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Anne und ihre Jobs: Als ich Stipendiatin war

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Stipendiumstart: September 2008. Die Wohnung war zwischenvermietet, die Tasche gepackt, der letzte Abend da. Ich ging mit Freunden essen und wollte zeitig nach Hause, um am Reisetag fit zu sein. Wirklich, ich hatte die besten Absichten. Nach nur drei Stunden Schlaf bewiesen mein Spiegelbild und das dumpfe Hämmern im Hinterkopf, dass meine guten Vorsätze nachts über Bord gegangen waren. Aber als ich im Flugzeug saß und Berlin unter mir zu reiner Geometrie schrumpfte, brach die Sonne durch den Kopfnebel: zwei Monate Schreibzeit ohne Geldsorgen lagen vor mir!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bukarest, 35°. Ein grummliger Mann erwartete mich. Unsere Sprachkenntnisse wiesen keine Schnittmenge auf, also lotste er mich mit Handzeichen hinter sich her. Bald saß ich auf dem Beifahrersitz auf dem Weg raus aus der Stadt. Fünf Stunden sollte die Fahrt dauern – ein Mal quer durch die Walachei. Die erste Viertelstunde auf der Landstraße überlegte ich, ob ein hysterischer Anfall angemessen wäre. Ich hatte schon abenteuerliche Fahrstile überstanden, aber der rumänische Chauffeur setzte neue Maßstäbe. Die Tachonadel zitterte zwischen 140 und 180, hinter uns feinste Staubwolken. Fuhrwerke fuhrwerkten herum, dazwischen die üblichen Gefährte, Hunde und Fußgänger. Die Fahrt war ein einziges, nie endendes Überholmanöver. Dank der extremen Müdigkeit gelang es mir, den Chauffeur zum vertrauenswürdigsten Fahrer der Welt zu erklären. (Einen italienischen Komponisten versetze er später in Todesangst.) Irgendwann ging es auf einem Schotterweg zwischen Feldern und Bäumen hindurch, und da stand sie: eine hübsche alte Villa direkt an der Donau. Als wir an dem langen Holztisch vor dem Haus frischen Fisch aßen und Wein aus eigenem Anbau und selbstgebrannten Schnaps dazu tranken, ging hinter dem Fluß die Sonne unter. Die meiste Zeit des Septembers verbrachte ich draußen. Ich trank meinen Morgenkaffee am Ufer und setzte mich dann mit Büchern, Ausdrucken und Computer in den Schatten der Bäume. Die ersten zwei Wochen war viel Betrieb. Musiker veranstalteten einen Workshop, es verging kaum eine Minute, ohne dass von irgendwo Geigen- oder Klaviermusik heranschwebte. Ich glich mich dem Rhythmus an und traf mich zu den Mahlzeiten mit den Musikern an der Tafel. Als sie abgereist waren, wurde es still. Meine Gastgeber waren viel unterwegs, und oft nur am Wochenende da. Aber ich war ja auch zum Schreiben gekommen – also vergrub ich mich in meinem Text. Es schien sich so zu gehören, dass die Gäste des Hauses an der Tafel saßen, an der 30–40 Leute Platz fanden, und alle, die vor Ort arbeiteten, in der Küche. Ich bin relativ klein. Wenn ich allein vor meinem Teller an dem riesigen Tisch saß, wurde ich winzig. Die Abläufe im Haus waren mir noch fremd, ich konnte mich kaum unterhalten, und die Küche, die mich sonst immer beruhigte, war das Terrain der Dorffrauen. Die Fremde lähmt mich manchmal. Sie macht mich zaghaft und leise. Darüber habe ich mich immer geärgert. Wie gerne wäre ich forsch und unerschrocken! Irgendwann tauchte Sergiu auf. Er war etwa so alt wie ich und der einzige Dauerbewohner, der fließend Englisch sprach. Er übersetzte mir die Gespräche oder erzählte Geschichten über das Land und die Leute. Dadurch wurde ich mehr Teilnehmer des Ganzen, als nur stummer Beobachter. Wenn Gästegruppen kamen, wurde ein ganzes Tier am Spieß hinter dem Haus gegrillt und dazu ein buntes Buffett aufgebaut. Einmal traf ich auf einen Geschäftsmann, der fragte, was mich an diesen abgelegenen Ort verschlagen habe. Ich sei der "writer in residence", antwortete ich. In der fremden Sprache kam mir das ganz leicht über die Lippen. Wie ein Titel, den man mir verliehen hatte. Nach kurzem Nachdenken fragte er: "How many pages do you make a day?" Man hatte mir schon viele seltsame Fragen über das Schreiben gestellt, aber das war mir noch nie untergekommen. Perplex faselte ich von Qualität und Quantität in der Schriftstellerei, und dass ich im Moment sogar positives Minus machte. Der Geschäftsmann schaute zweifelnd, schwenkte zu Sergiu, fragte nach seinem Beruf. Sergiu sagte nur ‚Marketing’, und damit konnte der Geschäftsmann sofort etwas anfangen. Wenn ich nicht an meinem Text arbeitete, saß ich am Fluß, spazierte durch die Gegend, oder fütterte die Esel. Weit weg waren die Hektik, der Literaturbetrieb und jeglicher Druck. Und mit diesem Abstand zur Literaturwelt und der Nähe zu meinem Text war ich mehr Autorin, als je zuvor. Es war mir immer so vorgekommen, dass ich erst ein eigenes Buch bräuchte, um mich so zu fühlen. Doch vielleicht brauchte es gar nicht so sehr etwas von Außen, das mich als allseits verständliches Ganzes definierte. Vielleicht ging es viel mehr um meine eigene Einstellung. Mit der Zeit wurde ich heimischer. Nur das Selbst-Kochen vermisste ich. Als der Herd eines Abends unbesetzt war, nutzte ich die Chance und improvisierte pikante Pasta für alle. Mit dem Chauffeur und ein paar Gästen am Tisch war es gemütlich und für das Essen zollte man mir Respekt. Als mein Gastgeber davon hörte, erteilte er mir offizielle Küchenerlaubnis. Das war eine große Ehre, denn er kochte ein Mal pro Woche höchstpersönlich im rumänischen Fernsehen. Obwohl wir keine Sprache teilten – am Herd verstanden wir uns von da an prima. Nirgendwo sonst ging die Sonne so schön auf und unter, nirgends war die Donau so blau und der Kaffee so gut. Die großen Räume waren mir vertraut geworden. Zum Essen setzte ich mich nicht mehr an die Tafel, sondern zwischen die Angestellten an den Küchentisch. Dort schmeckte es gleich dreimal so gut. Ich mochte es, wie es um mich herum wuselte. Alle hatten sich an meine zurückhaltende Art gewöhnt und teilten in stillem Einvernehmen Zigaretten, Wein und Lächeln mit mir. Längst grämte ich mich nicht mehr über mein Wesen, das wohl an jedem neuen Ort eine gewisse Eingewöhnungszeit benötigte. Ich war eben, wie ich war, und so war es gut. An meinem letzten Abend zierte ein ganzer gekochter Kuhkopf die Tafel. Als drei Zigeuner aus dem Dorf vorbeikamen und Musik machten, war mir ganz wehmütig zumute. Alles in dem gastfreundlichen Haus schien vom Herzen her zu kommen, und ich war ein Teil davon gewesen. Gelassenheit und Ruhe hatten sich auf mich übertragen. Es hatte zwar eine Weile gedauert, aber dann war ich mit dem ganzen Herzen angekommen. Als ich zum Abschied sagte, ich würde wiederkommen, war das ein ernstgemeintes Versprechen. Dieses Jahr musste ich den Besuch wegen Geld- und Zeitmangel leider absagen, aber nächstes Jahr zur Weinernte werde ich mich wieder aufmachen an die Donau. Mit Keksen für die Esel im Gepäck und Schokolade für die Küchencrew. Versprochen ist versprochen.

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