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Liebespaare: Die unwahrscheinliche Liebe von Chris und Michl

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Chris, 30, wohnt in Ulm. Er ist Grafikdesigner, DJ und Clubbetreiber Jeder Schwule weiß: Wer nach großen Gefühlen sucht, wird bei Gayromeo.com selten fündig. In dem Portal findet man zwar Spielgefährten für jeden Fetisch, aber selten jemanden, neben dem man regelmäßig aufwachen möchte. Die Wahrscheinlichkeit, dort die große Liebe zu finden, ist also ungefähr so hoch wie im Swingerclub. Die habe ich aber auch nicht gesucht. Weder dort, noch sonst wo. Nach drei Katastrophenbeziehungen hielt ich Liebe für eine Erfindung der Unterhaltungsindustrie.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich weiß nicht mehr, ob Michl mich zuerst angeschrieben hat, oder ich ihn. Mit ihm ließ es sich jedenfalls prima lästern. Wir zogen die gesamte süddeutsche Schwulenszene durch den Kakao und stellten dabei fest, dass wir sehr ähnlich tickten, was Musik, Bücher und Weggehen angeht. Ein Jahr lang schrieben wir hin und her. Auf die Idee, uns zu treffen, sind wir aber nie gekommen, obwohl Ulm und Stuttgart nur eine Autostunde entfernt sind. Wir haben es einfach verpeilt. Vielleicht spürten wir aber auch, dass wir nach unseren Mails nicht mehr die nötige Unverbindlichkeit besaßen. Ausgerechnet die Entfernung gab uns den Schubs in die richtige Richtung. Michl nahm ein Jobangebot in Frankfurt an und das Wochenende vor dem Umzug war die letzte Chance, einander in echt kennen zu lernen. Außerdem legte Superpitcher im Colibri auf, unser Lieblingsact. Aufgeregt war ich nicht. Ich freute mich auf die Party und auf gute Gespräche. Es war ja kein Date, es war, als träfe man einen alten Freund, den man länger nicht mehr gesehen hat. Null Erwartungsdruck. Vielleicht hat mich Michl genau deshalb umgehauen. Er war genau mein Typ: recht groß, schlank, souverän in seinen Bewegungen - und die Ruhe in Person. Außerdem mochte ich seinen bizarren Humor. Und seine Nase. Der Abend war ein guter. Wir haben gequatscht wie alte Freunde, uns zusammen betrunken, rein in den Club, gezappelt, Bass auf die Ohren, Euphorie in den Venen, immer die Spannung zwischen uns, aber gleichzeitig vertraut. Auf der Afterhour haben wir uns geküsst. Dann glücklich-durchnächtigt bis nachmittags auf dem Balkon einer Freundin gesessen und total blau ins Bett gefallen. Gelaufen ist nicht viel. Schlaf war unsere Hauptintention. Eine Woche später hat er mich besucht, die Woche drauf ich ihn, dann kam er für ein Wochenende nach Ulm - und ist bis heute geblieben. Den Job in Frankfurt hat er sausen lassen, und dafür lieber mit mir einen Club aufgemacht. Ich bin sicher niemand, der solche Sachen überstürzt. Aber wir haben uns einfach so gut verstanden, dass es eigentlich keine andere Möglichkeit gab. Vielleicht waren wir auch zu faul zum Pendeln. Liebe auf den ersten Blick würde ich das nicht nennen. Am Anfang war es für mich eher ein Kombination aus Geilheit und Gewohnheit. Damals dachte ich noch, das ist schon die Definition. Heute weiß ich: das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Es war einer dieser klassischen Momente, in dem ich’s kapiert hab: Man macht morgens seine Augen auf, sieht sein Gefühlszuordnungsobjekt und weiß, das man ihn so gar nicht mehr hergeben will. So einfach ist alles. Und so schön ist das. Auf der nächsten Seite erzählt Michl vom Beginn der Liebe.


Michl, 25, wohnt in Ulm. Er ist Clubbetreiber und angehender Fachinformatiker Eigentlich hat mir an nichts gefehlt. Seit drei Jahren war ich solo - aber nicht, weil ich mich von einer Beziehung erholte, oder das Loch zwischen zweien überbrückte, oder nichts Passendes fand. Die Vorteile der emotionalen Losgelöstheit wogen einfach zu schwer, um sie für jemanden aufzugeben. Ich hatte meine festen Sexualpartner mit denen ich jede Fantasie ausgelebte, die man mit 20 so hat. Ich habe absolut nichts vermisst. Gayromeo sorgte zuverlässig für Nachschub an Bettkandidaten. Chris war zunächst keiner von ihnen. Nicht, dass ich ihn unattraktiv fand. Chris abzuschleppen schien aber fast als Verschwendung. Nach fünf Jahren Gayromeo konnte ich das Gegenüber schon an den ersten Sätzen einordnen und habe sofort gemerkt: Diesmal sitzt nicht irgendeine Huschenhohlbirne am anderen Ende des Internets. Zwischen den Zeilen seiner Mails schien soviel Witz und Intellekt hindurch, dass ich Chris lieber als Kameraden im Kampf gegen die tägliche Langeweile hatte, als als Bettgefährten. Von Berufes wegen an Laptops gekettet, prokrastinierten wir ein Jahr lang Seite an Seite und waren vollkommen zufrieden, so wie es war. Ich weiß nicht, ob wir uns überhaupt getroffen hätten, wenn mein Umzug nach Frankfurt uns nicht einen Tritt in den Hintern gegeben hätte. Am Abend, an dem wir uns zum Clubben verabredet hatten, liefen wir zuerst aneinander vorbei. Auf den zweiten Blick erkannten wir uns aber doch. Was folgte, scheint schwindelerregend schnell und überstürzt, fühlte sich aber sehr selbstverständlich an. Nach wenigen Wochen war ich bei Chris eingezogen, zum großen Teil auch deshalb, weil ich meine Stuttgarter Wohnung gekündigt hatte und quasi obdachlos war. Ich bin definitiv niemand, der sich schnell verliebt. Bei Chris bekam ich aber zum ersten Mal eine Ahnung davon, wie es ist, jemanden gefunden zu haben, bei dem einfach alles passt. Jemanden, bei dem man sich nicht verstellen muss. Alles davor war Lust und oberflächliche Verliebtheit, die zum größten Teil nur mit viel Phantasie und Selbstbetrug funktionierte. Typen, die ich früher in Clubs aufgerissen habe, hätte ich am liebsten einen Maulkorb verpasst, damit die Illusion nicht flöten geht, bevor man mit ihnen fertig ist. Das mit Chris ist echter, ehrlicher. Bei ihm fühle ich mich – angekommen. Ich glaube, es ist unsere Ähnlichkeit und die Vertrautheit, die unsere Beziehung zusammen hält. Aber auch die Fähigkeit, einander immer wieder umzuhauen. Auch nach vier Jahren bleibt mir die Luft weg, wenn ich Chris beim Malen oder Arbeiten zuschaue. Und dafür gebe ich gerne jede Verheißung des schnellen Glücks her. Ich denke, für Schwule ist es schwieriger, jemanden für eine langfristige Beziehung zu finden. Sex zu haben ist ungleich leichter - aber das ist gleichzeitig das Problem. Es ist eine Sache von Minuten, sich etwas zum Pimpern zu organisieren. Man muss ja nicht mal das Haus verlassen. Der Reiz ist groß und die Hemmschwelle gering. Insofern ist Gayromeo Fluch und Segen zugleich – weil man ständig die Optionen vor Augen hat. Vielleicht heißt Liebe auch, auf Möglichkeiten zu verzichten. Wenn es dabei nicht weh tut. Unsere Profile bei Gayromeo haben Chris und ich gleichzeitig gelöscht.

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