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Liebespaare: Jule, Sven und der Moment am Pfandautomaten

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Jule, 29. Grundschullehrerin in Kiel. Zusammen mit Sven seit drei Jahren. Es war an einem Mittwochvormittag, eine Woche nach meinem Geburtstag. Ich brachte das Partyleergut weg – eine ganze Menge Partyleergut. Geschlagene zwanzig Minuten fütterte ich den Getränkeautomaten, schob eine Flasche nach der anderen rein und fühlte mich ganz schuldig, weil es so ewig dauerte. Hinter mir wartete ein junger Mann, sommerlich in Shorts und T-Shirt und einem Bierkasten Astra unterm Arm. Ich drehte mich um, um ihn entschuldigend anzugucken. Er lächelte. Es war wirklich nur ein kurzer Augenblick, in dem wir uns ansahen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als ich zurück schlenderte, saß er schon in seinem Wagen und kritzelte irgendetwas auf einen Schnipsel Papier. Ich wartete kurz in meinem Auto, hoffend, dass er mich ansprechen würde. Vergebens. Dann lächelten ich ihm zu und fuhr los. Immer noch hoffte ich, dass er mir ja vielleicht folgen würde. Aber nichts. Als ich zuhause ankam, hatte ich immer noch diesen kurzen Augenblick mit dem Astra-Jungen im Kopf. Ich hatte mir – warum auch immer – das Nummernschild seines weißen, klapprigen Polos gemerkt. Bevor ich zu der Probe meiner Band fuhr, bat ich einen alten Freund, der bei der Polizei arbeitete, herauszufinden, wem der Wagen gehört. Das Auto war auf einen Sven zugelassen. Mein Vormieter hat ein altes Telefonbuch auf der Fensterbank liegen gelassen und ich beschloss nachzuschlagen, obwohl ich nicht viel Hoffnung hatte: Wer lässt sich denn schon heutzutage noch ins Telefonbuch eintragen? Aber der Typ stand tatsächlich drin. Und zu meinem Glück auch noch mit seiner Handynummer. Ich weiß nicht, was mich trieb, ich habe so was auch noch nie vorher gemacht, aber ich schrieb ihm einfach eine SMS: „Vielleicht sehen wir uns am Getränkeautomat ja mal wieder?!“ Es dauerte nicht lange und mein Telefon piepte. „Oh, das freut mich aber sehr. Woher hat denn die hübsche Unbekannte meine Nummer…übrigens, ich heiße Sven.“ Ich musste schmunzeln: Dank meiner Recherche wusste ich ja schon alles. Nach einigen SMS ging ich zu Bett und wachte völlig verwirrt auf, als mein Telefon um 2.30 Uhr morgens klingelte. Am anderen Ende war ein hellwacher Sven. Er wollte nur mal sicher gehen, dass ich tatsächlich seine Supermarktbekanntschaft war. Sehr rücksichtsvoll! Ich fürchte, ich klang ziemlich grantig, weil ich noch im Halbschlaf war. Immerhin war ich geistesgegenwärtig genug, mich mit Sven zum Frühstück zu verabreden. Am nächsten Morgen war ich furchtbar aufgeregt, weil mir plötzlich bewusst wurde, was ich da angestoßen hatte. Mein Gott, wir hatten uns ja schließlich nur ein Mini-Sekündchen in die Augen gesehen. Was ist, wenn ich ihn nicht erkenne und mich an den falschen Tisch setze? Und wenn wir uns überhaupt nichts zu sagen haben? Als Sven ins Café rein schlenderte, in Flip-Flops und ziemlich verpennt, waren meine Zweifel aber sofort verflogen. Sven hatte eine ganz tolle Lache – so eine, der man nicht nur gern zuhört, sondern auch sofort mitmachen möchte. Wir bestellten beide Krabbensalat und Nutella zum Frühstück und gingen danach im Park spazieren. Abends wollte Sven seine Familie und Freunde an der Nordsee besuchen. Eigentlich hatte er vor, dort ein paar Tage zu bleiben. Je länger wir aber so nebeneinander spazierten, desto mehr glaubte ich heraus zu hören, dass er nichts dagegen hätte, noch in derselben Nacht nach Kiel zurückzukehren. Also bot ich ihm an, sein telefonischer „Wach-Halter“ für die nächtliche Autofahrt zu sein. Nur für den Notfall, natürlich. Kurz nach Mitternacht klingelte mein Handy. Als ich ran ging, rückte Sven gleich damit heraus, dass er bereits vor meiner Haustür stand. Ich bat ihn rein, wir tranken Wein, erzählten und guckten dann gegen vier Uhr morgens meinen Lieblingsfilm, „Tatsächlich Liebe.“ Mitten im Film, bei der Hochzeit von Peter und Juliet, küssten wir uns. Und da war es endgültig um mich geschehen. Liebe auf den ersten Blick? Eigentlich glaube nicht daran. Viele verwechseln das oft, dieses Aufgeregt-Sein und wirkliche tiefe Gefühle. Bloßer Zufall? Nein, das kann es aber auch nicht gewesen sein. Auf der nächsten Seite erzählt Sven von der Liebe auf die x-te Pfandflasche.


Sven, 27, macht gerade ein Referendariat in Geschichte und Sport in Kiel Endlich raffte ich mich dazu auf, das Leergut vergangener geselliger Abende in Tiefkühlpizza und Schokolade einzutauschen. Eigentlich eine Sache von fünf Minuten – wenn nicht gerade ein blondes, sehr niedliches Wesen den Pfandautomaten in Beschlag nimmt. Schüchtern entschuldigte sie sich für die von ihr verursachte Warterei. Was sie nicht wusste: Es störte mich überhaupt nicht. Um ehrlich zu sein, hätte ich sogar gerne noch etwas länger gewartet und ihren Anblick genossen. Nach dem Streifzug durch das Tiefkühl- und Süßwarensortiment begegneten wir uns wieder an der Kasse. Als sich unsere Blicke wieder kreuzten, kribbelte es ganz angenehm. Schön wäre es, dieses Mädchen an einem anderen Ort zu sehen - dache ich vor mich hin und suchte nach richtigen Worten, um es ihr mitzuteilen. Als ich sie endlich gefunden hatte, war sie aber schon in der angegliederten Drogerie verschwunden. Ich wäre ihr am liebsten hinterher gestiefelt, musste aber dummerweise noch bezahlen. Danach stand ich ratlos und verunsichert auf dem Parkplatz und suchte erneut nach dem perfekten Plan. Sollte ich hier warten und sie dann ansprechen? Hinterher eilen und sie zwischen den Regalen abfangen? Aber was, wenn sie gerade Mädchendinge kaufte? Ich wählte dann die indirekteste und sicherste Variante, eilte zu meinem klapprigen Gefährt, suchte Zettel und Stift und war gerade dabei meinen Namen und die Handynummer für die Unbekannte aufzuschreiben… als mir der Anlasser ihres Wagens gnadenlos mitteilte, dass ich meine Schönschrift umsonst ausgepackt hab. Mit einem kecken Winken steuerte das Mädchen ihren mintfarbenen Corsa vom Parkplatz. Ich hatte wieder so lange gegrübelt, dass ich nun die Felle davon schwimmen sah. Ich schmiss das Auto an um ihr zu folgen und bei der nächsten roten Ampel Nägel mit Köpfen zu machen. Aber was, wenn sie mich für einen Stalker halten würde? Während ich abwog, war das Mädchen endgültig weg. Später ärgerte ich mich schwarz über meine dusselige Schüchternheit. Mein Mitbewohner meinte, dass ich den kleinen Flirt vollkommen überbewerte und auch meine Fußballkollegen zeigten sich nicht gerade von der Schicksalhaftigkeit des Augenblicks überzeugt. So etwas passiere in einer Studentenstadt wie Kiel doch andauernd, trösteten sie mich. Die sollten sich aber noch gewaltig irren! Später als ich meinem nächtlichen und überaus nervigen Studentenjob in der Druckerei nachging, fiepte mein Handy. Eine SMS von dem tollen Mädchen aus dem Supermarkt! Ich konnte es nicht glauben, wie sollte sie meine Nummer bekommen haben? Mein Kopf lief heiß und die Gedanken überschlugen sich. Gehörte diese Nummer wirklich ihr? Oder nahmen mich meine - in solchen Dingen sehr kreativen - Fußballkumpels hoch? Die Zweifel ließen mir keine Ruhe, ich musste einfach wissen, wer hinter der SMS steckte. Es war zwar mitten in der Nacht, aber das sollte den Scherzbolden recht geschehen! Eine sanfte, aber auch müde Stimme nahm den Anruf entgegen. Das Gespräch lief jedoch suboptimal. Verdutzt darüber, dass ich in der Nachtschicht arbeitete und gerade aus dem Schlaf gerissen, reagierte die junge Frau relativ verhalten auf meinen Rückruf. Nichtsdestotrotz habe ich es geschafft, das Gespräch in eine Frühstücksverabredung zu manövrieren. Danach war es gefühlt die kürzeste Nachtschicht meines Lebens, denn ich hatte gedanklich durchgehend damit zu tun, mir unser Treffen auszumalen. Unausgeschlafen und aufgeregt machte ich mich am nächsten Tag auf den Weg. Der Grund meines Aufstehens – der übrigens Jule hieß - begrüßte mich mit einem Grinsen und schon nach wenigen Minuten wurde klar: Diesmal lasse ich sie auf keinen Fall ziehen. Wie sie meine Nummer ermittelt hatte, hat mir Jule übrigens erst vor Kurzem verraten.

Text: wlada-kolosowa - Illustration: Katharina König

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