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Jungs, warum müsst ihr euch austoben?

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Jungs, warum müsst ihr euch austoben? Wir haben das Abi überlebt. Und die Uni. Der Kinderkram ist nun endgültig abgehakt, denken wir. Und wenn wir nach unserem Beziehungsleben gefragt werden, dann würden wir Mädchen wahrscheinlich sagen: „Alles paletti! Zwar kein Kinderspiel – wie das halt so, nach zweidreivierfünf Jahren Beziehung, aber sonst…“ Und natürlich wären wir fest davon überzeugt, dass es euch, die ihr diese Beziehung mit uns führt, genauso geht. Und dann kommt der Schlag mit dem Vorschlaghammer. Eines Tages, so mit plusminus Mitte Zwanzig steht ihr auf einmal mit Sack und Pack vor uns und zertrümmert mal eben mit einem dahingenuschelten Satz diese Beziehung und unsere Vorstellung davon. Und wie lautet der Satz? „Ich bin noch nicht bereit, ich muss mich erst noch einmal austoben!“ Das Leben und die Beziehung mache zwar Spaß und – ha! – dieses Mädchen, dem ihr da gerade das Herz gebrochen habt, sei ja das beste Mädchen der Welt, eigentlich die Wahre, die Eine. Und eigentlich wäre schon auch klar, dass ihr mit diesem Mädchen (das gerade anfängt, sich vorsichtig an den Kopf zu greifen, weil es meint, möglicherweise verrückt zu werden) auch bis ans Lebensende zusammen sein wollen würdet, wenn ihr dann nach euren Abenteuern wieder ins traute Heim zurück kehrt. Und anscheinend geht ihr da auch mal eben so davon aus, dass euch so schnell niemand den Platz an der Seite dieses tollsten aller Mädchen streitig machen wird. Und dann sitzt dieses Mädchen plötzlich wieder alleine da und stellt sich einige Fragen. Zum Beispiel, ob dieses Verlangen danach, sich noch einmal auszutoben, irgendetwas mit Schulhofritualen in der Pause zu tun hat? Ob diese Austobe-Jungs nur eine Auszeit vom Ernst des Lebens nehmen wollen? Oder von der Beziehung? Oder soll es die Ansage doch ganz einfach persönlich nehmen? Und warum sollte das Mädchen dieses absurde Spiel mitspielen und euch den rechten-rechten-Platz-freihalten? Wir Mädchen verstehen in diesem Moment die Welt nicht mehr. Was müsst ihr denn nachholen, fragen wir, wenn doch alles super ist? Oder ist „Austoben“ doch nur eine Chiffre dafür, dass ihr euch und uns das Ende einfach nicht eingestehen könnt? Und müsst ihr euch alle austoben?


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Angenommen, dein Lieblingsessen ist eine Pizza. Du liebst diese Pizza über alles und wenn du dich für ein Gericht entscheiden müsstest, das du dein Leben lang essen müsstest, du würdest laut rufen: „Pizza!“ Nicht ein einziges Mal würdest du an dieser Entscheidung zweifeln. Das beste Essen der Welt? Ganz klar, Pizza bis ans Lebensende. Auch an schlechten Tagen, wenn du mal nicht so viel Appetit hast, würdest du Pizza essen, einfach, weil die Pizza und du zusammengehören. Nun passiert aber etwas ganz Blödes: Ein Kellner, es kann auch ein böser Geist oder ein Kobold sein, taucht jedes Mal in genau dem Moment auf, in dem du den ersten Bissen Pizza nehmen willst. Er steht vor dir und hält dir ein Stück Schnitzel unter die Nase. Oder Rollmops. Oder Lasagne. Oder irgendetwas anderes. Anfangs nervt der Kobold gewaltig, du scheuchst ihn weg, du sagst zu ihm: „Entschuldigung, lieber Geist, aber ich liebe meine Pizza!“ Meistens ignorierst du den Quälgeist einfach - monatelang, jahrelang. Doch es kommt der Tag, an dem dir die Pizza zum ersten Mal langweilig wird. Sie schmeckt immer noch gut, und wahrscheinlich besser als jedes andere Gericht. Aber du bist dir nicht mehr hundertprozentig sicher. Nur noch zu 95 Prozent. Du fragst dich, wie wohl diese Lasagne schmecken würde, die der Kobold da empfiehlt. In diesem Moment kommt ein guter Freund vorbei, er hört sich dein Problem an und sagt lachend: „Ich habe schon Schnitzel, Rollmops, Lasagne und Crème brûlée probiert. Kobold? Hatte ich früher einmal, aber seitdem ich alles probiert habe, ist er verschwunden.“ Und jetzt kommt der kritische Punkt: Du beneidest diesen Freund. Hat er nicht die Sicherheit, die du so gerne wieder hättest? Ist er nicht ein richtiger Mann, der Erfahrungen gemacht hat, durch Tiefen und Höhen gegangen ist und nun, am Ende dieses langen, beschwerlichen Weges, endlich weiß, was er wirklich will? Hat er nicht diesen lästigen Kobold vertrieben? Muss nicht ein jeder Junge erst einmal alles ausprobieren, um dann mit Sicherheit sagen zu können: Pizza, ich liebe dich! Liebe Mädchen, verzeiht den Vergleich, aber in diesem Fall seid ihr die Pizza. Und zu euch sagen wir dann diesen Satz: „Ich muss noch etwas anderes probieren, bevor wir Nägel mit Köpfen machen.“ Wir sagen das, weil wir hoffen, unseren letzten Rest Zweifel zu überwinden und uns dann ganz sicher zu sein, dass wir euch wollen. Bei manchen verschwindet der Zweifelkobold nach dieser Zeit tatsächlich, anderen aber bleibt er ein Leben lang, sie kriegen ihn nie wieder los. Und glaubt uns, so ein Kobold macht nicht glücklich. Ach ja, und manchmal sagen wir diesen Satz auch einfach, wenn wir uns in jemand anders verliebt haben. In den Rollmops zum Beispiel. philipp-mattheis

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