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Jungs, warum findet ihr es so schlimm, wenn wir uns die Haare abschneiden?

Illustration: Katharina Bitzl; Foto: Dot.ti/photocase.de

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Liebe Jungs,

viele von uns tragen jetzt schon etwas länger immer dieselbe Frisur: etwa dekolletélange Haare, meistens offen, ab und zu auch mal im Dutt oder Pferdeschwanz. Wir mögen unsere Frisur ja, aber nach ein paar Jahren ist es dann doch etwas langweilig geworden und wir überlegen, die Haare einfach mal abzuschneiden, um was Neues auszuprobieren.

Und jetzt kommt der Kapitalfehler – wir sagen euch, dass wir zum Friseur gehen wollen. Ihr fragt, was wir denn machen lassen, woraufhin wir von unseren Plänen erzählen. Das ist für euch anscheinend ein echtes No-Go. „Du kannst dir doch nicht die Haare abschneiden!!!!“, „Bitte mach es nicht!“ oder „Ich komme mit zum Friseur und sag dem, dass der das nicht machen darf!!!“ Manchmal haben wir sogar schon erlebt, dass ihr dann echt mitkommt, um zu überwachen, dass da nicht zu viel abgeschnitten wird. Wahnsinn, oder?

Wenn wir euch dann erklären, warum wir jetzt echt mal Lust auf eine neue Frisur haben, dann versucht ihr, den Spieß umzudrehen und zu schleimen: „Das sieht doch jetzt gerade so gut aus! Warum willst du es denn ändern?“

Deshalb jetzt mal wirklich: Warum findet ihr das so schlimm? Erwartet ihr echt von uns, dass wir unser Leben lang nur den einen Haarschnitt haben sollen? Ist es euer mangelndes Vorstellungsvermögen, das euch glauben lässt, wir kämen als Twiggy oder Demi Moore (in Ghost) vom Friseur zurück? Oder ist es einfach euer Denken, in dem Mädchen lange Haare und Jungs kurze haben? So oder so: Findet ihr das nicht eigentlich etwas übergriffig, uns überhaupt so eine Szene zu machen? Es ist schließlich unser Kopf.

Geht doch mal in euch, liebe Jungs, wir würden nämlich wirklich gerne wissen, was euer tiefer liegendes Problem mit kürzeren Haaren ist...

Eure Mädchen

Die Jungsantwort:

Jungs-Antwort

Liebe Mädchen,

Lasst mich auf diese berechtigte Frage mit einer Geschichte antworten.

Ich kannte mal ein Mädchen. Es hat die perfekten Haare. Dieses Blond mit dunklem Grund, das selbst im dunkelsten Winter noch aussieht, als hätte bis eben die Sonne darauf geschienen. Wir gingen spazieren, ich legte den Arm um sie und irgendwie schafften es immer ein paar Strähnen ihrer Haare, sich in mein Gesicht zu verirren, als wollten sie mit mir spielen. Das hätte nerven können. Ich fand es wunderbar.

Denn diese Haare erinnerten mich immer wieder daran, was für ein Glück ich hatte, dass genau sie neben mir ging. Lagen wir nebeneinander auf dem Bett, vergrub ich mein Gesicht in ihren Haaren und dachte nur: Perfekt. Das sagte ich ihr auch eines Tages, und sie fragte, warum ausgerechnet ihre Haare mir so wichtig sein. „Sie lassen dich einfach gut erscheinen“, sagte ich, ohne eine Sekunde darüber nachzudenken. Es ging längst nicht mehr um ihre Haare.

Aber diese Haare abzuschneiden wäre dennoch nicht nur ein optischer Verlust gewesen. Es hätte sich angefühlt, als ob jemand das zarte Band, das zwischen uns und diesen Tagen wuchs, mutwillig kappte. Ich hätte das Schnippen der Schere nachhallen gehört wie den Fluch einer bösen Hexe, der uns für immer trennt. Ihre Haare standen für das, was ich in ihr sah. Ob ich mich nun irren würde oder nicht. Deshalb wäre ich bis zum äußersten gegangen, wenn sie angedroht hätte, sie abzuschneiden.

Egoistisch? Natürlich. Jemanden zu mögen geschieht nie aus Selbstlosigkeit. Und das ist völlig legitim. Das Recht auf Frisur-Vorlieben steht sicher irgendwo in den Menschenrechten. Neben dem auf die richtige Größe, Augenfarbe, Humor, Schuhgeschmack, Werte, Frisurentoleranz. Es ist eines der Wunder unserer Zeit, dass wir uns einen Menschen aussuchen können, wie auch immer er oder sie uns am besten gefällt. Jede noch so oberflächliche Wahl feiert diese Freiheit.

Aber zurück zu den Haaren. Man könnte sich an ihnen auf die Meta-Ebene ziehen, die Küchenpsychologie auspacken wie, nun ja, ein Friseur. Und analysieren, dass unsere Verlustangst gegenüber einem Symbol der klassischen Weiblichkeit auf alte Rollenbilder hindeutet. Dass wir Angst vor dem Kontrollverlust haben, mindestens aber vor Veränderung. Dass dahinter, schnippschnapp, der gute alte Kastrationskasper lauert. Mag alles stimmen. 

Oder man kann sich jetzt für ein paar Sekunden an ein paar Sekunden mit jemandem erinnern, die oder der die perfekten Haare hat. Und sich darüber freuen, dass es sowas überhaupt gibt. 

Lange Grüße,

Eure Jungs 

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