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Jungs, was bedeutet eine SMS nach drei Jahren Funkstille?

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Die Mädchenfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Liebe Jungs, in dieser Woche wollen wir einmal eine ganz einfache Frage stellen, von der wir sogar ahnen, dass wir die Antwort darauf im tiefsten Inneren eigentlich eh schon kennen. Aber sicher ist sicher, deshalb hier noch einmal ganz offiziell die Frage mit Bitte um anschließende (ganz ehrliche) Beantwortung:
Was genau bedeutet es, wenn ihr nach zwei bis drei Jahren totaler Funkstille auf einmal wieder SMS schreibt? Gerne in den späten Abend- bis frühen Morgenstunden? Meist ungefähr folgenden Inhalts
„Na, du? Musste gerade sehr an dich denken. Wie es dir wohl geht? Und was du so machst? Meld’ dich (wenn du willst)!“
 
Bei denjenigen von uns, die in Sachen Liebe vor allem im Fach „Romantischer Komödie“ geschult sind, spult sich angesichts solcher Zeilen selbstverständlich sofort ein Film ab, der ungefähr so geht:
Junger Mann kontempliert eines schönen Abends alleine (weil er die große Liebe auch in New York nicht gefunden hat) auf der Feuerleiter vor dem Fenster seines Lofts in New York (haben wir schon erwähnt, dass er jetzt in New York lebt?) bei einem Glas Getränk seine vergangenen Beziehungen und Affären. Und kommt nach sehr vielen Überlegungen zu dem Schluss, dass es nur eine in seinem Leben gab, von der er bereut, dass er sie gehen ließ (der Fachterminus hierfür heißt „the one that got away“).  Und der schreibt er dann, nach drei Jahren genau so eine Nachricht, oder, wenn es etwas mehr Hollywood sein darf, er trifft sie beim einsamen Weihnachtsbaumeinkauf bzw. platzt gerade noch rechtzeitig in ihre Hochzeit, um alles zu verhindern.
Aber da unser Leben auch sonst nur selten dem Drehbuch einer romantischen Komödie gleicht, können wir gewisse Zweifel an dieser Theorie nicht ausschalten. Also, was wollt ihr uns genau mit diesen SMSen sagen?   



Die Jungsantwort:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Ah, die berühmte Nach-Mitternacht-im-Tagungshotel-SMS, ein schönes Thema. Sie muss natürlich nicht in einem Tagungshotel geschrieben worden sein, aber dieser Ort deutet schon ganz gut die Hintergründe an. Ein Tagungshotel ist ein Platz, in dem man die Einsamkeit aus jeder Bettfalte schütteln kann. Den ganzen Tag ist man da mit vielen zu erwachsenen Menschen zusammen, dann hockt man plötzlich im Einzelzimmer, draußen ist Bad Doberan, der Kühlschrank simmert und man hat den ganzen Tag lauwarmes Tagungsmineralwasser getrunken. Man muss kein begabter Misanthrop sein, um in dieser Stimmung ins große Grübeln zu verfallen und mit Blick auf Blautannen das eigene Leben einer kritischen Revision zu unterziehen. Wenn später noch zwei dieser Winzfläschchen Dornfelder dazu kommen und man einen Weinkrampf kriegt, weil keines der kleinen Schokotäfelchen auf dem Kopfkissen lag, dann erinnert man sich irgendwann an diese gute Zeit mit dieser einen Frau. In der man noch so weit weg war, von Blautannen und lauwarmem Mineralwasser. Diese Frau gibt es ja immer und bei jedem, das hat erstmal nichts mit verpfuschten Leben in Tagungshotels zu tun, diese Orte arbeiten das nur schneller heraus.

Mit der Frau aus der Vergangenheit, die plötzlich wie die Gold-Else auf der Siegessäule wieder ins Bild kommt, war man mal kurz zusammen oder hatte das sog. „was“ oder man teilte mit ihr ein paar Monate die WG und weiß aus diesen gemeinsamen Zeiten genau: Das war eine, die in solchen trüben Stunden immer noch angenehme Gesellschaft war. Mithin also eine Frau, anders als die anderen, wertvoll, nachhaltig, höchstwahrscheinlich die einzige Rettung aus dem großen Jammertal. Zumindest verklärt man es sich in diese Richtung, genau wie man auch verklärt, warum es damals letztlich doch nichts wurde. Wäre man bei Kräften, wüsste man das ja sofort, genau wie man es am nächsten Tag, spätestens am übernächsten wieder weiß und dann die SMS ein bisschen bereut. Aber in dem Moment eben, da ist sie der Strohhalm, schnell geschrieben, mit leichten Emo-Signalen garniert und in der wilden Hoffnung, dass... tja, was eigentlich? Im Idealfall würde von euch etwas zurückkommen wie:

„Du. Gerade jetzt. Lass uns. Wollen wir. Egal, ich freue mich. Und bitte lass es jetzt nicht wieder drei Jahre still sein, ja?“

Darauf würde sich ein hochfrequenter SMS-Wechsel anschließen, der ernste und neckische Komponenten hat und schließlich würde man gegen drei Uhr doch noch anrufen, kurz nachdem man sich mehrmals „Schlaf gut!“ gewünscht hat und danach wäre die Nacht in Bad Doberan rum und man hätte endlich wieder Herzklopfen und Augenringe, ganz so wie früher. Das passiert natürlich fast nie. Was stattdessen oft passiert: Nix. Das spitzt die Lage in der Depressions-Suite zunächst noch zu, ist aber, wie man später erkennen wird, die sozialverträglichste Lösung, man schläft gramgebeugt und weltverachtend irgendwann ein. Dritte Möglichkeit: Es kommt von der Dame nach etwa einer Stunde etwas wie „Sind grade bei Matzes Eltern, am Samstag geht’s für drei Monate nach NZ. Yeah!“, worauf man endgültig kotzend am Balkon steht.

Aber zurück zu deiner Frage, du wolltest eine ehrliche Antwort. Ehrlich ist: Wir schreiben diese SMS nicht allzu oft und nicht an jede, also prinzipiell ist es so eine Art Kompliment. Aber leider auch keine Garantie, dass nur du sie in dieser Nacht erhältst. Die Beweggründe aus der wir sie schreiben sind eine komische Mischung aus niederen und ehrenvollen. Nieder, weil wir uns letztlich nur irgendeine Selbstbestätigung davon erhoffen. Ehrenvoll, weil alles ehrenvoll ist, was friedlich gegen die Einsamkeit kämpft. Und weil wir euch nicht ganz vergessen haben, in den letzten drei Jahren. Merkt euch: Es gibt sehr viele Frauen in unserem Leben, denen wir so eine SMS nie schicken würden. Merkt euch im Gegenzug aber auch: Es gibt nur sehr wenige, meistens nur ein aktuelle Frau, für die wir auch im Schlafanzug zur nächsten Telefonzelle wandern würden, nur um mal Hallo zu sagen, wenn die Kommunikationstechnik noch nicht so bequem wäre, wie sie ist. Es muss also wohl leider festgestellt werden, dass wir uns beim Abschicken wesentlich weniger Gedanken machen als ihr, wenn ihr das Zeug bekommt. Dabei ist die Sache recht einfach. Keiner erwartet, dass ihr sofort in den Nachtzug nach Bad Doberan steigt, den gibt es nämlich sowieso nicht. Auch alle Gedanken über spontanes Aufkündigen eurer aktuellen Liebessituation dürften als übereilt gelten. Wir haben uns auch nicht total geändert, radikal verbessert, unsterblich und ad hoc neu in euch verliebt, schwerkrank sind wir meistens auch nicht.

Die SMS ist eigentlich nur Ersatz für diesen Moment, den es nicht mehr gibt. Den Moment, in dem wir euch zufällig auf irgendeinem Fest treffen und sofort wissen, das wird ein schöner, interessanter Abend werden, an dem alles irgendwie fließt und kitzelt, ohne dass es zu ernst oder bedeutungsvoll wird. Solche heiligen Momenten gibt es irgendwann nicht mehr zwischen zwei Menschen, weil das Leben sie eben auseinandergezogen hat, passiert ja jeden Tag und meistens mit guten, vernünftigen Gründen. Das ändert aber nichts daran, dass man sich hin und wieder daran erinnert und ein bisschen sentimental sein möchte, was eben in Tagungshotels, alten Kinderzimmern oder langen Heimfahrten im Nachtbus besonders gut geht.

Also: Wenn ihr uns nicht mehr mögt oder uns tatsächlich vergessen hattet – antwortet nicht. Siehe oben, wir ertragen das schon. Wenn ihr antworten möchtet, dann so, wie ihr antworten würdet, wenn nicht drei Jahre sondern nur drei Tage vergangen wären. Das ist die Illusion, die wir nach Mitternacht wollen. Für die brachialen Realitäten ist am nächsten Tag immer noch Zeit.

max-scharnigg

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