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„Ich weiß, wie weh das tut“

Foto: Kiwi Verlag

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2007 in New York: Jende Jonga, ein Immigrant aus Kamerun, arbeitet als Chauffeur des Lehman-Brothers-Bankers Clark Edwards und hofft auf eine Green Card. Seine Frau Neni folgt ihm mit dem kleinen Sohn Liomi in die USA, sie will studieren und Apothekerin werden. Doch dann geht Lehman Brothers insolvent, die Finanzkrise schlägt voll zu und trifft sowohl die Jongas als auch die Edwards – wenn auch auf völlig unterschiedliche Art. 

 Das ist die Geschichte von Imbolo Mbues hochgelobtem Debüt-Roman „Behold the Dreamers“, der im vergangenen Sommer in den USA erschien und jetzt unter dem deutschen Titel „Das geträumte Land“ bei Kiwi erscheint. Imbolo, 36, ist selbst kamerunische Immigrantin und lebt in New York. Im Skype-Interview spricht sie darüber, wieso die Präsidentschaftswahl im vergangenen November für sie gleich aus mehreren Gründen besonders war, wie die Frauen-Figuren einfach ihr Buch übernahmen, und wieso das Leid armer Schwarzer und reicher Weißer sehr verschieden und doch sehr ähnlich ist.

jetzt: Du bist 1998 mit 18 Jahren von Kamerun in die USA gegangen, um dort das College zu besuchen. Was hast du von Amerika erwartet?

Imbolo Mbue: Meine Vorstellung von Amerika war zum einen von dem geprägt, was ich im Fernsehen gesehen hatte: von den reichen Familien in „Dallas“ oder „Denver-Clan“. Und zum anderen von den Menschen aus meinem Umfeld, die in die USA ausgewandert waren. Wir nannten sie die „American Wonder“: Wenn sie zurück oder zu Besuch kamen, trugen sie Cowboy-Stiefel und andere teure Klamotten, sprachen mit amerikanischem Akzent und waren immer so „Check me out, ich komme aus Amerika und bin was Besonderes“-mäßig drauf. So entstand der Eindruck: Wer in den USA lebt, der wird schnell amerikanisch und wohlhabend. Amerika war für mich das Land der Möglichkeiten.

Und wie war dann tatsächlich dein erster Eindruck?

Ich war sehr überrascht und erschrocken. Am ersten Tag bin ich ins Stadtzentrum von New York gefahren und sah, dass dort Menschen auf der Straße leben. Ich wusste vorher nicht, dass es Obdachlosigkeit und so viel Armut in Amerika gibt. Ich wusste auch nichts darüber, dass die USA eine Klassengesellschaft sind. Dass es Rassismus gibt. Dass Sexismus und Vorurteile weit verbreitet sind. 

Also kein Land der Möglichkeiten?

Doch! Die USA bieten eine Menge Möglichkeiten, für ihre Bürger und auch für Einwanderer. Es ist bloß nicht so leicht, das Beste daraus zu machen, man muss sehr dafür kämpfen. Das wurde mir schnell klar.

Wie viel von dem, was du in einem Roman erzählst, ist von deinen eigenen Erfahrungen als Immigrantin beeinflusst?

Ich komme aus der gleichen Stadt wie Jende und Neni, aus Limbe in Kamerun, ich bin auch in die USA ausgewandert und ich habe auch in Harlem gelebt. Das ist eigentlich schon alles. Aber als Einwanderin kenne ich natürlich viele andere Einwanderer – und habe ihre Geschichten alle zu einer Geschichte verwoben.

Zur Geschichte vom Einwanderer-Paar Jende und Neni. Aber eine genauso große Rolle spielen Clark und Cindy Edwards, das New Yorker Oberklasse-Paar. Hast du  dafür Geschichten aus der Oberklasse gesammelt?

Ich hatte schon ab und zu Gelegenheit mit Menschen aus der Oberklasse zu sprechen, aber es war eine ziemliche Herausforderung – mit Immigranten komme ich ja automatisch in Kontakt, mit Menschen wie den Edwards nicht, weil ich nicht in ihrer Welt lebe. Dafür aber zum Beispiel oft mit ihren Haushälterinnen und Kindermädchen. Und ich habe an der Columbia University studiert und dort Menschen kennengelernt, die Vorbild für Vince Edwards waren, den ältesten Sohn der Edwards: Kinder aus reichen Familien, die aber ein sehr starkes Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit haben.

Dein Buch verbindet die Schicksale der beiden Familien mit der Banken- und Finanzkrise. Wie bist du darauf gekommen?

2011 habe ich wegen der Finanzkrise selbst meinen Job im Marketing eines Medien-Konzerns verloren. Kurz darauf habe ich in Manhattan gesehen, wie Chauffeure ihre Kunden vor dem Time Warner Gebäude abholten. Ich fragte mich: Wie ist wohl das Verhältnis von diesen Fahrern und den Geschäftsmännern? Und wie ist es, wenn der Fahrer ein afrikanischer Einwanderer ist und der Geschäftsmann ein reicher Weißer? Und wenn der reiche, weiße Mann bei Lehman Brothers arbeitet, wie beeinflusst der Zusammenbruch der Bank ihrer beider Leben? Das wollte ich erforschen.

Die Finanzkrise beeinflusst Jende und Neni, weil sie auf die Edwards und deren Geld angewiesen sind.

Genau. In New York arbeiten sehr viele Menschen als Kindermädchen, Haushälterinnen oder Fahrer der Reichen – und während der Rezession hatten viele von ihnen mehr zu kämpfen, als die Oberklasse, die im Verhältnis nicht allzu viel Geld verloren hat. Aber wenn die Armen von ihnen hundert Dollar weniger im Monat bekommen, ist das für sie ein riesiges Problem. Sie können sich das nicht leisten. 

Sie sind abhängig.

Ja, da wird ein großes Machtgefälle sichtbar. Darum sind Jende und Neni auch so unterwürfig und versuchen, den Edwards zu gefallen und nicht auch nur einen Fehler zu machen. Jende darf seinen Job auf keinen Fall verlieren: Er ist ein armer, schwarzer Mann, der findet nicht so leicht einen anderen!

Als ich die Beschreibung deines Buchs gelesen habe, dachte ich, es ist ein Roman über zwei Männer: Jende und Clark. Und dann habe ich das Buch gelesen – und fand, dass eher die beiden Frauen, Neni und Cindy, im Mittelpunkt stehen.

Das ist lustig! Als ich anfing zu schreiben, dachte ich auch, dass es ein Buch über Jende und Clark wird – und dann haben die Frauen plötzlich das Buch übernommen. Ich glaube, das liegt daran, dass wir Frauen oft vor besonderen Herausforderungen stehen, die Männer einfach nicht kennen. Schau dir an, was Neni durchmachen muss: Sie ist stark und entschieden, und trotzdem kann sie ihre Träume nicht verwirklichen – weil sie eine Frau ist.

Aber nicht nur Neni kämpft, auch Cindy, die reiche Frau aus der Oberklasse, hat Probleme. Ich hatte das Gefühl, dass du auch ihr Leiden ernst nimmst, obwohl es gegen Nenis oft so unverhältnismäßig wirkt.

Hast du denn Mitleid mit Cindy?

Manchmal. Sie wirkt ja oft sehr traurig und kaputt. Aber dann ist sie auch wieder sehr boshaft…

Ja, verstehe. Ich kann auch nicht sagen, dass ich gerne mit ihr rumhängen würde, aber ich habe schon Mitleid mit ihr. Sie kennt ihren Vater nicht, sie war als Kind sehr arm, sie hat Probleme mit der Familie, die ihr eigentlich alles bedeutet. Ihr Leben ist ziemlich hinüber. Selbst, wenn man sie nicht mag, kann man darum vielleicht verstehen, warum sie macht, was sie macht. Sie versucht ja bloß, ihrem Leid zu entkommen. So wie Jende. So wie Clark. So wie Neni. Jeder versucht das. 

Nenis and Jendes Tochter wird in New York geboren und ist darum Amerikanerin. Das ist keine ungewöhnliche Situation in Einwanderer-Familien – aber eine komische, wenn der Aufenthaltsstatus der Eltern nicht geklärt ist, oder?

Ja, das ist eine große Sache. Du hast auf einmal ein Kind, das die Chance hat, wirklich den Amerikanischen Traum zu leben. Menschen, die Einwanderung ablehnen, verwenden diese Fälle gerne gegen die Einwanderer. Sie nennen die Kinder „anchor babys“ und sagen: „Die kriegen nur Kinder, weil sie später mal für sie bürgen können.“ Aber für Einwanderer-Familien sind diese Kinder aus einem anderen Grund sehr wichtig: Wenn einer von ihnen Amerikaner ist, fühlen sich alle viel dazugehöriger. Als Teil der Gesellschaft. 

Hast du eigentlich einen amerikanischen Pass?

Ja, ich bin US-Bürgerin.

Hast du im November gewählt?

Zum ersten Mal in meinem ganzen Leben! Als ich Kamerun verlassen habe, war ich noch zu jung, um zu wählen, und ich bin erst vor ein paar Jahren eingebürgert worden. 

Und dann ausgerechnet bei dieser Wahl…

Es war eine sehr intensive Zeit für mich, denn der Wahlkampf war einfach… du weißt schon. Es war schwierig, US-Bürgerin zu sein und wählen zu dürfen, aber gleichzeitig Einwanderin zu sein und dieses Gerede über die Mauer zu hören, die Drohungen gegenüber Muslimen und so weiter. Darüber habe ich sogar ein Essay für die New York Times geschrieben: „How to Vote as an Immigrant and a Citizen“. 

Was denkst du über die von Trump verschärfte Einreise-Politik?

Die neuesten Entwicklungen sind sehr erschütternd. Ich verstehe und unterstütze, dass wir Terrorismus bekämpfen müssen, aber darum darf doch nicht eine bestimmte Gruppe herausgegriffen und diskriminiert werden. Als Schwarze und als Immigrantin habe ich meinen Anteil an Vorurteilen und Diskriminierungen abbekommen – ich weiß, wie weh das tut.

Planst du denn auch einen zweiten Roman? Vielleicht über die aktuelle Situation in den USA?

Du klingst, als würdest du wollen, dass ich einen schreibe!

Ich würde ihn lesen!

(lacht) Ach, ich weiß nicht. Ich muss das erst mal alles sacken lassen. Essays schreiben ist gerade ganz gut für mich, da kann ich meine Gedanken bündeln. Aber wenn ein neues Buch ansteht, sage ich Bescheid.

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