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Jungs, könnt ihr euch ein Leben als Hausmann vorstellen?

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Diese Frage könnte eigentlich überflüssig sein. Wir Jungs und Mädchen sind ja heute allesamt superflexible Alleskönner: so einige Jungs können besser kochen als Mädchen und nicht wenige Mädchen haben eine ambitioniertere Lebensplanung als Jungen. Die Vorstellung eines jungen Vaters, der einen Kinderwagen spazieren fährt, finden alle angehenden Mütter mehr als herzerweichend. Seit Frau von der Leyen das an Lohn gekoppelte Elterngeld eingeführt hat, könnte die Frage, wer nach der Geburt eines Kindes daheim bleibt, eigentlich konsequent nach rationalen Aspekten beantwortet werden: Wer weniger verdient, hütet eine Zeit lang das Haus, Punkt. Das sind leider meistens immer noch Frauen, aber selbstverständlich ist es nicht mehr, dass ein Mann zwangsläufig beruflich mehr Erfolg und Gehalt vorzuweisen hat als seine Freundin. Ich habe so einige männliche Bekannte, die das Gedankenspiel nicht unrealistisch bis ziemlich verlockend finden, in Zukunft den modernen Familienmann par excellence zu geben. Wäre doch toll, so ein Ausflug in die ruhige Welt der Häuslichkeit, sagen sie: „Mehr Zeit für mich, kein Druck von außen und vielleicht kann ich endlich mal ein Buch schreiben.“ Bravo, klatschen daraufhin die Mädchenseelen. Irgendwer muss den Heimwerkerjob ja machen, noch besser, wenn ihr euch freiwillig meldet. Solltest auch du mit dieser Option liebäugeln, überlegst du es dir hoffentlich nicht doch anders, denn: - Du wirst in dieser Zeit immer zu Hause telefonisch erreichbar sein - Kochen und Putzen bleibt am Ende immer an dir hängen - Du bist derjenige, der abends erzählt, was Paul heute schon wieder gemacht hat - Dein Bewegungsradius erstreckt sich nur noch bis zum Spielplatz und zum Supermarkt - Du wirst Minderwertigkeitskomplexe erleiden, wenn dir in der Öffentlichkeit die unvermeidliche „Und was machst du?“-Frage gestellt wird - Manche deiner Freunde werden dich deshalb langweilig finden - Wir lieben dich dafür, aber vielleicht finden wir dich manchmal auch langweilig - Möglicherweise wird das mit dem Buch doch nichts - Dein Arbeitgeber schiebt dich nach dem Elternurlaub auf einen unwichtigen Posten ab Wenn dich das nicht abschreckt, bist du der mutigste Junge der Welt. Also? Die Jungs antworten - sehr mutig - auf der nächsten Seite


Die Jungsantwort: Das stimmt: Ich bin der mutigste Junge der Welt. Das jedenfalls dachte ich, bis ich am Rand des Zehnmeterbretts stand, bis der Typ aus der 13. Klasse mit seinen Freunden kam, nachdem ich ihn provoziert hatte, und ich dachte es auch bis ich dann doch wortlos vor diesem unglaublichen Mädchen stand, das mal die Mutter meiner Kinder werden könnte. Und jedes Mal musste ich feststellen: die Realität und die Vorstellung, die ich mir von dieser Realität mache, passen nicht immer so mutig zusammen wie ich es mir wünsche. Ich kletterte die Leiter vom Zehner im Freibad wieder runter, steckte bei der Schulparty böse Prügel ein und kriegte beim Flirtversuch nur peinliches Gestammel raus.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Warum ich das hier erzähle? Mit dem Hausmann-Job und dem Satz vom „Kinder hüten und Bücher schreiben“ verhält es sich genauso. Er ist leicht gesagt dieser Satz (zumal in einer Gruppe Mädchen, die den so feinfühlig sprechenden Jungen sofort mit freundlichen Blicken und bewundernden Props bedenken) aber er ist ganz und gar nicht leicht in die Tat umgesetzt. Ich sehe das gerade bei Freunden meines Bruders, die nur noch über Kinderkot, Windeln und Schlafprobleme reden, also vor kurzem Eltern geworden sind. Zu Illustration meiner Antwort muss ich kurz in deren Leben einsteigen: Der beste Kumpel meines Bruders ist Musiker, er verdient damit Geld, aber nicht viel. Seine Freundin (und Mutter seines Sohnes) ist Juristin, sie verdient damit Geld, aber eher viel. Die beiden haben sich ihre Elternzeit geteilt, sie war sieben Monate bei dem Kleinen, dann kümmerte sich der Kumpel meines Bruders. Das ist alles gut und fair (und leider absolut noch nicht selbstverständlich). Da die beiden aber in einer Stadt wohnen, in der Krippenplätze schwerer zu bekommen sind als Plutoniumbrennstäbe, stehen sie jetzt vor einem Problem: Was passiert, wenn die Elternzeit rum ist und sie keinen Krippenplatz für ihren Sohn bekommen? Alle im Umfeld gehen davon aus, dass es so laufen wird: Der Musiker wird seine Klampfe in den Schrank stellen und sich brav um den Sohn kümmern. Doch so selbstverständlich, und hier kommen wir wieder zur Antwort, ist das meiner Meinung nach nicht. Der schönste Mut ist nichts wert, wenn man nicht mehr freiwillig auf den Zehner klettert und den Sprung wagt, sondern ungefragt geschubst wird. Ja, ich weiß: Kindererziehung funktionierte jahrzehntelang genau nach diesem Prinzip – die Mädchen wurden ungefragt in die Hausfrauenrolle geschubst. Aber das war falsch und es wird nicht richtig, nur weil jetzt das andere Geschlecht geschubst wird. Deshalb werde ich jetzt mal meiner Rolle als mutigster Junge der Welt gerecht und stelle eine steile These auf: Eben weil Jungs und Mädchen superflexible Alleskönner sind, müssen sie das auch bleiben, wenn ein Mensch bei ihnen einzieht, der sabbert, seinen Stuhlgang nicht kontrollieren kann und ständig brüllt, wenn erwachsene Menschen schlafen wollen. Weder Mutter noch Vater sollten die Elternschaft als einzige Aufgabe in ihrem Leben sehen. Allein schon weil ein Kind es verdient hat, Eltern zu haben, die sich für mehr interessieren als für den eigenen Nachwuchs. Mutter und Vater sollten verpflichtet oder über Anreize sanft ermutigt werden, einem Job nachzugehen und ihr vorheriges Leben nicht ganz aufzugeben. Dass das funktionieren kann, zeigt das ja in der Tat gute Elterngeld-Modell. Denn wenn all die mutigen Jungen, die ungefragt große Hausmannsprüche klopfen, wenigstens Elternzeit nehmen würden, wäre schon viele gewonnen - zumindest in Bezug auf eine gesellschaftliche Atmosphäre, in der es als selbstverständlich gilt, dass Mütter und Väter sich um ihre Kinder und um ihre Karriere kümmern. Das klingt sehr einfach, verlangt aber doch mehr Mut als man annimmt. stefan-winter

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