Stunden. Er blieb eine Woche. Und das mit uns – das blieb bis heute.

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