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Wie hört man online richtig zu?

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Als ein Freund bei Facebook einen Artikel über Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen teilte, postete darunter eine Krankenschwester in meinem Alter, die Seiten wie "Junge Freiheit" likete und "Multikulti – nicht mit uns!". Wir diskutierten zuerst unter dem Artikel, dann nahm sie meine Freundschaftsanfrage an und wir schickten eine halbe Stunde lang Privatnachrichten hin und her. Bis zu diesem Schlagabtausch: Sie schrieb: "Ich jedenfalls halte mich von Syrern fern. Ich finde, meine Sicherheit geht vor."

Ich schrieb: "Und ich finde, es ist nicht besonders schlau, Menschen etwas zu unterstellen, nur weil sie aus einem bestimmten Land kommen." Ich wollte ihr noch den Link zu dieser Statistik des Bundeskriminalamts schicken, laut der Zuwanderer nicht mehr Straftaten begehen als Deutsche. Aber da hatte sie mich schon entfreundet.

Das war vor etwa zehn Monaten. Trump war vor wenigen Wochen zum US-Präsidenten gewählt worden. In Deutschland zog die AfD in einen Landtag nach dem anderen ein – und hatte mehr Fans auf Facebook als CDU und SPD zusammen. In den Medien las man viel über Filterblasen und dass man dringend einen Dialog brauche, damit die AfD nicht bei der nächsten Bundeswahl die drittstärkste Kraft wird.

Ich habe danach solche Gespräche noch ein paar Mal probiert – ohne großen Erfolg. Und ich war nicht die einzige. Jakob, ein Freund von mir, diskutierte ein Jahr lang im Schnitt eine Stunde am Tag in Facebookgruppen wie "Bürger sagen nein" mit Menschen, die sich vor "Überfremdung" fürchteten. Er wollte versuchen, sie zu überzeugen. "Die frustrierendsten Stunden meines Lebens", sagte er. 

Frustrierend – das fasst die Erfahrung der meisten zusammen, mit denen ich über Onlinediskussionen gesprochen habe. Das mit dem Dialog, der angeblich so wichtig ist, funktioniert einfach nicht. Weil man oft aneinander vorbeiredet. Weil schon das Zuhören nicht funktioniert. Das sei aber die Grundlage einer guten Diskussion, sagt Christian Lippmann, Vorsitzender von Streitkultur-Berlin e.V. – einem Verein, der öffentliche Diskussionen organisiert, um die Kunst des guten Redens zu fördern: "Diskutieren bedeutet, dass man auf den anderen eingeht und am Ende die besseren Argumente hat. Und das setzt gutes Zuhören voraus."

 

Was für meine Generation eine besondere Herausforderung ist: Die meisten Menschen in meinem Alter führen politische Diskussionen nicht am Bartresen – sondern vor allem in Threads, bei Facebook und in Kommentarspalten. "Online sehe ich öfter billige Schlagabtausche als echte Diskussionen", sagt Christian Lippmann.

 

Wie kriegen wir das also besser hin? Erstmal, sagt Lippmann, müsse man klären, ob eine Diskussionen überhaupt möglich ist. Also ob der Gesprächspartner einen wirklich verstehen oder nur provozieren will. Und ob man gerade selbst die Ruhe und die innere Größe dazu hat, sich auf diese Person einzulassen. Nur dann sollte man ein Gespräch beginnen. "Als erster Schritt hilft es oft, die Position des Gegenübers zusammenzufassen", rät Lippmann. So könne man vermeiden, dass man aneinander vorbeiredet. Schritt zwei: "Klären, um welches Anliegen es dem Gesprächspartner eigentlich geht." Auch wenn ich die Position der Krankenschwester problematisch fand, hätte ich fragen können: "Habe ich richtig verstanden, dass du über Sicherheit reden möchtest?" Dann hätte ich vielleicht auch die Gelegenheit dazu gehabt, meine Statistik auszupacken. Oft helfe es auch, von der Sach- auf Beziehungsebene zu wechseln und herauszufinden, was hinter einer Aussage steckt, sagt Lippmann. "Man könnte fragen: Wo kommt diese Angst her? Hast du so etwas selbst erfahren?"

 

"Das wichtigste ist, nicht zu übereilt reagieren", sagt Tanja Laub. "Zu oft hauen wir in die Tasten, bevor wir die Nachricht zu Hälfte gelesen haben." Laub hat in ihren zehn Jahren als Community-Managerin und Social-Media-Beraterin hunderte Streitigkeiten in unterschiedlichsten Foren geschlichtet, zum Beispiel bei der Koch-Community auf kochbar.de. "Das hört sich harmlos an. Aber man wird sich wundern, wie sich gestandene Hausfrauen über ein Bolognese-Rezept in die Haare kriegen können", sagt sie. Übereiltes Reagieren ist eine online-typische Krankheit: Im persönlichen Gespräch lässt man sein Gegenüber eher ausreden, das gebietet schon die Höflichkeit. Da sitzt ein Mensch, den man unterbrechen müsste, das fällt nicht jedem leicht. Online merkt das Gegenüber aber gar nicht, ob ich seine Argumente zu Ende lese. Die Hemmschwelle, schon nach dem ersten gelesenen Satz zurückzuschlagen, ist wesentlich niedriger.

Eine der größten Schwierigkeiten beim digitalen Zuhören ist es, dass man den Ton nicht einschätzen kann. "Es gibt keine Mimik, keine Gestik. Man weiß auch gar nicht, wen man vor sich hat“, sagt sie. „Deswegen hilft es tatsächlich, nachzuhaken: Wie hast du das gemeint?" Es sei auch wichtig, die eigenen Nachrichten nochmal durchzulesen: "Du musst dich immer fragen: Kann das, was ich geschrieben habe, auch missverständlich sein?" Deshalb sollte man auch mit Humor und Ironie lieber vorsichtig umgehen. Digitales Diskutieren heißt also auch: Mitdenken, was der andere beim Zuhören wahrnehmen könnte.

 

Wenn es einem wirklich um einen Dialog geht, um Zuhören und Verstehen, muss man manchmal auch einen geistreichen Witz stecken lassen. Der bringt vielleicht Beifall von anderen Usern, kann den Gesprächspartner aber auch abschrecken. "Es sollte nicht darum gehen, Recht zu behalten – sondern um die Bereitschaft, aufeinander einzugehen", sagt auch Anna Müller, die das Programm "Stammtischkämpfer*innen" koordiniert. In dessen Seminaren lernen Teilnehmer, wie man gegen Stammtischparolen ankämpft und Position bezieht, ohne den Dialog abzubrechen. "Auch im Netz geht es oft zu wie an einem Stammtisch", sagt Müller. "Jeder macht einen Punkt. Und der Beste bekommt den Like-Applaus."

 

Bei Onlinediskussionen sei es am wichtigsten, ein Gefühl herzustellen, dass sich zwei Menschen gegenüber sitzen und nicht "zwei Tastaturen, die mit einer Leitung verbunden sind", sagt Anna Müller. Statt einer Wettkampf-Atmosphäre sollte man Gesprächsbereitschaft signalisieren und Interesse an der Person. "Die Klassiker-Parole ist: Die kriegen alles hinterhergeworfen, und wir haben nichts", sagt Müller. Da könnte man fragen: Was genau kriegen sie denn? Wo hast du diese Information her? Erzähl mir, wer du bist und welche Probleme du hast. Oft kommt es dann raus, dass es der Person hauptsächlich um mangelnde soziale Sicherung geht. Daran kann man besser anknüpfen, als an „die kriegen alles hinterhergeworfen.“

 

Aber was ist, wenn man alles richtig macht – geduldig ist, nachfragt, Wertschätzung zeigt – und der Gesprächspartner trotzdem auf taub stellt und bei seinen Parolen bleibt? "In solchen Fällen ist es wichtig, Position zu beziehen", sagt Anna Müller. "Zu sagen: 'Mein Weltbild ist das nicht' oder 'Das ist eine Falschmeldung', damit diese Person, und alle, die mitlesen, das Schweigen nicht als Bestätigung werten." Trolle sollte man außerdem so schnell wie möglich melden. "Einiges, was in Foren und bei Facebook steht, ist nicht nur rassistisch, sondern auch strafbar", sagt Müller. "Darauf sollte man die Leute auch hinweisen und dagegen vorgehen." Ohne Zuhören kann zwar keine gute Onlinediskussion gelingen – aber längst nicht jeder hat ein digitales Ohr verdient. 

 

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