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Liebespaare: Matze, Anni und die klaren Ansagen

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Matthias, 24, studiert Kulturwissenschaft in Passau. Annika trug ein grün-weißes T-Shirt mit Blumen drauf. Und sie war lustig. Das ist so ziemlich alles, was ich von unseren ersten Treffen weiß. Wir lernten uns beim Vorbereitungsseminar für unser Freiwilliges Soziales Jahr kennen, ich ging nach Nizza, um mit Straßenjugendlichen zu arbeiten, Annika machte dasselbe in Südafrika. Danach fing ich ein Studium in Passau an und machte in den Semesterferien ein Praktikum beim Springer-Verlag in München. Das hieß: Produkte in Onlineplattformen einpflegen. Kein Frustjob, aber trotzdem mit genug Fleißarbeit verbunden, um oft sehr genervt zu sein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Annika war eine gute Gefährtin in dieser doofen Zeit. Sie war auf einem Schauspielkolleg in München und ähnlich einsam wie ich. Wir haben fast jeden Tag etwas miteinander gemacht: Fahrradtouren, Schneeballschlachten, ewig in Cafés gesessen. Als in München Schneechaos war und alle S-Bahnen flach lagen, sind wir stundenlang im Dunkel durch den Schnee getapst. Unter anderen Umständen wäre das romantisch gewesen. Ich hing aber immer noch an meiner Exfreundin und hatte keinen Platz in meinem Kopf für Gefühlssachen. Das habe ich Annika von Anfang an klar gemacht. Hör zu, Anni, habe ich gesagt, ich mag dich voll gern, bin aber nicht in dich verliebt. Sie fand‘s nicht schlimm. Das Gespräch war kein großes Ding, eher eine Präventivmaßnahme. Für den Fall, dass einer von uns etwas falsch versteht. Nach den Semesterferien fuhr ich zurück nach Passau. Und da ist etwas passiert, ich weiß nicht genau was. Vielleicht bin ich aufgetaut, weil ich meine frühere Freundin verarbeitet hatte. Vielleicht bin ich auch jemand, der Gefühle erst mit Verzögerung kapiert. Sobald ich etwas Mut zusammen gekratzt hatte, lud ich mich unter einem scheinheiligen Vorwand zu Anni nach München ein. Nicht, dass ich mir etwas von meinem Geständnis erhofft hätte. Wir waren aber immer ehrlich zueinander und ich dachte, dass sie ein Recht hat, von meiner Erkenntnis zu wissen. Nachts saßen wir an der Isar um ein Ikea-Teelicht herum und lauschten Nachtgeräuschen. Hör zu, Anni, habe ich gesagt, ich habe dir zwar etwas anderes erzählt, aber jetzt bin ich, glaube ich, doch in dich verliebt. Natürlich hätte ich mich an dieser Stelle über ein Happy End mit Kussszene gefreut. Ich habe aber damit gerechnet, dass Annika mein Geständnis zunächst verdauen muss. Wäre ja andersrum nicht anders gewesen. Sie sagte, sie muss denken. Ich habe das gut verstehen können. Zwei Wochen später hatte das Schauspielkolleg seine Schlussaufführung und ich fuhr wieder nach München. Anni spielte den Teufel, trug schleimige Haare, Knollnase, Wulst-Augenbrauen und Warzen und Pickel überall. Sie war großartig! Aber es hat ewig gedauert, bis sie abgeschminkt war. Weit nach Mitternacht saßen wir dann, leicht beschwipst vom Premierensekt, auf den Pfeilern einer halb fertigen Brücke in Olching, unter uns ein Bächlein, dessen Namen keiner von uns kannte. Wir saßen lang da. Hör zu, Matze, hat Anni gesagt und ihre Mundwinkel zuckten dabei und die Augen lachten. Ich habe mir das überlegt und ich möchte mit dir zusammen sein. Als der Morgen dämmerte, fühlte es sich an, als hätten wir die Nacht zusammen besiegt. Und diesmal hat alles gepasst, die Kulisse, die Umstände und das in meinem Kopf. Geküsst haben wir uns nicht. Das wäre irgendwie zu viel gewesen. Auf der nächsten Seite berichtet Annika vom Beginn der Liebe.


Annika, 24, studiert Kulturwissenschaft in Mannheim

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das war Matzes erste Postkarte, datiert auf…. 2006 (?), ich trage sie seitdem mit mir rum. Ob sie der Anfang unserer Geschichte war? Eher ein Vorwort. So richtig fing alles mit einer Rundmail, einige Monate später an. Ich wurde an einer Schauspielschule in München angenommen und hoffte, alte Bekannte in der neuen Stadt zu finden. Heute würde man das vermutlich mit einer Facebook-Statuszeile lösen, damals musste ich noch mein gesamtes Adressbuch vollspammen. Wie immer bei Rundmails antworten Menschen, mit denen man am wenigsten rechnet. Zum Beispiel Matze. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt fast vergessen, dass es ihn gibt. Er hatte mich schon bei unserem FSJ-Seminar fasziniert, ich dachte aber, ich sei ihm zu langweilig, nicht kreativ genug – und habe nicht weiter an ihn gedacht. Wir schickten uns paar Briefe und Mails, dann haben wir uns aus den Augen verloren. In München stellten wir beide fest, dass wir niemanden außer uns kannten. Um meine Schule zu finanzieren, habe ich halbtags gekellnert. Meistens hat er mich vom Arbeiten abgeholt und dann haben wir zusammen München erobert. Wir sind ziellos U-Bahn gefahren und an Haltestellen ausgestiegen, die sich lustig anhörten, haben Biergärten im Vergleich getestet oder am Starnberger See gepicknickt, oder, oder, oder… Langweilig wurde uns nie. Matze hat mir ganz früh klar gemacht, dass unsere Unternehmungen keine Dates sondern freundschaftliches Abhängen ist. Das war fair, so hatte die Verliebtheit kein Nährboden, um sich auszubreiten. Ich war sowieso nicht auf der Suche nach einem Freund, war mit dem Gefühl latenter, nicht zielgerichteter Verliebtheit ganz zufrieden. Es gab drei, vier Typen, für die ich geschwärmt habe. Matze gehörte eigentlich nicht dazu. Ab und zu spielten sich zwar doch ein paar Träumereien vor meinem geistigen Auge ab. Ich habe sie aber ganz schnell wieder weggeblinzelt, wie eine Fata Morgana oder eine sonstige Einbildung. Im April fuhr Matze zurück nach Passau und München wurde ein Stückchen öder. Eines Tages rief er aber aus heiterem Himmel an und sagte, er kommt nach München, sofort. Ich hatte eine Wochenendschicht, Frühstücksbuffet von 8 bis 20 Uhr, und weder Zeit noch Kraft für Besuch. Matze sagte, er könne nicht warten, er müsse die LMU anschauen, ganz dringend, weil er sein Studium abbrechen wolle. Ich habe mich gewundert: Am Wochenende? Aber irgendwas in seiner Stimme hat mich überzeugt. Als Matze mir den wahren Grund seines Besuchs verraten hatte, war ich perplex. In diesem Licht hatte ich ihn noch nie gesehen. Vier Monate lang waren wir intensiv zusammen rumgehangen und ich konnte das nicht mehr differenzieren: Mag ich Matze, weil er eben Matze ist, oder weil ich verliebt in ihn bin - und es bisher vor mir selbst verheimlicht habe? Überhaupt: Wo hört Freundschaft auf und wo fängt Verliebtheit an? Und was würde anders sein – außer, dass man knutscht? Ich hätte ihn eigentlich furchtbar gern geküsst, in diesem Moment. Aber ich bin ein sehr rationaler Mensch, auch, oder gerade, was Gefühle angeht. Ich wollte das, was wir haben, nicht für einen kurzen Glücksaugenblick aufs Spiel setzten und erstmal die Antwort auf meine Fragen suchen. Zwei Wochen später habe ich sie gefunden: Man kann es nicht wissen, außer man probiert es.

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