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Liebespaare: Liebe über See - Sonya und Manuel

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In Folge 1 der neuen Kolumne "Liebespaare" erzählen Manuel, 24, Geografie-Student aus Berlin und Sonya, 23, Medizinstudentin aus Auckland, Neuseeland, wie bei ihnen alles begann. Manuel erzählt: "Ich glaube nicht an die Globalisierung der Liebe. Pärchen, die über Skype knutschen und zu ihren Verabredungen mit transatlantischen Flügen anreisen müssen, tun mir einfach leid. Viele Faktoren bestimmen, in wen man sich verliebt. Wenn man nicht gerade ein Masochist ist, sollte die Adresse der wichtigste davon sein. Zwischen Sonyas Haus in Auckland und meiner Wohnung liegen über 9000 Kilometer, drei Ozeane, 24 Flugstunden. Sich in sie zu verlieben wäre nicht romantischer Wahnsinn, es wäre einfach nur blöd. All das erörterte ich mit mir selbst gegen 21.30 Uhr, kurz bevor ich zu meiner Abschiedsparty aufbrach. Um 03.56 verknallte ich mich. Zu diesem Zeitpunkt kannten Sonya und ich uns bereits seit fünf Jahren. Kennen ist eigentlich übertrieben – sagen wir es mal so: Wir wussten von der Existenz des anderen. Als wir uns zum ersten Mal begegneten, war ich in meinem Austauschjahr an einer Highschool in Neuseeland. Sonya wurde beim Abschlussball zur Schönsten der Schule gekürt, ich habe nur den "German Scheiße"-Award bekommen. Ich schaute sie mir also gerne an, habe mich aber nie getraut, sie anzusprechen. Als das Jahr vorbei war, flog ich zurück nach Deutschland, machte mein Abi, zog nach Berlin, hatte viele kurze Beziehungen und eine ganz lange. Am Ende des Auslandsjahres hat man natürlich heilig versprochen, wieder zu kommen. Fünf Jahre lang ist trotzdem nichts passiert. Bis ich eines Tages dringend einen Tapetenwechsel brauchte, mein Studium auf Eis legte und mir innerhalb weniger Tage einen Flug nach Neuseeland buchte. Bei der WG-Party eines alten Klassenkameraden traf ich Sonya, sie studierte inzwischen Medizin und war seine Mitbewohnerin. Sie konnte sich an mich erinnern. Wir sprachen miteinander, zum ersten Mal. Wir sprachen lang. Irgendwann küssten wir uns. Die Unverbindlichkeit der Situation hat das Näherkommen leichter gemacht - wir wussten ja beide, dass ich bald nach Deutschland muss. In den nächsten Wochen sahen wir uns fast jeden Tag. Wir hatten wirklich schöne, unbeschwerte Tage. Darüber, was aus uns wird, haben wir nie gesprochen. Ich habe die Verliebtheit hartnäckig verjagt, Sonya schwieg. Sie schwieg bis zur letzten Minute. Erst als ich mich in das Taxi zum Flughafen setzte, dann drückte sie mir einen Schnipsel in die Hand, einen Zettel mit einer Londoner Adresse. Das ist jetzt meine, hat Sonya gesagt. Sie hat spontan ihr Praxissemester nach Europa verlegt. Und dann wurde es furchtbar chaotisch, der Taxifahrer machte Druck, die anderen redeten durcheinander. Also bin ich einfach ins Auto gestiegen, mit dem Zettel in der Hand, und wir sind losgefahren. Erst zehn Minuten später habe ich’s kapiert. Dass ich ein Feigling bin. Und Sonya ganz wunderbar und mutig. In diesem Moment ist die ganze verdrängte Verliebtheit über mich hineingebrochen. Ich habe den Schnipsel umklammert und mich ziemlich dämlich gefühlt, aber gleichzeitig auch erstaunlich wohl. In dieser Minute wusste ich, dass alles gut wird. Die Uhr am Taxibrettchen zeigte 3.56 Uhr an, ich weiß nicht, warum ich es mir so genau gemerkt hab. Drei Wochen später sahen Sonya und ich uns wieder. " Auf der nächsten Seite: Sonyas Version der Geschichte.


Sonya erzählt: "In der Schule hat Manu immer ein bisschen Ausländerbonus gehabt. Damals war Neuseeland noch nicht von deutschen Abiturienten bevölkert und wir Mädchen mochten seinen Exotenstatus. Wir fanden alles, was er tat, sehr europäisch und damit ziemlich aufregend. Ich glaube, auch ich fand Manu niedlich, habe aber nie Anstalten gemacht, ihn anzusprechen: Ich war damals mit meinem ersten Freund zusammen, der meine gesamte Aufmerksamkeit und Zeit verschlang. Manu blieb in meinem Gedächtnis nur als „der Deutsche“ gespeichert, ohne dass ich etwas Persönliches über ihn wusste. Nach dem Schuljahr ging er zurück und ich habe nie mehr wirklich an ihn gedacht. Als ich ihn fünf Jahre später in meiner Küche stehen sah, mit einem Bier in der Hand, wusste ich aber sofort, wer er war. Er sah fast so aus wie früher, nur mit Bartwuchs und Lederjacke. Ich kann nicht behaupten, dass ich ihn auf den ersten Blick attraktiv fand. Aber das ist doch meistens so: Menschen, die erst beim genauen Hinsehen auffallen, hauen einen am meisten um - weil man auf ihre Wirkung nicht vorbereitet ist. Später am Abend knutschten wir. Ich kann nicht den genauen Augenblick festmachen, an dem ich mich in Manu verliebt habe. Es war nicht: Boom, verliebt. Die Gefühle kamen eher häppchenweise. Es hat auch lange gedauert, bis ich es überhaupt gemerkt habe: Der Gedanke an eine Überseebeziehung schien so absurd, dass ich meine Gefühlswelt nie analysiert hab. Es fühlte sich gut an – also machten wir weiter. Ohne dem Ganzen einen Namen zu geben, ohne Gedanken an die Zukunft. Der Moment, in dem ich mir eingestehen musste, dass ich mich verknallt habe, war sehr unspektakulär. Ich saß am Frühstückstisch, bestrich mein Toast mit Marmite (Anm: Brotaufstrich aus Hefeextrakt) und musste plötzlich daran denken, wie Manu es einmal für eine Art Marmelade gehalten hat und sich einen ganzen Löffel davon in den Mund schob - und furchtbar gespuckt hat danach. Und das war so ein warmes Gedankenbild, dass mir bewusst geworden ist, dass ich auf ihn gar nicht verzichten mag. Es hört sich pathetisch an, sich aufgrund von ein paar Erinnerungsfetzen für einen Menschen zu entscheiden. Aber an diesem Morgen ist mir klar geworden, dass unser Leben letztendlich aus Momentaufnahmen besteht, genau aus diesen intensiven Sekunden, an die man sich plötzlich erinnert. Der Alltag fließt irgendwo drumrum und wird schnell vergessen. Am Ende entscheiden genau diese Momente, ob wir unser Leben ein glückliches war, oder nicht. Und deshalb darf man nicht sie nicht aufgeben, nur weil die Umstände ungünstig scheinen. Als ich das verstanden habe, an diesem Morgen, habe ich beschlossen, die Verliebtheit zuzulassen. Danach ging alles sehr schnell. Ich habe zwar keinen Praktikumsplatz in einem Berliner Krankenhaus bekommen, weil ich kein Deutsch spreche. Aber die Easyjetverbindung London-Berlin ist gut."

Text: wlada-kolosowa - Illustration: Katharina König

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