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Jungs, wieviel Wut tragt ihr in euch?

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„Zwei mit Sturmgewehren bewaffnete Schüler erschießen zwölf Mitschüler“, „ein ganz in Schwarz gekleideter junger Mann stürmt seine alte Schule“, „ein Amokschütze tötet an der Uni“ – immer sind es junge Männer, bei denen aus einer wie auch immer entstandenen Wut heraus oder aus einem merkwürdigen Rachebedürfnis für erlittene Zurückweisungen die Sicherungen durchbrennen. Und vor nicht allzu langer Zeit wurde in vielen Magazinen über die Krise der jungen Männer geschrieben, weil das tradierte Männerbild abhanden gekommen sei und noch kein neues in Sichtweite. In einem Interview mit dem pakistanischen Schriftsteller Moshin Hamid laß ich neulich folgende Erklärung dafür, dass es immer die jungen Männer sind, die ausrasten: „Es gibt in der Welt und es wird in ihr immer eine gewisse Zahl junge Leute geben, vornehmlich junger Männer, die eine enorme Wut in sich tragen und den Drang empfinden, diese Wut in Gewalt umzusetzen. Das tun sie dann in einer Geste, die in ihren Augen eine romantische Aura hat. Ob es nun ein Literaturstudent ist, der an einem amerikanische College eine furchtbare Gewalttat vollbringt oder ein junger Selbstmordattentäter (…) – diesen jungen Männern ist die Vorstellung gemein, dass das, was sie tun, eine bedeutende Geste ist, die sie als Herausforderung an die Welt verstehen.“ Ist das so? Muss ich jetzt Angst vor euch haben? Tragt ihr wirklich eine solche Wut in euch, die euch zu solch furchtbaren Taten treibt? Und warum, verflixt noch mal, leidet ihr eigentlich an dieser maßlosen Selbstüberschätzung, der ganzen Welt zeigen zu wollen, dass es euch gibt? Geht es nicht auch ne Nummer kleiner?


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jahre später, wenn die Bäuche dick sind und die Gesichter alt, dann denken Männer voller Wehmut an die Zeit zurück, als sie jung waren und alles geil: Hey, weißt du noch, damals, mit dem Moped betrunken vom Rummel zurück, zwischen die Lippen eine Zigarette geklemmt, hinter uns nichts als Feste und vor uns die Welt – jung sein und Junge sein, großartig. So oder ähnlich erzählen sie das dann, auf einem Familienfest, in einem Coming-of-Age-Roman, beim Stammtisch oder wenn mal wieder „Die Feuerzangenbowle“ im Fernsehen kommt, die Mutter aller verklärten Männer-Erinnerungen. Vielleicht haben diese Männer vergessen, was jung und Junge sein auch bedeutet, wenn man irgendwo im Niemandsland zwischen Kind und Mann steht. Wie das ist, wenn plötzlich diese Kraft im Körper steckt und nicht weiß wohin. Wie sich das anfühlt, jetzt irgendwie Mann zu sein, ohne eigentlich genau zu wissen, was das ist – muss ein Mann jetzt kraftvoll sein oder verständnisvoll oder beides und wenn ja in welchem Verhältnis? Was man da denkt, auf dieser Suche – wie richtet man sich ein in diesem Mann, der man jetzt ist? Vielleicht haben sie vergessen, wie schlimm das ist, das Gefühl zu haben, alle anderen sind irgendwie viel weiter auf diesem Weg in Richtung Mann, weil sie stärker sind oder cooler oder einen Traum haben und genug Selbstvertrauen, ihn zu erreichen – oder zumindest eine Freundin. Vor allem haben sie vergessen, wie schön das ist, sich unverstanden zu fühlen, von den Eltern oder den Mädchen oder gleich der ganzen Welt. Wie sehr man sich darin suhlen kann, in diesem Gefühl. Wie männlich das macht, dieses Gefühl. Wie gut die Wut dann tut. Auf sich, auf die anderen, auf alles. Ich denke, jeder Junge kennt diese Wut. Ich glaube, viele Jungs mögen diese Wut sogar. Wut ist ein schön starkes Gefühl, und es gibt für Jungs wenig verführenderes als die Pose des zornigen jungen Mannes, unverstanden von der Welt, man findet sie überall, im Kino, in Büchern, in Liedern. Es kommt dann darauf an, was sie mit dieser Wut machen. Es gibt Jungs, die nehmen diese ganze Wut, gehen in einen Club, wünschen sich „rage against the machine“ und wüten solange über die Tanzfläche, bis sie auf einen treffen, der noch wütender ist als sie. Es gibt Jungs, die nehmen diese Wut und schreiben zornige Gedichte oder traurige Lieder, manche schmeißen sie schnell weg, andere werden damit Rockstar. Es gibt Jungs, die nehmen diese Wut, suchen sich Partner und schlagen sich dann nach dem Fußballspiel auf einem Acker gegenseitig die Fresse ein. Es gibt sogar welche, die mit dieser Wut Karriere machen, als „angry young man“, werden gerne genommen im Pop oder im Film. Ich glaube, diese Wut wird für die meisten Jungs nach und nach wie ein alter Freund: Man kennt sich, von früher, man hat ein paar tolle und ein paar beschissene Dinge erlebt, sich aber dann aus den Augen verloren und sieht sich jetzt nur noch selten, meistens aus Zufall. Es gibt aber auch Jungs, denen diese Wut und die Pose des unverstandenen einsamen Wolfes so gefällt, dass sie ihr einziger Freund wird – sie richten sich in dieser Wut ein wie in einem Versteck, sie ist ihr Schlupfloch, nur hier fühlen sie sich sicher, in ihrer Wut. Muss man vor diesen Jungs Angst haben? Ich bin mir nicht sicher. Ich denke, man kann dann nur hoffen, dass diese Jungs vorher immer Musik aus ihrer Wut gemacht haben. Weil sie dann vielleicht nur Rockstar werden, mit wilden, zornigen, guten Liedern, entstanden aus maßloser Selbstüberschätzung, und Jahre später voll Wehmut an die Zeiten zurück denken, als alles geil war und sie noch jung. durs-wacker

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