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Jungs, wie nerdig dürfen wir sein?

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Die Mädchenfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kürzlich stand ich mit einem frisch kennen gelernten Jungen an einer Bar und unterhielt mich mit ihm über das Wetter, die Bierpreise und was man sonst noch so rumplänkelt, wenn man sich optisch heiß findet, aber noch nicht so recht weiß, ob das reicht. Weil der Junge aber auch nach einiger Zeit nicht unangenehm auffiel, unterzog ich ihn meinem persönlichen Nerdtum-Test und lenkte das Gespräch auf Musik. Ob ich nun universell Ahnung davon habe oder nicht, sei dahingestellt: Ich beschäftige mich viel und obsessiv damit, kann Stunden um Stunden verplempern, indem ich im Internet nach Remixen suche, führe Master-Post-Its mit Konzertdaten und besitze mehrere externe Festplatten, die streng musikalisch katalogisiert sind. Ich hielt also einen tiefschürfenden Monolog über den Miami-Horror-Remix von „Music Sounds Better“ und wartete darauf, ob der Junge im Stehen einschläft, plötzlich ganz schnell weg muss oder den für mich schlimmsten aller Sätze sagt: „Ach, ich hör so querbeet…“ Zu meiner Freude stieg er aber sofort auf mein Nerdtum ein und wir redeten den restlichen Abend über Mp3-Blogs, neue Platten und all den anderen Musikkram, der mich brennend interessiert. Am Ende beschlossen wir, dass der Gesprächsstoff auch noch für ein Kaffeetreffen am nächsten Tag reichen wird. Soweit, so der Optimalfall. Eine meiner Freundinnen hat derweil mit ihrem Nerdtum fast immer Pech. Sobald sie auspackt, dass sie leidenschaftlich "World of Warcraft" spielt, steht sie in 9,9 von zehn Fällen allein mit ihrem Getränk an der Bar. Selbst wenn ihr Gesprächspartner selbst gerne zockt und einen erfolgreichen WOW-Avatar sein eigen nennt. Jungs, woran liegt das? Gibt es für Mädchen gutes und schlechtes Nerdtum? Hüpfen wir da sofort wieder in die ollen Geschlechterbilder und Spezialistentum auf maskulinen Territorien wie Computerspielen, Comics oder Wurfsterne sammeln macht uns unsexy? Musik ist dagegen irgendwie süß und ungefährlich, selbst wenn wir euch mit unserem Wissen dabei voll in die Tasche stecken?


Die Jungsfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ach, ihr Girls! Prinzipiell ist es ja so: Eine etwas abseitig platzierte Leidenschaft wertet jeden Menschen auf. Auch Euch. Nichts ist langweiliger als ein Mädchen, mit dem man nur über den Inhalt der aktuellen OK, das Wetter und seinen letzten Klamottenkauf reden kann, und wir vermuten stark, dass das umgekehrt ähnlich ist. Wenn ihr also so am Tresen steht oder mit uns durch die Stadt schlurft und uns etwas über Vintage-Fahrpläne, nordkoreanische Propaganda-Comics, Kräuteraufzucht oder echt unterschätzte rumänische Dogma-Filme erzählt, finden wir das prinzipiell erst einmal super. Allerdings nicht unbedingt, weil uns das alles brennend interessiert, sondern eher, weil wir Euch gerne zuhören. Und weil es zeigt, dass ihr etwas im Köpfchen habt. Wir stellen uns dann vor, wie ihr in mittelnaher Zukunft an einem schönen Sonntagmorgen neben uns auf dem Sofa sitzt, etwas Schlaf aus den Augen reibt, an Eurem Kaffee nippt und in einer Fachpublikation oder einem total verrückten Blog schmökert. Schöne Sätze lest Ihr vor. Musiknerds werden wir übrigens immer mögen. Das liegt einfach daran, dass wir oft selber welche sind und uns Gespräche über - je nach musikalischer Prioritätensetzung - Blur-B-Seiten oder Miami-Horror-Remixe total normal vorkommen. Mit "World Of Warcraft" sieht es leider etwas anders aus, was mit Genderkram nicht sehr viel zu tun hat. Vielmehr hat man den Eindruck, dass die Anhänger dieses Spiels 19 von 24 Tagesstunden vor ihrem Computer verbringen, dazu sehr viele Zigaretten rauchen und die Sache mit dem Essen entweder etwas zu Pizzaservice-lastig gestalten oder halt komplett vergessen. Das kann im angepeilten Beziehungs- oder Liebelei-Alltag leider ein wenig störend wirken. Ich denke da etwa an meinen Bekannten M., dessen Freundin zu den Anhängern dieses Spiels gehörte. Die kettete sich quasi an ihrem Rechner fest. Und als es irgendwann in den Urlaub gehen sollte, war das natürlich ein Problem. Plötzlich musste sie den Rechner ausmachen. Sie saß dann im Flugzeug und war sehr sauer, weil sie irgendeine Mission nicht mehr zu Ende bringen konnte. Eine böse Geschichte, die natürlich eine Moral hat: Wenn ihr den Herzjungen in spe nicht gerade auf dem örtlichen Gamertreffen kennenlernt, die Vorliebe für Computer-Rollenspiele bitte zunächt verschweigen. Die wirkt nämlich oft wie eine Sucht. Und Süchte sind ganz, ganz uncool. Für den restlichen Kram gilt: Wenn Nerdtum mit einer gewissen Bescheidenheit ausgefürt wird, ist es eine Topsache, die Eure Grundschnuffigkeit noch einmal um mindestens einen Kilometer in den Himmel hebt. jochen-overbeck

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