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DJ Revolution beim Bodenwischen

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Mein übelster DJ-Gig? Das muss wohl 2006 in Dänemark gewesen sein. Ich war in einen HipHop-Club in Aarhus gebucht und hatte gerade mal eine gute halbe Stunde aufgelegt, als mir ein Typ vor der DJ-Kanzel auffiel. Ein großer, muskulöser irgendwie stumpf dreinschauender Bursche, der offensichtlich um jeden Preis meine Aufmerksamkeit erregen wollte: Er winkte mir zu, starrte mich an, schnitt komische Grimassen. Als das alles nichts nützte, zupfte er mich am Hemdsärmel. „Tut mir leid, komm später noch mal“, beschied ich höflich. Jetzt musste ich erst mal mein Set in Fahrt bringen, die Leute mit ein paar Klassikern von Gang Starr, Pete Rock und Run DMC auf die Tanzfläche locken, bevor ich irgendwelche Publikumswünsche entgegennahm.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Doch der vierschrötige Typ gab einfach nicht auf. War das vielleicht einer von der Security? Warum nahm der sich das Recht heraus, den DJ mitten in der Arbeit zu stören? Als ich gerade im Begriff bin die nächste Platte einzufädeln, klopft er mir auf die Schulter, dann sehe ich seine Pratzen in meinem Plattenkoffer. „Nein“! Jetzt bin ich wütend. No, rufe ich noch mal, dem natürlichen Schutz-Reflex für meine Vinylschätze folgend. War das eine klare Ansage? Der Eindringling stutzt, sieht mich ungläubig an als hätte ich ein geheimes Code-Worte benutzt, das er erst aufwändig entziffern muss – um ganz unvermittelt, zack, seinen Finger in mein Auge zu stechen. Alles dreht sich. Verschwimmt. Meine Kontaktlinse! Verdammt, er hat sie mir rausgewischt! Ich greife nach dem nächstbesten Gegenstand, eine Flasche Hennessy, die mir eigentlich als Treibstoff für den Abend dienen sollte, um sie dem Augenstecher überzuziehen. Den bringe ich um. Kurz bevor ich damit auf seinem Kopf lande, halte ich in der Bewegung inne: Ja, daheim in Los Angeles hätte ich bestimmt nicht gezögert, ihm eigenhändig eins überzubraten, dem Typen eine Beule zu machen, dass er sich nie wieder auch nur in die Zehnmeterzone um ein DJ-Pult wagt, aber hier im Ausland, am Anfang meiner Europa-Tournee, konnte ich mir einen Gefängnisaufenthalt wegen Körperverletzung schlichtweg nicht leisten. Ich ließ die Flasche sinken. Machte die Musik aus. Und begann mit einer kleinen Taschenlampe unter dem DJ-Pult herumzukriechen: Ohne die Kontaktlinse konnte ich unmöglich weiterarbeiten. Besorgt kam der Manager angelaufen: Was los sei, die Gäste würden gehen. Dann robbten wir zu zweit über den Boden. Wischten vorsichtig hin und her. Fingerten uns durch klebrige Colalachen, Wollmäuse, Strohhalme, Bieretiketten und Flyerschnipsel. Eine Viertelstunde lang. Als ich die Linse endlich hatte, und damit ins Herrenklo lief, die nächste Überraschung: Braune Brühe in den Waschbecken. Alles vollgekotzt. Angewidert wechsle ich zur Nachbartür. Lautes Gekreische. Einäugiger überfällt unschuldige Toilettenbesucherinnen. Erst als der Manager alle Damen raus beordert, kann ich mich in Ruhe über ein Waschbecken beugen, die Linse reinfummeln und zum DJ-Pult zurückkehren. Kein freudiger Ausblick: Zwar hatte die Security den Augenstecher längst nach draußen befördert. Doch ohne Musik hatte sich auch der Club geleert. Wer wollte schon einen DJ in der Disziplin Bodenwischen bewundern?

Text: jonathan-fischer - Bild: djrev.net/

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