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Jungs, welche Rolle spielen wir für euch während der WM?

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Liebe Jungs, das alltägliche Fußballgeschäft ist euer Metier. Bundesliga, DFB-Pokal, all dieser Kram geht an mir und meinen Mädchenfreundinnen verlässlich vorbei. Und zwar vollständig. Bloß selten kriegen wir zur Nicht-WM Zeit mal eine leichte Fußballbrise ab - und dann auch nur, weil wir mit euch zusammen sind. Ohne euch wäre Fußball ein Wort, das in unserem Wortschatz völlig verlottern würde. Ja gut: Natürlich kann man nie, nie, nie für alle sprechen. Aber meiner Erfahrung nach trifft diese These für die meisten Mädchen absolut zu. So. Jetzt aber kommt die Fußball-WM. Und plötzlich werden aus dem Gros meiner weiblichen Bekannten augenscheinlich Fußballfans. „Spinnt ihr jetzt?“, denke ich dann. Was ich aber schnell verstehe: Massenjubelei euphorisiert eben. Ganz egal, ob ihr Auslöser nun ein Festival, eine Demonstration oder eben ein Fußballfest ist. Mir ist dieses wunderschöne, hitzefreiartige Gemeinschaftsgefühl der WM schließlich auch nicht fremd. Was ich nicht verstehe: Die hemmungslose Billigkeit vieler Mädchen zur WM. Ich habe das Gefühl, jedes zweite Mädel verkleidet sich zu diesem Anlass als das schlechte Double einer Spielerfrau. Und meint das auch noch todernst. Im Fernsehen, im Internet, in den Zeitungen - überall springen mir schwarz-rot-gold glänzende Brüste entgegen. Schmollmundige Blondchen halten ihre flaggenbemalten Wangen in die Kamera und jubeln auf den Schulter ihrer Jungs blauäugig und blondhaarig in den Himmel hinein. Dazu tragen sie als Ballacktrikot getarnte Pornokleidchen, kokettieren mit der Strapsigkeit von Wadensöckchen und binden sich goldene Schleifchen in die Haare. Es kommt mir so vor, als ginge es diesen Mädchen dann überhaupt nicht mehr um das beschriebene Gemeinschaftsgefühl. Um das Feiern, um den Sommer, um den erlaubten Patriotismus. Vielmehr glaube ich, diese Mädchen machen das ganze Theater ausschließlich für euch, Jungs. Sie nutzen eure olé-olé Veranstaltung als Bühne für ihre sexuelle Selbstinszenierung. Sie wollen dieser Angelegenheit, die ihnen sonst bloß Konkurrenz macht, nun die Schau stehlen. Dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist, haben sie schnell kapiert. Aber macht ja nichts: Biedern sie sich eben an. Ziehen sie sich eben aus. Heucheln sie eben Interesse, um sich jedenfalls mit euch zu verbünden. Ein: „Du bist mir aber eine geile Sau, interessierst dich für Fußball, wow, ich steh’ ja auf sportliche Frauen!“ – Satz in der Halbzeitpause reicht ihnen dann schon. „Klar, totaaaal!“ entgegnen sie darauf und gießen sich noch einen Schluck Bier in den Ausschnitt, auf dass ihr darin herumleckt. Ihr seid die Hugh’s, sie sind eure Bunnies. Sagt ehrlich Jungs, wie empfindet ihr das? Nehmt ihr diesen Mädels ihren pseudointeressierten Häschenquatsch wirklich ab? Oder wollt ihr uns vielleicht sogar so? Braucht ihr das? Findet ihr das heiß? Oder seid ihr insgeheim vielleicht einfach viel zu betrunken, um überhaupt etwas von diesem ganzen Getakel zu bemerken? Welche Rolle spielen wir für euch während der Fußball-WM?


Die Jungsantwort

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Hm, jetzt wo du das so beschreibst sehe ich diese Mädchen tatsächlich überall vor mir, wie sie die Public-Viewing-Areas säumen, mit einem wahrhaft Lorelei'schen Sexappeal: blond, busig und bemalt und ja, irgendwie bereiter als sonst. Du hast also Recht, auch Mädchen verhalten sich zur WM. Aber warum so? Es stimmt, meine Geschlechtsgenossen und ich, wir sind derzeit kollektiv aufgeregt und nicht mal die Hälfte von uns würde ich als richtige Fußballfans einordnen. Die vier Wochen WM versprechen uns aber eben mehr als nur Fußball, sie stellen einen legitimierten und solidarischen Rückfall in steinzeitliche Verhaltensmuster dar. Vier Wochen lang zusammen in dunkeln Höhlen kauern, Fleisch vom Feuer essen, trinken und grölen. Im Vergleich zum Bundesliga-Alltag mit seinen kurzen Samstagnachmittagen ist das ein Unterschied wie zwischen im Hof spielen und ins Zeltlager fahren. Und während ihr sonst ebendiese Samstagnachmittage gut verschmerzen bzw. überhaupt nicht bemerken könnt, klappt das bei so einem Turnier natürlich nicht mehr. Mädchen können ihr Freunde ja nicht vier Wochen einfach so abschreiben, sondern registrieren notgedrungen die WM-Ablenkung und gehen eben mit. Im Übrigen ist es dabei ja so ein bisschen wie mit der Kirche – jeden Sonntag gehen nur die richtigen Fans, aber wenn Kirchentag oder Papstwahl ist, stellen sich auch Halb- und Viertel-Fans dazu, in Erwartung historischer Augenblicke und Massengänsehaut. Letztere funktioniert konfessionsübergreifend und deswegen ist es ganz normal, wenn die Mädchen eben auch mitschreien und am Ende des Spiels rumhüpfen müssen, weil es so spannend ist. Warum das aber zusätzlich mit einer Sexualisierung und lockender Verkleidung einhergeht, erklärt sich damit noch nicht, zumal wir Jungs uns kleidungstechnisch eher simpel geben. Und zumal uns im Vorfeld eines interessanten Spiels auch nicht nach Flirten oder vieldeutigen Blicken zumute ist, die gelten dann eher der Mannschaftsaufstellung oder der Bodenbeschaffenheit in Südafrika. Gut, man könnte sagen, dass wir in dieser Zeit eben zu Ur-Männern werden und uns nicht an die zivilisatorischen Standards halten und ihr euch in Entsprechung dazu auf eure Ur-Weiblichkeit konzentriert. Vielleicht ist es die Erfüllung eines Cheerleader-Traums, die schließlich auch nichts anderes machen als am rand des Spielfelds hübsch zu sein? Oder wäre es möglich, dass euch das urtümliche Verhalten der Männer inkl. der Spielerkörper auf dem Fernsehschirm und dem hier wie dort vergossenen Schweiß, äh, stimuliert? Vielleicht seid ihr auch nur eifersüchtig auf dieses Ereignis, das unsere Aufmerksamkeit so bannt und deswegen werden eure Dekolletés noch appetitlicher und mit neckischer Bemalung wollt ihr uns daran erinnern, wo wir die restlichen Tage des Jahres wieder hinschauen werden. Das mag alles sein, vielleicht, ganz vielleicht, seid ihr aber nur wieder schlauer als wir, die wir nach jedem Schlusspfiff und vor allem nach jeder Niederlage neu überrascht und unzufrieden in die Wirklichkeit zurückkehren. Eine Wirklichkeit in der das Bier leer ist und das nächste Deutschlandspiel erst wieder in fünf Tagen, in der man Pfandbecher zurückgeben muss oder absurde Wettbeträge verloren hat. Ihr wisst das und signalisiert in diesem Moment mit eurem lebenslustigen Aussehen: Jungs, jetzt heult nicht, es gibt Wichtigeres. Jetzt haben wir 90 Minuten euer Spiel mitgemacht, dafür feiern wir jetzt wieder nach unseren Regeln! Vielleicht also, liebe Mädchen, ist eure Funktion bei der WM eine überaus wichtige: Memento vivendi, oder so. Ihr sorgt für den schnellen Abtransport der fußballversuchten Blutkörperchen aus unseren Köpfen. Ihr nehmt uns in den Arm oder lasst uns wenigstens wieder daran denken. Ihr räumt das Hirn frei und nur dadurch können wir uns wieder so richtig auf den nächsten Fußballtag freuen. Also, wenn das so ist, danke fürs Mitgrölen! fabian-fuchs

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