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Liebespaare: Hirona und Hyuma im Onsen

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Hirona, 20, studiert „Liberal Studies“ in Tokyo. Zusammen mit Hyuma seit 6 Monaten. Sowas macht man nicht. Er hat doch eine Freundin. Und wir sind nur zu zweit. Soll ich einfach umdrehen und nach Hause fahren? Hyuma und ich standen seit einer halben Stunde vor dem Kino, traten von einem Fuß auf den anderen, überspielten Unsicherheit mit Albernheit und guckten wartend in der Gegend rum, obwohl wir beide wussten, dass niemand mehr kommen würde. Dann gingen wir doch rein, zu zweit. Eigentlich hätte noch einer von Hyumas Freunden mitkommen sollten, aber er hat im letzte Moment abgesagt und mich damit in einen richtigen Gewissenskonflikt gebracht. Einerseits wollte ich den Film, „Der Vorleser“, richtig gern sehen, und, zugegeben, auch wissen, wie es sich anfühlt, allein mit Hyuma zu sein. Aber anderseits: Sowas macht man einfach nicht. Zu diesem Zeitpunkt kannten Hyuma und ich uns seit über einem Jahr. Wir sahen uns fast täglich, aber es war das erste Mal, dass wir zu zweit unterwegs waren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich lernte ihn im April kennen, am ersten Tag der Uni. Damals war er noch nicht Hyuma, sondern Yuuki-San. Ich sprach ihn in der höflichen Form an, mit dem San hintendran, weil er in seinem dritten Collegejahr war und ich ein Frischling an der Uni. Er tanzte Breakdance in dem Unisportclub, ich fing mit Hip-Hop an. Nach dem Training gingen wir oft mit zwei befreundeten Tänzern aus und wuchsen als Grüppchen richtig zusammen. Aus Yuuki-San wurde Hyuma-San - das ist sein Spitzname, weil er ein bisschen aussieht wie dieser Animeheld. Nach einem halben Jahr hat er den Jüngeren von uns angeboten, das San einfach wegzulassen. Wir vier waren zu einer richtigen Clique geworden und Hyuma und ich waren besonders eng zusammengewachsen. Wir haben uns alles erzählt, auch Persönliches, haben zusammen gelacht und geweint – allerdings fast ausschließlich per SMS. Wir haben uns an die 30 Kurznachrichten pro Tag geschickt. In echt haben wir uns aber nur dann getroffen, wenn noch jemand dabei war. Anders wäre es unangebracht gewesen, weil Hyuma eine Freundin hatte. Manche mögen anders darüber denken, aber ich persönlich hätte mich sonst schuldig gefühlt, auch wenn ich nicht viel von dem Mädchen hielt. Ich war an diesem Abend ganz hin und her gerissen. Der Film war toll, wir trödelten beim Rausgehen und hatten beide keine Lust, nach Hause zu gehen. Es war ein ganz milder Frühlingsabend und wir beschlossen, zum „Diamond and Flower Ferris Wheel“ zu spazieren, weil wir beide noch nie da gewesen waren. Wir sind gelaufen und gelaufen, kamen aber nie an. Das Rad sah viel näher aus, als es letztendlich war, wir wollten aber nicht aufgeben und sind so lange gewandert, bis auch der letzte Zug verpasst war. Ich habe mich ganz erschrocken, als ich feststellte, dass wir die Nacht hier verbringen würden, zusammen. Aufregend war es natürlich schon, aber das schlechte Gewissen hat mich fast aufgefressen. Am Ende ist aber alles gut ausgegangen, wir haben einen Onsen gefunden – das ist ein öffentliches Bad, das von einer Quelle mit Wasser versorgt wird. Dort sind wir über Nacht geblieben, in einem Raum mit 20 anderen Menschen, jeder in seinem eigenen Schlafsessel - das war in Ordnung. Erzählen konnte ich es natürlich trotzdem niemanden. Eine Woche später hat mich Hyuma zu sich nach Hause eingeladen. Und schon wieder habe ich mich ganz mies gefühlt, bin aber trotzdem hingegangen. Da hatte er schon mit seiner Freundin Schluss gemacht, mir aber nichts davon erzählt. Also habe ich Hyuma weg geschubst, als er versucht hat, mich zu küssen. Ich war furchtbar enttäuscht von ihm. Dass er so einer ist, hätte ich nie gedacht. Küssen ist ein großes Ding, das macht man nicht mit Fremden. Niemand würde mich dafür verurteilen, aber ich finde, dass zwei Menschen zusammen sein sollten, bevor sie sich so berühren. Wir haben danach die ganze Nacht durch geredet und er hat mir seine Gefühle gestanden und mich gefragt, ob ich seine Freundin sein will. Ich habe ja gesagt, auch wenn ich Bedenken hatte, ob er schon über seine Freundin hinweg ist. Jetzt sind wir beide sehr glücklich. Manchmal muss man eben Dinge tun, die man sonst nicht macht. Und manchmal sind genau sie am Ende die besten. Auf der nächsten Seite erzählt Yuuki vom Beginn seiner Liebe zu Hirona.


Yuuki, 22, studiert Maschinenbau in Tokyo. Zuerst war da eine Art Wand zwischen Hirona und mir. Sie war schön, ich mochte ihren Charakter, wir teilten die gleichen Werte und Interessen, aber sie war nun mal zwei Jahre jünger. Und außerdem hatte ich eine Freundin. Hirona war für mich zunächst eine reizende kleine Schwester. Ich hatte das Bedürfnis, sie zu beschützen, fühlte mich aber gleichzeitig bei ihr geborgen. Wir teilten Kummer und Glück und wenn Hirona an meiner Seite lachte, sang mein Herz. Das ist vermutlich Liebe. Aber das wusste ich damals noch nicht. Ich habe es erst verstanden, als ich mit meiner Freundin Schluss gemacht habe. Sie war ein tolles Mädchen, ich habe ihr viele glückliche Erinnerungen zu verdanken und bin an der Beziehung mit ihr gewachsen. Aber sie hatte ganz andere Werte als ich, hat viel gefeiert und oft bei ihren männlichen Freunden übernachtet. Nicht, dass ich ihr nicht vertraut hätte. Es hat mich aber trotzdem immer traurig gemacht. So etwas gehört sich einfach nicht für ein Mädchen. Wir waren zu verschieden und es war weiser, sich einzugestehen, dass keiner von uns aus dieser Beziehung schöpfen kann. Als Hirona und ich in den Schlafsesseln im Onsen übernachtet haben, habe ich zum ersten Mal ihre weibliche Seite wahrgenommen. Wir waren vorher noch nie so nah beieinander gewesen, räumlich gesehen. Zum ersten Mal stieg mir der Duft ihrer Haare in die Nase und der hat mich ganz verrückt gemacht. Meine kleine Schwester war ja eine richtige Frau! Ist sie in dem einem Jahr, in dem wir uns kannten, gereift? Oder war ich einfach nur blind wegen meiner Freundin gewesen? Als Hirona eine Woche später zu mir nach Hause kam, war ich richtig aufgeregt. Sie saß auf dem Sofa, nur eine Handbreit von mir entfernt, und da war er wieder, der Geruch. Ich hatte noch nie so viel Spaß mit einem Mädchen gehabt und wenn Hirona gelacht hat, wusste ich: Genau so soll es für immer sein. Ich habe es irgendwann nicht mehr ausgehalten und sie geküsst. Ich wollte sie auf keinen Fall kränken, aber ich konnte meine Gefühle einfach nicht mehr für mich behalten. Hirona hat aber alles ganz falsch verstanden, mich zurückgewiesen und geweint. Es hat eine ganze Nacht gedauert, sie zu beruhigen und ihr zu erklären, dass ich das ernst meine. Gegen Morgen hat sie sich ganz zutraulich an mich geschmiegt und ich habe mich ganz groß und verantwortlich gefühlt. Vielleicht ist genau das – Liebe. Niemand kann dieses Gefühl genau definieren. Und auch ich selbst kann das am besten im Rückschluss: Ich bin jetzt so glücklich wie noch nie – also muss es Liebe gewesen sein.

Text: wlada-kolosowa - Illustration: Katharina König

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