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Das ModeABC. Heute: N wie Neutrum

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Wenn es um Kleidung geht, gibt es einige Beschwerden, die man immer wieder hört: Pfft, die ist groß und dünn, kein Wunder, dass die alles tragen kann, zum Beispiel, oder wenn man nur Geld hätte, wäre es nicht besonders schwer gut angezogen zu sein. Wenn dabei noch zufällig ein männliches Wesen das Wort erhebt, lautet ein besonders beliebtes Lamenti: Ja, als Frau, da hat man es einfach, mit soviel Auswahl; Rock, Hose, Rockhose, wir haben nur die Hose, und selbst Shorts gehen schon nicht, wie sieht denn das aus (behaartes Knie). Wir haben im Sommer nur die ausgebeulten Cargohosen in beige und khaki. Männermode, so heißt es, muss funktional und bequem sein; meine Klamotten sollen mich vor widrigen Witterungsbedingungen und böser Außenwelt schützen. Und wenn Examensfeier, Vorstellungsgespräch oder die Hochzeit meiner älteren Cousine stattfindet, zieh ich den guten Anzug, mein Rittergerüst an, in ihm überstehe ich unangenehme Fragen und Verwandte dritten Grades. Frauenmode, so lautet eine Theorie, ist allein der Eitelkeit des weiblichen Geschlechts und dem Auge der Männerwelt gegenüber verpflichtet. Und wenn sie Grenzen kennt, dann nur jene des guten Geschmacks.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kann man so nicht sagen. Als angezogenes Mädchen findet man sich heute ständig in einem Dilemma wieder: Trägt man ein kurzes Kleid und Absätze, gaffen die einen; ebenso oft wird man aber als tussige Schickse abgestempelt. Ist einem nach Jackett und Turnschuhen, schreitet man zwar gepanzert und flotten Fußes über den Asphalt. Es wird einem jedoch gleich (meist von Typen) ein schweres äußerliches Weiblichkeitsdefizit bescheinigt. Wie man sich also auch von traditionellem Rollendenken befreit, sofort werden einem neue Rollenkostüme herangetragen, in die man schlüpfen soll: Sei ein bisschen mädchenhaft! Sei ein bisschen sexy! Sei romantisch und verspielt! Nein, sei androgyn, zeige deine maskuline Seite! Leih dir das Hemd von deinem Freund aus! Zieh eine Krawatte an, aber sieh dabei nicht so aus wie Avril Lavigne! Ich will mich nicht beschweren, ein Mann möchte man ja trotzdem nicht sein. Ich kenne einen Jungen, der sich besser mit Schnitten, Jungdesignern und Schlussverkaufterminen auskennt als jedes Mädchen und deshalb ständig unter Beweis stellen muss, dass er heterosexuell ist. Dabei vergisst man, dass nicht vor allzu langer Zeit, also noch vor wenigen Jahrhunderten, die Männer unter aufgedonnert gar nicht aus dem Haus gingen. Think Perücke, Culotte (enge Kniehose) oder Nebelspalter (Hut aus dem 18. Jh). Auch bei jeder Tiergattung geht es anders zu. Da zieht immer das Weibchen optisch den Kürzeren, während Männchen auf Federschmuck und hübschem Fellmuster stolz sein kann. In Japan wird kaum einer ausgelacht, wenn er Frauenklamotten trägt. Im Gegenteil, dort ist ein bisschen Crossdressing gang und gäbe und der Anblick eines Mannes, der sich durch die Kleiderständer in der Damenabteilung wühlt, keine Seltenheit. Ein japanischer Bekannter von mir begründet es damit, dass die traditionellen Kimonos sowohl für den Mann als auch für die Frau sich in Design nur wenig voneinander unterscheiden und von jeher mehr verhüllen als entblößen. Wahrscheinlich wächst deshalb meine Begeisterung für japanische Mode: Auf dem Laufsteg von Yohji Yamamoto (und auch in den Straßen Tokios) sieht man Frauen und Männer unter wallenden Gewändern aus unendlichen Stoffschichten. Sie sind gefaltet und drapiert, geknotet, zerschreddert und wasweißichalles, in den zeitlosen Nichtfarben schwarz, weiß und grau. Man sieht keine Brustritzen, keine Arschritzen, alles ist Skulptur und Fantasie. Sie erinnern an extraterrestrische Fabelwesen aus einem entfernten Sonnensystem. Geschlechtslose Fabelwesen. Find ich gut, bald geh ich als Neutrum.

Text: xifan-yang - Illustration: Katharina Bitzl

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