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Das ModeABC. Heute: E wie Exhibitionismus

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Als vor wenigen Jahren Blogs wie Hel-Looks oder Facehunter damit anfingen, Bilder von gut gekleideten Unbekannten auf der Straße zu machen und sie ins Internet zu stellen, läutete das einen Wandel im elitären Modebetrieb ein. Plötzlich war nicht mehr nur der ein Modefotograf, der neben dem Laufsteg das aktuelle Modediktat dokumentiert oder zehnseitige Fotostrecken für die Vogue macht, sondern auch der Amateur, der mit seiner Kamera die Trends der Straßenmode einfängt. Verglichen mit Online-Modeplattformen wirkt aber selbst ein erfolgreiches Streetstyle-Blog wie The Sartorialist noch ziemlich abgehoben. Um auf so einer Seite zu landen, muss man immerhin das Glück haben, einem Blogger vor die Linse zu laufen und sein Interesse zu wecken. Jeder ein kleines Topmodel – das kann man auch selbst inszenieren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Den virtuellen Laufsteg findet heute jeder auf Plattformen wie Ilikemystyle oder Stylediary. In der Foto-Community Flickr gibt es die gut besuchte Gruppe Wardrobe Remix. Knapp 11.000 Mitglieder präsentieren sich dort gegenseitig tagtäglich, was für Klamotten sie anhaben. Für sie ist „Wardrobe Remix“ wie Tagebuchschreiben unter der Überschrift „Was ich heute getragen habe“. Gezeigt werden liebevoll gestellte Fotos, die mit der Digitalkamera in der eigenen Wohnung aufgenommen wurden, etwa vor dem Spiegel, auf dem Bett, im Flur oder im Bad. Manchmal sieht man das Gesicht nicht, weil es so verpixelt ist oder die Kamera es überdeckt, oft setzen sich die Modeliebhaber aber auch erstaunlich kunstvoll in privaten Foto-Shootings in Szene. Sorgfältig wird außerdem dokumentiert, von welchem Designer eine Jacke ist, ob der Schal selbstgestrickt ist. Ob die Schuhe bei Zara oder auf dem Flohmarkt gekauft wurden und wie viel was gekostet hat, wird alles aufgeschrieben. Es klingt platt, aber: Anziehen ist quasi das neue Ausziehen. Posen auf Flickr oder Ilikemystyle stellt für viele ein tägliches Ritual dar und ein Tick exhibitionistische Egopflege ist bestimmt mit im Spiel, dienen Stil-Tagebücher doch unter anderem dazu, die eigene Schokoladenseite selbstwertdienlich für jeden zur Schau zu stellen. Ähnlich wie auf Beautifulpeople.com oder Hotornot.com gibt es bei Wardrobe Remix und Ilikemystyle Abstimmungen über die besonders gelungene Outfits bewertet und beklatscht werden. Aber Mode-Communities funktionieren nicht nur als Forum zur kreativen Selbstinszenierung. Man trifft sich dort auch, um Ideen auszutauschen, sich inspirieren zu lassen und mithilfe von anderen an seinem Stil herumzuexperimenterieren. Vor allem finden Gleichgesinnte aus der ganzen Welt zusammen: Den einheitlichen globalen Stilcode und Kommentare wie „Great Dress! Is this Henrik Vibskov?“ versteht jeder Modeinteressierte, egal ob aus Helsinki, San Francisco, Hongkong oder Tel Aviv. Der in diesen Tagen erscheinende Fotoband What I Wore Today: Fashion Remixed Online from Beijing to Berlin beschäftigt sich mit genau diesem Thema. Die Autoren werfen auch die Frage auf, ob diese Form von Selbstdarstellung verkürzt ausgedrückt nicht einfach ein weiterer Auswuchs von Web 2.0-Narzissmus ist. Das kann man nicht bestreiten, aber eigentlich geht es bei Seiten wie „Wardrobe Remix“ doch nur um eine Antwort auf die ewige Frage: Was ziehe ich heute bloß an? Nächste Woche: F wie Flohmarkt

Text: xifan-yang - Illustration: Katharina Bitzl

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