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Anne und ihre Jobs: Als ich Verlagspraktikantin war

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Nach über drei Jahren in Hildesheim wachte ich eines Morgens auf, blickte aus dem Fenster, und sah: Berlin. Kein Traum! Für neun Monate machte ich ein Praktikum im Lektorat und der Presseabteilung eines Buchverlags. Den Literaturbetrieb kannte ich bis dato nur als Schreibende. Und zwar vom Katzentisch aus, während die Erwachsenen an der Theke saßen und sich in einer Sprache unterhielten, von der ich nur die Hälfte verstand. Das erste Mal stand ich nun auf der anderen Seite. Es war beängstigend. All die unverlangt eingesandten Manuskripte, die sich in den Lektoratsfluren stapelten! Wer sollte das alles lesen? Flugs wurde klar: Ich! Die folgenden Monate las ich in der U-Bahn, im Bus, am Ufer, im Park, beim Essen, vor dem Schlafen, nach dem Aufwachen. Zeitungen, Bücher, Manuskripte, Recherchematerial. Jedem einzelnen Wort wollte ich gerecht werden. Ich habe das „Querlesen“ immer verabscheut. Man sollte in einer Geschichte abtauchen, wie man es als Kind tut. Aber dieses Leseverhalten konnte ich nicht aufrecht erhalten. Spätestens, als ich zum Feierabend drei neue Bücher auf den Tisch bekam, deren Pressetexte bis zum nächsten Morgen fertig sein mußten. Eines wurde klar: der Literaturbetrieb hatte nichts mit gemütlichem Sitzen in Ohrensesseln, Kaminfeuer, Rotwein und einem Stapel guter Bücher zu tun. Das hat vielleicht noch in einer Bonbon-Werbung Platz. Die Bonbons klebten mir in den Zähnen, Träume platzten. Als Kind hatte jedes Buch für mich einen unvergleichlichen Zauber besessen. Jetzt bekam ich so viel vom Werdungsprozeß mit (Werbung, Ausstattung, Vertrieb etc.), daß mir ganz schummrig wurde. Es war ein Blick hinter die Kulissen. Ich sah den Leim und die Farbe und das Pappmaché. Wenn ich an meine Rückkehr auf die Seite der Schreibenden dachte, geschah das immer mutloser. So viele Leute schrieben – und so wenige wurden gedruckt!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Literaturbetriebsjahr besteht aus zwei Jahreszeiten: dem Frühling und dem Herbst. Die Messe in Frankfurt war der Abschluß meines Praktikums. Nach dem gemütlichen Verlagshaus kam mir das Messegelände so groß vor wie die ganze Welt. Eine hektische, laute Welt. Alles wuselte, schnatterte, tauschte Visitenkarten, schüttelte Hände, droppte Namen. Am ersten Tag flitzte ich von einem Termin zum anderen, glänzte mit originalem Hessisch und umsorgte alle mit einem Lächeln, auf das mein Zahnarzt stolz gewesen wäre! Es gab kaum Tageslicht, Essen und Schlaf. Ich begleitete Autoren, stellte Pressemappen zusammen, verhinderte Bücherklaus, ging abends auf Veranstaltungen. Der Wecker klingelte verläßlich kurz nach dem Einschlafen. Die geschäftigen Trippelschritte gingen in Schlurfen über, die Gesichtsfarbe ergraute, Glieder schmerzten. Am dritten Tag traf mein Abschiedsgeschenk vom Verlag ein. Ehrfürchtig stand ich am Hauptbahnhof und wartete auf Armin Mueller-Stahl und Gemahlin. Ich konnte vor Aufregung kaum atmen. Selbst dann noch, als wir gemeinsam in der Messe-Limousine in Richtung Hotel saßen. Ich saß neben dem Chauffeur auf dem Beifahrersitz, die Herrschaften hinten. Da tat es plötzlich ein Kawumm, es wackelte, ich dachte, das Auto fliegt auseinander! Armin Mueller-Stahl hatte ohne Vorwarnung ein Stück meiner Rückenlehne herausgeklappt – wodurch sich für den hinten Sitzenden ein Schlafplatz einrichten ließ. „Entschuldigung, aber das wollte ich schon immer ausprobieren!“, lachte er. Ich dachte an seine Rolle als Helmut der Clown in Night on Earth, mußte grinsen und konnte wieder befreit atmen. Drei Tage lang brachte ich die beiden zu ihren Terminen. Wenn sie mich morgens in der Hotelhalle erblickten, begrüßten sie mich herzlich. Auf den Fahrten fragten sie viel nach mir und meinem Studium. Meine anfängliche Ehrfurcht machte etwas anderem Platz: ich fing an, die beiden zu mögen. Unabhängig von der Bewunderung seines Schaffens, sondern einfach als Menschen. Auf einer Veranstaltung zählte die Moderatorin rühmend auf, was Herr Mueller-Stahl alles erreicht hatte: Konzertgeiger, Schauspieler, Maler und Schriftsteller. Sie fragte ihn, ob er es nicht erstaunlich fände, so viele Talente zu haben. Armin Mueller-Stahl antwortete, er glaube nicht, mehr Talente zu haben als andere. Nur habe er das große Glück gehabt, so viele davon entdecken und verwirklichen zu können. Er sagte das so unprätentiös und dankbar, daß mir etwas dämmerte: Es ging nicht bloß um das Ergebnis. Nicht einmal um den Erfolg. Es ging um das Herz dahinter. Darum, das Richtige für sich selbst zu finden. Nur so entstand Glück. Egal, ob Schreiben, Kochen oder Gärtnern. Als ich Armin Mueller-Stahl und seine Frau am vorletzten Tag der Messe zum Bahnhof zurückbrachte, gab er mir sein Buch und einen Handkuß zum Abschied. Ich schaute noch auf die Gleise am Horizont, als sein Zug längst nicht mehr zu sehen war. Am letzten Abend ging ich mit befreundeten Autoren aus. Wir gaben den völlig erschöpften Körpern den Rest. In einer riesigen Diskothek wummerten die Bässe in Füße, Ohren und Herzen. Im Laufe der Nacht tauchten unendlich viele Messegesichter auf. Autoren und Betriebsmenschen, die ich als gesetzt und langweilig eingestuft hatte, plauderten und tanzen mit uns, als gäbe es kein Morgen. Plötzlich war nicht mehr wichtig, wer was wo veröffentlicht hatte oder welche Literatursendung moderierte. Es war eine rundum wohlige Nacht am Rande des Bewußtseins. Lächerlich spät kam mir der Gedanke, daß ich eigentlich ganz gerne ich war. Am letzten Messetag dann endlich die Sirene über die Lautsprecher: die Messe war vorbei. An allen Ständen knallten die Sektkorken und die blassen Gesichter wurden rotwangig wie Frau Antje. Auf dem Heimweg im Zug schlug ich zum ersten Mal das Buch auf, das Armin Mueller-Stahl mir gegeben hatte. Es enthielt eine Widmung: „Für Anne Köhler – besonders herzlich“ und die kleine Zeichnung eines Geigers. Fünf Jahre ist das jetzt her. Das Buch steht hier bei mir im Regal. Wenn alles aussichtslos scheint mit dem Schreiben und mir, schlage ich es wieder auf. Und versuche, mich daran zu erinnern, was für ein Gefühl das ist, in einem Buch zu verschwinden – wie ich es als Kind gekonnt habe. Manchmal gelingt es mir dann, mit Zuversicht an meinen Schreibtisch zurückzukehren.

Text: anne-koehler - Illustration: Katharina Bitzl

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