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Jungs, warum spuckt ihr auf den Boden?

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Jungs hocken gelangweilt auf einer Bank rum und lassen sachte ihre Spuckefäden in Richtung Boden gleiten. Kurz vorm Kontakt mit dem Untergrund saugen sie ihren schleimigen Sabberstrang spagetthiartig wieder ein. Ekelhaft und äußerst fragwürdig fand ich dieses merkwürdige „Ritual“ schon immer. Doch es muss nicht ganz so widerlich sein. Das schlichte auf den Boden Rotzen scheint auch großen Jungs jenseits des Teenageralters noch eine Freude zu bereiten. Ob Spucke, Rotze, Oli (?), Schnodder, Nasenschleim oder Grüner – es muss auf jeden Fall raus. Und das auf schnellstem Wege. Auf den Rasen gerotzt wird nicht nur beim Fußball – nein, auch in der Fußgängerzone oder an der Bushaltestelle gibt es sie noch: Die Typen, die aus irgendeinem Grund das Verlangen verspüren, sich in aller Öffentlichkeit ihrem überflüssigen Speichel (oder sonstigen Körperflüssigkeiten) zu entledigen. Was soll das Ganze? Wollt ihr damit irgendwie besonders gleichgültige Coolness ausdrücken? Mich erinnert das eher an besoffene alte Männer, die ihren überschüssigen Schnupftabak loswerden wollen. 



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Wir müssen uns, um diese Frage zu beantworten, in den nächsten Minuten mit sehr viel Menschlichem und Allzumenschlichem beschäftigen. Seid also gewarnt, und wenn ihr zu den Mädchen gehört, die Spucken nicht nur eklig, sondern super-mega-abstoßend-widerlich finden, lest am besten gar nicht weiter.  

Vor ab: Spucken ist nicht gleich Spucken. Es gibt drei Arten: Die erste ist das subversive Pseudo-Angry-Young-Men-Spucken, das lässig-verachtende aus dem Mundwinkelspucken. Die zweite Variante ist das Fußballer-Sportler-Spucken und die dritte ist die Alte-Männer-Schleimhochzieh-Variante. Warum Fußballer spucken ist relativ leicht zu erklären und hat einen physiologischen Grund: Beim Sport schwellen die Schleimhäute an und produzieren mehr Speichel und Rotz. Der muss dann irgendwo hin. Bei der Alte-Männer-Schleimhochzieh-Variante handelt es sich um ein medizinisches Mysterium: Manche Männer (dazu gehören etwa 400 Millionen Chinesen) sind der Meinung, es sei ungesund Rotz (auf Bairisch: Haaring) runterzuschlucken (was medizinisch nicht stimmt). Am meisten Fragen wirft die Pseudo-Angry-Young-Men-Spucken auf.    

Von der achten bis zur zehnten Klasse gab es einen Spuckkreis auf dem Pausenhof. Eine Gruppe von Jungs traf sich dort jede Pause, bildete einen Kreis und spuckte in die Mitte. Am Ende der Pause schimmerte eine schleimige, leicht schäumende Pfütze auf den Pflastersteinen. Der Driffmeier sagte: „Krasse Lacke“, und der Ulf, der Punk, meinte süffisant „schön eklig das“. Ab und zu kam ein Lehrer vorbei und schaute angewidert. Verbieten konnte er uns das Spucken aber nicht. So war der Spuckkreis eine Art subversiver Akt – er brachte Protest zum Ausdruck, konnte aber von Lehrerseite nicht unterbunden werden. Weil sich im Spuckkreis also subversive Individuen sammelten, und diese Leute meist interessanter sind, als diejenigen, die in der großen Pause nochmals kurz über die Binomischen Formeln sprechen, fing auch ich zu spucken an. Mitmachen war nicht schwer, spucken kann ja jeder.    

Nach der Schule saßen die Spucker auf der Bank vor dem Bahnhof (nie auf der Sitzfläche, immer auf der Lehne) und spuckten von dort herunter. Wenn sie auf die S-Bahn warteten, spuckten sie auf den Bahnsteig und der verrückte Dennis spuckte sogar in die S-Bahn. Wo immer die Spucker gewesen waren, hinterließen sie eine Marke. Alle anderen fanden das natürlich eklig, aber genau das wollten die Spucker ja. Darin unterscheiden sie sich nicht von Punks, die wollen auch mit Ratten, grünen Haaren und Sicherheitsnadeln durch die Backe schrecklich gefunden werden. Ich war 15 und wo immer ich länger als 20 Sekunden stand, spuckte ich. Wenn ich Zigaretten rauchte, spuckte ich noch mehr und am meisten spuckte ich, wenn ich Spezi getrunken hatte. Ich bilde mir ein, dass sich mein Körper daran gewöhnte und dementsprechend mehr Speichel produzierte.   Irgendwann hörte die Spuckerei auf. Das Ende korrelierte ziemlich genau mit dem Zeitpunkt, an dem auch diese Angry-Young-Men-Phase vorüberging. Spuckende Jungs wollen eklig gefunden werden, nicht-spuckende Jungs wollen gefallen.

stefan-winter

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