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Jungs, pinkelt ihr im Sitzen oder im Stehen?

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Öffentliche Herrentoiletten sind meist recht funktional und übersichtlich aufgeteilt: frei rumstehende Pissoirs im Vorraum, weiter hinten abschließbare Kabinen zur Verrichtung von „#2“, wie der Amerikaner sagt. So gut wie nie wird man an solchen Orten einen Jungen nur zum Wasserlassen Richtung Kloschüssel verschwinden sehen. Kurze Wartezeiten und saubere Klobrillen – das sind übrigens die Gründe, wegen derer wir bei erhöhter Auslastung von Damenklokapazitäten auch gerne mal von euren Toiletten Gebrauch machen. Zum Beispiel auf Openair-Festivals, wo aus dem schnellen Gang zum stillen Örtchen ein Wettlauf mit der Zeit wird. Dann lautet die Frage immer: Wer hält länger durch? Wer gewinnt? Unsere Blase – oder doch die kilometerlange Schlage? In solchen Momenten platzen wir förmlich vor Penisneid. Die Situation im privaten Raum sieht schon ganz anders aus. Ob Männlein oder Weiblein: Vor dem heimischen Klo sind alle gleich. Gerade dann, wenn beide Geschlechter Tag ein Tag aus dasselbe aufsuchen müssen. Dieser Umstand sorgt oft für schlechte Laune. Er birgt jedenfalls soviel Konfliktpotenzial, dass Sätze wie „Du hast die Klobrille schon wieder nicht runtergeklappt!“ schon Generationen von Ehepaaren auseinandergebracht hat. Um diesen ewigen Streit zu schlichten gibt es bekanntlich nur eine Lösung: Die Domestizierung des Mannes. Also: Hinsetzen, Jungs. Es ist ein langer, steiniger Weg, aber Hunde werden auch nicht von heute auf morgen stubenrein. Sind die Umerziehungsmaßnahmen von Erfolg gekrönt, atmen Mütter, Schwestern und Freundinnen meist zufrieden auf. Aber wie findet ihr das Sitzpinkeln? Warum könnt ihr nicht im Stehen pinkeln, ohne Flurschäden auf den Fliesen zu hinterlassen? Ist es so schwer zu zielen? Setzt ihr euch nur uns zuliebe hin? Oder auch aus tiefer Einsicht heraus, der Hygiene wegen? Fühlt ihr euch dann unmännlich? Sind Sitzpinkler in euren Augen Weicheier? Auf der nächsten Seite kannst du die Jungsantwort lesen


Liebe Mädchen, mit dieser Frage betretet ihr vermintes Gebiet. Eine rote Linie trennt unser Geschlecht: Auf der einen Seite sitzen die gezähmten, die netten, die rücksichtsvollen Männer. Auf der anderen Seite stehen egozentrische, testosteronkontaminierte Halbaffen, die überhaupt keine Anstalten machen, ihr frühsteinzeitliches Entwicklungsstadium hinter sich zu lassen. Trotz ihrer vermeintlichen Grobheit bringt es die Stehgruppe zu kreativen Höchstleistungen, wenn es darum geht, die nette Sitzgruppe zu diffamieren. Es gibt Websites, die sich ausschließlich der Beschimpfung der Sitzgruppe widmen. Eine kleine Auswahl: Weicheier, Beilagenesser, Brustschwimmer, Kirschentkerner, Luftpumpenmitnehmer, Schattenparker, Mittags-Zähneputzer, Dunkelbumser, Warmduscher, Teletubby-Zurückwinker. Das zeigt: Dieser Hass sitzt tiefer, das Faktum des Sitzens ist nur die Spitze des Eisbergs. Darunter verbirgt sich eine ganze Reihe von Charaktereigenschaften, die im Allgemeinen nicht nur als „unmännlich“, sondern auch als „unsympathisch“ gewertet werden. Zur Sitzgruppe gehören übervorsichtige, ängstliche, eingeschüchterte Wesen, die zwar einen Penis besitzen, aber um des lieben Friedens willen auf ihr Naturrecht verzichten. Anstatt sich mit ihrem Geschlecht solidarisch zu verhalten und gemeinsam in Reih und Glied für ihr Recht eintreten, lassen sie vom weiblichen Geschlecht in eine Sitzposition zwingen. Sie laufen sogar zu ihm über und fühlen sich gegenüber der Stehgruppe kulturell überlegen. Ihr fadenscheiniges Argument: „Ich sitze aus Rücksicht. Ich will ja nicht, dass meine Freundin wegen mir das alles putzen muss.“ Doch genau mit diesem Argument offenbart sich die verräterische Verlogenheit der Sitzgruppe. Ohne euch jetzt mit anatomischen Details zu langweilen – beim Stehpinkeln kommt es hin und wieder zu Kollateralschäden. Doch die anachronistische Vorstellung, wonach sich weibliche Wesen eher für die Beseitigung solcher Schäden eignen, ist in den Köpfen der domestizierten Sitzgruppe beheimatet. Der moderne Mann ist heute in der Stehgruppe zu finden: Er nutzt die Vorteile, die ihm die Natur in Form von Schnelligkeit und Bequemlichkeit geschenkt hat, trägt aber gleichzeitig die Konsequenzen seines Verhaltens: Er putzt sein Klo selbst. Dafür möchte er aber auch die volle Souveränität über die Art und Weise, wie er sein kleines Geschäft verrichtet. Denn hier liegt doch die eigentliche Anmaßung: Dass ihr darüber entscheiden wollt, wie wir mit unserem Körper umzugehen haben. Jeder Junge hat das Recht zu pinkeln, wie er will. Meinetwegen auch in der stabilen Seitenlage. philipp-mattheis

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