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Anne und ihre Jobs: Als ich Volontärin war

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Nach der Diplomprüfung kommt ein luftleerer Raum, und wie das so ist: in dem kriegt man ganz schlecht Luft. Ich wusste, dass ich schreiben wollte. Dafür allein bekommt man aber noch kein Geld. Und so einen Roman schreibt man ja auch nicht in drei Tagen. Klassisches Dilemma. Wenn ich einen festen Job annehmen würde, hätte ich keine Zeit zu schreiben. Wenn ich nur schreiben würde, hätte ich kein Geld zum Leben. Ungerechte Welt!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich fragte mich, welchen Stellenwert die (noch?) unbekannten Künstler im deutschen Raum überhaupt einnahmen. Die Virus-Epidemien der letzten Jahre geben Aufschluss darüber. Ich jedenfalls habe gelesen, dass die Impfstoffe zuerst an das medizinische Personal, Feuerwehr und Polizei etc. ausgegeben werden. Dann an alle möglichen anderen Gruppen. Von Schriftstellern hat keiner etwas gesagt. Vielleicht schoss deswegen mein Krankenkassenbeitrag mit bestandener Diplomprüfung astronomisch in die Höhe. Es musste schnellstens ein Job her. Ich fragte auf dem Arbeitsamt nach. Noch lange, nachdem ich das Gebäude verlassen hatte, hörte ich das schallende Gelächter. Ich schaute noch einmal auf mein Zeugnis: Diplom-Kulturwissenschaftlerin im Studiengang Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus. Na gut. Ich durchforstete die Stellenanzeigen. Es gab wenig, das auch nur annähernd mit meinem Studium zu tun hatte. Ehrlich gesagt hatte ich auch nicht mit einer Anzeige gerechnet, wie: „Schriftsteller gesucht! Dringend! Verdienen sie haufenweise Euro im Monat bequem von zu Hause aus!“ Schön wäre es aber schon gewesen. Stattdessen fand ich eine Ausschreibung für ein Volontariat. Es ging um eine Art neues Literaturhaus, mit Lektoratsarbeit, Leseveranstaltungen und vielem mehr. Ich rief an und bekam einen Termin. Ein paar Tage später stand ich vor einer schönen Villa. Hohe Decken, knarrende Dielen, Bücherstaub. Sofort fühlte ich mich wohl. Das Vorstellungsgespräch lief gut. Aber mein potentieller Chef druckste ein bisschen herum. Eigentlich sei ich überqualifiziert, sagte er. Macht doch nichts, sagte ich und streckte ihm die Hand hin. Er schlug ein. Und da war sie: meine erste Vollzeitstelle. Ein Volontariat zu machen, schien mir logisch. Denn trotz Studienabschluss kam ich mir nicht „fertig“ vor. Lange hatte ich das Gefühl, nur so zu tun, als könnte ich den Job. Als sei ich Schauspielerin. Mein Chef traute mir viel zu, und erklärte mir wenig. Manchmal fühlte ich mich alleingelassen. Ich erledigte alles, wie ich dachte – bekam aber fast nie Kritik, durch die ich mich hätte verbessern oder sicherer fühlen können. Einmal lektorierte ich über Wochen ein Manuskript, bis mein Chef plötzlich sagte, es sei nicht mehr notwendig. Über die Arbeit, die ich bis dahin schon gemacht hatte, sprach er nicht mit mir. Ich trat auf der Stelle. Er vermittelte mir den Eindruck, dass es egal war, ob ich da war, oder nicht. Unter diesen Umständen hätte ich mich lieber um mein eigenes Schreiben gekümmert. Aber ich forderte die Kritik auch nicht von ihm ein. Er war schließlich der Chef, er musste wissen, wie so ein Volontariat zu laufen hatte. Nach ein paar Monaten bekam ich eine Zusage für ein Autorenstipendium. Für zwei Monate stellte man mir ein Atelier an der Ostsee zur Verfügung. Nur: was war mit dem Volontariat? Ich hatte für mindestens ein Jahr zugesagt. Wenn das Stipendium anfing, wäre erst ein halbes Jahr rum. Und in zwei Monaten schrieb man auch keinen Roman. Aber ich könnte mich endlich einmal durch mein literarisches Schreiben finanzieren. Ich beriet mich mit einem Freund. Betrübt sagte ich ihm, dass ich wohl das Volontariat weitermachen und das Stipendium absagen würde. Weil es zeitlich ja sowieso nicht reichen würde, um mein Manuskript fertig zu stellen. Er warf mir vor, dass ich es mir zu leicht machen würde. Es käme allein auf mich an. Es würde immer wieder Entschuldigungen geben, kein Buch zu schreiben. Oder ich würde endlich anfangen, alles dafür zu tun, dass ich es schreiben konnte. Er hatte Recht, und ich die Wahl. Ich ließ die letzten Monate der latenten Unzufriedenheit Revue passieren. Plötzlich begriff ich, dass sie gar nicht so sehr mit dem Job an sich zu tun hatte. Sondern dass ich mit mir selbst unzufrieden war. Während der Uni hatte ich immer das Ende des Studiums herbeigesehnt, um mehr schreiben zu können. Und dann war ich in diesen Job hereingerutscht, der mir kaum Zeit dafür ließ. Ich wog ab: ein sicheres Einkommen gegen viel Zeit zum Schreiben. Je länger ich darüber nachdachte, um so mehr geriet die Waage aus dem Gleichgewicht. Ich kündigte das Volontariat, packte meine Koffer und trat das Stipendium an. Heute vermute ich, dass mein Chef und ich beide mit der Situation unzufrieden gewesen sind. Und beide zu lange geschwiegen haben. Aus jetziger Sicht ist das keine schlechte Lehre gewesen. Mittlerweile mache ich meiner Unzufriedenheit in Arbeitsverhältnissen viel schneller Luft. Spreche die Dinge früher an, damit jeder weiß, wo er steht. Das Beste an der ganzen Geschichte war aber, dass ich mit meiner Ausgangssituation viel zufriedener war als vorher. Denn jetzt war es meine eigene, bewusste Entscheidung, das unsichere Leben mit Nebenjobs zu leben. Ich zog es einer festen Stelle vor. So hatte ich die Möglichkeit, Stipendien anzunehmen, wenn sich die Gelegenheit bot, und für eine Weile nur zu schreiben. Das wog die dazwischen liegenden Zeiten der finanziellen Unsicherheit für mich allemal auf. Seitdem ist das so geblieben. Ich beschwere mich nicht mehr so oft und genieße die reinen Schreibzeiten. Um so mehr, wenn ich davor einige Wochen oder Monate einen anderen Job gemacht habe. Die Luft war zwar immer noch dünn, aber ich hatte einen Raumanzug bekommen. Bei den Astronauten der ersten Mondlandung ist es ja nicht anders gewesen – der Weg zum Mond hat ziemlich lange gedauert, der Spaziergang war dagegen schnell wieder vorbei. Aber ich wette, das war es wert.

Text: anne-koehler - Illustration: katharina-bitzl

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