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Anne und ihre Jobs: Als ich Köchin war

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Nach einem Winter durcharbeiten im Büro kam der Frühling zurück nach Berlin. Einige Stipendienantworten standen noch aus, alle Türen für das kommende Jahr sperrangelweit offen, das letzte Eis schmolz. Aber irgendwie wollte mir nicht so recht warm werden. Der Frühling strengte sich an. Die Sonne schien golden, Tau glitzerte, die Menschen saßen früh in den Cafés draußen und blinzelten erwartungsvoll in den Tag, doch mir blieb weiter grau ums Herz. Ich litt an Weltschmerz, oder Berlinschmerz, oder bloß Anneschmerz. Gerade als ich dachte, schlimmer könnte es nicht mehr werden, ging mir das Geld aus.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich hatte mir vorgenommen, nur noch Jobs anzunehmen, die wenigstens entfernt mit dem Schreiben zu tun hatten. Doch nirgends lud man mich auch nur zu einem Vorstellungsgespräch ein. Berlin brauchte mich nicht. Ich war überflüssig und unnütz. Ich war wie Weisheitszähne, Mandeln oder der Blinddarm – man merkte nicht einmal, wenn sie fehlten. Widerwillig studierte ich die Stellenanzeigen der Rubrik Gastronomie. Wenn nicht gerade Winter war, fand man immer etwas zum Bekellnern. Schnell hatte ich Probearbeitsschichten ausgemacht. Doch alles in mir sträubte sich dagegen, und ich träumte von Fluchtmöglichkeiten. Von all den Anzeigen ließ mich eine nicht los. Gesucht wurde jemand, der gerne kocht, für ein kleines Lokal in Mitte. Professionell hatte ich noch nie gekocht, bestimmt würde mein Können nicht ausreichen, dachte ich. Aber nach einem Blick auf das Kellnerinnendress, das in meinem Zimmer bereithing, wählte ich die Nummer. Der Chef klang nett und bestellte mich am nächsten Tag zu sich. Das Lokal sah hübsch aus, mit der gemusterten Tapete, den goldenen Bilderrahmen und der Kuchenvitrine. In der kleinen Küche blitzte der Chrom, die Kühlschränke schnurrten vor sich hin, der Ofen bollerte. Der junge Schweizer Koch erklärte mir die Aufteilung in der Küche und die Karte. Es gab Kuchen, einige Suppen, Pastagerichte mit Fisch, Fleisch oder Gemüse, einige Salate mit gebratenen Kinkerlitzchen und so weiter. Einzelne Bons trudelten ein, und der Koch meinte, ich solle einfach mal machen. Also legte ich los und er schaute prüfend zu. Ich war aufgeregt. Einer meiner besten Freunde kochte sensationell gut. Während der Probeschicht stellte ich mir vor, jedes Gericht, das ich zubereitete, müsse vor ihm bestehen. Drei Stunden vergingen im Handumdrehen. Anschließend setzten wir uns mit dem Chef bei einem Kaffee im Gastraum zusammen. Der Koch meinte, ich müsse noch an der Logistik feilen, aber ich würde sauber arbeiten und die Lebensmittel gut behandeln. Beide meinten, ich würde prima ins Team passen. Kaum zu glauben – ich hatte den Job! Auf dem Heimweg sah ich die Sonne nicht nur, sondern spürte sie auch wieder. Am nächsten Nachmittag fing ich an. Und stand sofort ganz alleine in der Küche zwischen den großen Töpfen. Ich band mir die Schürze um, machte das Handtuch an der Seite fest, setzte eine Kappe auf, nahm ein Messer in die Hand und betrachtete mein Spiegelbild in der Tortenplatte. Ich sah ganz echt aus! Am Anfang ging noch alles gemächlich. Hier eine Pasta mit Lachs und Erdbeeren in Weißweinsauce, dort ein Salat mit gebratenem Ziegenkäse im Nussmantel, die ein oder andere Suppe. Bei jedem Teller hatte ich genug Zeit für das Abschmecken und Anrichten. Es machte Spaß, auf die Kellnerklingel zu schlagen. Viel mehr, als früher Getränke an die Tische zu bringen und selbst auf das Klingeln aus der Küche achten zu müssen. Mit jedem „Ping“ wurde ich ein bisschen sicherer. Plötzlich ein neuer Bon: Acht unterschiedliche warme Essen sollten gleichzeitig an einen Tisch. Erschrocken schaute ich auf den Herd, vom Herd zurück auf den Bon mit den acht Gerichten, und von dort auf meine zwei Hände. Wo sollte ich bloß anfangen? Ja, was machte ich eigentlich hier? Eine Verkleidung allein machte schließlich noch lange keine Köchin aus mir. Doch nach dem ersten Schock bewegte ich mich wie von allein. Der Herd glühte, die Abzugshaube saugte, es dampfte, zischte und spritzte. Zuckerschoten blanchieren, da das Hähnchen in die Pfanne, hier die Garnelen, Zitronenzesten, ein Schuss Sahne, Honig, Thunfischwürfel panieren, jede Pfanne und jeder Topf schrien nach Aufmerksamkeit. Der Herd, der Grill, der Ofen – das waren die einzigen, die mir zuschauten, mich ermahnten und antrieben. Ich hatte kaum genug Platz für alle Pfannen und Teller, doch schließlich war es geschafft, „Ping“ machte die Klingel und die Teller verschwanden samt Kellnerin im Gastraum. Ich warf einen Blick auf das Schlachtfeld. Es sah wüst aus, aber immerhin war ich die Siegerin! Das Chaos war schnell beseitigt. Die restlichen Bestellungen plätscherten herein, und ich bewegte mich immer gelassener und organisierter auf dem Küchenparkett. Als ich mir vorn einen Kaffee holte, sah ich entspannte Gesichter vor leeren Tellern. Alles war eine logische Kette: Jemand hatte Hunger, schaute in die Karte, bestellte, aß und war zufrieden. Meinetwegen. So klar hatte ich bisher bei keinem anderen Job das Ergebnis meiner Bemühungen klar vor Augen gesehen. Es war herrlich. Meine Beine waren schwer und der Rücken tat mir weh, als ich endlich um Mitternacht nach draußen in die kühle Luft trat. Ich glühte von Innen, die Küchendüfte verdampften nur langsam in der Dunkelheit, die Resthitze strömte aus den Kleidern heraus und prallte gegen die Nacht. Ich setzte automatisch Fuß vor Fuß, holte mir ein Feierabendbier auf die Hand. Die Flüssigkeit tat gut, ich lief am Ufer entlang und betrachtete mein Spiegelbild im Wasser. Trotz der leichten Wellen wirkte es das erste Mal seit langem fest und froh. Obwohl ich mit drei bis vier Schichten pro Woche nicht ganz das verdiente, was ich zum Leben brauchte, blieb ich vier Monate. Oft war ich müde, denn nach einer abendlichen Küchenschicht war ich so wach, dass an Schlaf vor drei oder vier Uhr morgens nicht zu denken war. Aber es war eine schöne Erschöpfung. Und einer der wenigen Jobs, zu dem ich fast immer gerne ging. Von Tag zu Tag fühlte ich mich köchinnenmäßiger. Dann klappte eine meiner Stipendienbewerbungen, und ich wurde für zwei Monate in ein Künstlerhaus ins Ausland eingeladen. So sehr ich mich auch darauf freute, der Abschied von der Küche fiel mir schwer. Es war bisher der einzige Job gewesen, für den ich annähernd dieselbe Begeisterung aufgebracht hatte wie fürs Schreiben. Wehmütig denke ich manchmal, es wäre gut gewesen, hätte ich das schon vor zwölf Jahren, direkt nach dem Abitur, gemerkt und eine Kochlehre gemacht ... nunja, Schuss nicht gehört, Zug weg, das kennt ja jeder, da hilft alles Grämen nichts. Noch heute steht eines meiner Gerichte in dem kleinen Lokal regelmäßig auf der Wochenkarte. Weil die Stammgäste es ins Herz geschlossen haben. Aber ich wette, ganz so gut wie von mir persönlich gekocht schmeckt es nicht!

Text: anne-koehler - Illustration: katharina-bitzl

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