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Jungs, warum ist für euch so viel tabu?

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Die Mädchenfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Liebe Jungs, die heutige Frage ist mir in den Sinn gekommen, als ich neulich abends sehr gemütlich auf dem Sofa lag, im Laptop die amerikanische Serie „The Shield“, ein Handarbeitsbuch auf meinem Schoß und die Stricknadeln in den Händen. Bei „The Shield“, geht es um einen korrupten Drogenfahnder aus L.A., der nichts dabei findet, immer mal wieder ein paar Blöcke feinstes armenisches Koks abzuzweigen – all das garniert mit sehr viel roher Gewalt, Gefluche, und einem Übermaß an Testosteron. Bei dem Handarbeitsbuch dagegen geht es darum, möglichst hübsche Dinge aus einem Faden Wolle herzustellen. Es war ein sehr gemütlicher Abend, den ich da mit mir, Detective Mackey und einem Paar stetig wachsender Handschuhe verbrachte. Und während ich so in diesem „wie behaglich, wie geruhsam“-Zustand vor mich hindämmerte, da ist mir eingefallen, dass ihr Jungs in einer Hinsicht wirklich benachteiligt seid. Ich glaube, ihr dürft, in der Summe betrachtet, sehr viel weniger, als wir Mädchen. Denn wir können alles machen, was gemeinhin als typisch weiblich betrachtet wird. Und dazu auch noch (jetzt mal so rein theoretisch) alles, was früher als „Männersache“ galt. Es steht uns im Prinzip völlig frei, ob wir im Laufe unseres Erwachsenwerdens das Rollenmodell „Mädchen-Mädchen“ adaptieren und fortan nur noch in Chanel-Kostümchen herumwalzen, oder zu einem „Jungs-Mädchen“ werden, den Lastwagenführerschein machen und im Blaumann an der Autobahnraststätte den Grill anwerfen. Und das ist ja nicht alles – wir dürfen auch „Jungs-Mädchen“ sein und trotzdem eine feminine Seite haben. Und das tun wir auch. Zumindest in dieser Hinsicht hat die Emanzipation uns sehr weit gebracht. Ihr Jungs dagegen dürft zwar vielleicht exklusiv in Old-Boys-Netzwerken abhängen, aber trotz des von allen Medien vor Jahren ausgerufenen Zeitalters der Metrosexualität dürft ihr viele Dinge nicht tun, wenn ihr nicht eure Männlichkeit in der Öffentlichkeit in Frage stellen wollt. Nehmen wir zum Beispiel Handarbeiten: Ich kenne genau einen Jungen, der gerne, viel und gut strickt. Dieser Junge ist schwul, so wie fast alle anderen Jungs und Männer, die in der weltweiten Handarbeits-, bzw. Craft-Blogosphäre in Erscheinung treten. Ich glaube, wir Mädchen sind da um einiges weiter. Es gibt eigentlich so gut wie keinen Lebensbereich mehr in dieser unserer westlichen Welt, der für Jungs und Männer exklusiv wäre. Wir gehen in den Fußballverein, wir erscheinen im Smoking auf Abendveranstaltungen, und werden trotzdem nicht für Mannweiber gehalten. Wenn ihr dagegen einen Rock anzieht, dann seid ihr in den Augen der Öffentlichkeit entweder sehr homosexuell oder sehr, sehr, sehr komisch. Ich glaube, es gibt gar nicht so wenige Bereiche im Leben, die euch verwehrt bleiben. Vieles, worauf ihr vielleicht Lust hättet, tut ihr nicht, weil ihr Angst davor habt, was andere von euch denken könnten. Habt ihr denn das Gefühl, dass euch da etwas abgeht? Schaut ihr manchmal neidisch auf alte Frauen in der S-Bahn, die für ihre Enkelkinder kleine Fluffigkeiten häkeln? Oder auf modische Neuerscheinungen, die ihr auch gerne mal anprobieren würdet, ohne gleich als bärtige Transvestiten in Erscheinung zu treten?


Die Jungsantwort:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Reflexartig hätte ich jetzt "Quatsch!" gerufen, aber je länger ich darüber nachdenke, desto rechter hast du, wenn ich das mal so lax formulieren darf. Es ist wahr, dass wir in manchen Bereichen Probleme kriegen - mit unserer eigenen Vorstellung von Männlichkeit, so aufgeklärt die auch sein mag. Oder mit der Außenwirkung, die ja meistens weniger aufgeklärt ist. Meistens sind das, wie dein Beispiel, keine wirklich störenden Bann-Bereiche. Nichts, gegen dessen Männerfeindlichkeit man unbedingt protestieren müsste. Es gibt eben Dinge, die wir einfach nicht machen: * Im Winter kuschelig warme Strumpfhosen unter der Jeans tragen. * Unsere momentane Karriereblockade auf gesellschaftliche Missstände schieben. * Unseren besten Freund einfach mal in die Arme nehmen. Denn mannhaft krachendes Schulterklopfen hilft zwar bei Rückenblockaden, gegen Liebeskummer ist es wirkungslos. * Der blühend-gelbe Pickel ließe sich so einfach mit eurem Abdeckstift ausradieren. Leider ist die Furcht vor verräterischen, falsch interpretierbaren Make-Up-Spuren bei uns viel zu groß. * Beim herzzerreißenden Filmende einfach die Gefühle rauslassen. Stattdessen pressen wir Ober- und Unterkiefer fest aufeinander, halten dabei die Luft an und hoffen inständig, dass keine der aufgestauten Tränen über unsere Lidkante schwappt. * Vor Stolz kreischen, tanzen und in die Luft springen. Stattdessen stellen wir die eigenen Erfolge als Selbstverständlichkeit dar – und verderben uns so die Freude irgendwie selbst. * Prosecco auf Eis trinken: Schmeckt uns auch, wenn wir es bestellen, haben wir aber sofort Bully Herbig im Ohr und irgendjemand macht eine Handbewegung, als seien ihm plötzlich alle Muskeln im Unterarm erschlafft. * Uns rausputzen. Der verächtliche Frauen-Satz "Der braucht länger als ich im Bad." begleitet uns oft und ist nach wie vor ein großer Lacher. Deswegen achten wir auf unsere Badbenutzungszeit viel mehr als ihr und reden uns streng ein, dass wir nichts brauchen außer Wasser, Seife und Deo. * Manchmal würden wir gerne einfach nur gut aussehen. Und das würde dann irgendwie schon reichen oder zumindest die halbe Miete sein. Das ließe sich noch lange fortsetzen. Natürlich sind alle diese Dinge schon mal von einem Jungen praktiziert worden, aber die durchschnittliche Männermasse würde sie doch eher als Fremdverhalten einstufen. Tatsächlich sind Frauen samt Rolle in den letzten Jahrzehnten also wesentlich universaler geworden, während sich beim Mann in dieser Richtung eher wenig getan hat. Er war solange das Maß der Dinge, dass Elastizität und Fortbildung einfach nicht nötig war. Das Männerbild war in einen Felsen gemeisselt. Jetzt stehen um den Männerbild-Felsen auf einmal noch 243 andere Felsen mit Frauenbildern. Der Felsen mit dem Männerbild ist da irgendwie untergegangen. Gut so. Nur schade, dass sich noch so viele an das erinnern, was da eingemeisselt war. Denn deswegen muss jeder Mann noch die nächsten zwanzig Jahren bei allem, was schön ist, auf das Adjektiv "schwul" gefasst sein. Selbst wenn es gar niemand sagt, hört er es irgendwie doch. Ganz leise. fabian-fuchs

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