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Das ModeABC. Heute: Ugly is the new Pretty

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Hässlich ist, was Hass hervorruft, sagt uns die deutsche Sprache. Und kaum irgendwo sind Hässlichkeit und der Hass so große Themen, wie in Gesprächen um Klamotten und ihre Träger. In der gegenwärtigen Mode ist das Unansehnliche ja allenorten vorzufinden. Schlägt man irgendein Magazin auf, oder schaut sich nur mal auf der Straße um, verschlägt es einem vor grotesker Ugliness schier den Atem, so dass man gar nicht damit hinterher kommt, oft genug „What the Fuck?!“ zu ächzen. Ist eigentlich schon irgendwem aufgefallen, dass dicke Augenbrauen, besser gesagt, massive Augenbalken, ein Comeback feiern werden? Oder die haarigen Jacken, in denen man je nach Lesart wie ein Gorilla oder ein beliebiges Super Furry Animal aus der Sesamstraße aussieht? Generell: Die Fransenpest? Oder die Renaissance des 90er-Mülltonnenlooks, welcher als Grunge deklariert wird? Und das Beste daran: Es gibt tatsächlich Leute, die ungestraft damit herumlaufen. Prominenteste Verfechterin der Grässlichkeit ist momentan Ex-Moloko-Sängerin und Gesamtkunstwerk Róisín Murphy, die gern in Star-Trek-Gewändern garniert mit Pickelhauben gleichendem Kopfschmuck über rote Teppiche flaniert. Und dabei eine unmögliche und zugleich grandiose Figur macht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als „Paradox der Hässlichkeit“ wird dieses Phänomen in der Philosophie beschrieben. Obwohl das Hässliche zunächst als Gegenteil von Schönheit gilt, kann auch das Hässliche gerade durch seine verstörenden und abstoßenden Eigenschaften seinen ästhetischen Reiz entfalten – wohingegen das absolute Maß der Schönheit seit jeher der Mittelmaß, der langweilige Durchschnitt ist. „Das Schöne hat nur ein Gesicht, das Hässliche tausend“, sagte Victor Hugo und Schriftsteller Umberto Eco, der ein ganzes Buch zu dem Sujet schrieb, meint ebenfalls: „Hässlichkeit ist unvorhersehbar und schöpft sich aus unendlichen Möglichkeiten.“ In die Mode übersetzt hieße dies, dass es keine Kunst ist, sich hübsch wie eine Praline herzurichten. Verzwickter ist es allerdings, gerade mit Kleidung, die dem herkömmlichen Empfinden von Schönheit widerstrebt, zu überzeugen. Daher ist Hässlichkeit eine der großen Triebfedern der Mode, oder, anders ausgedrückt: Nicht das zeitlos Schöne, sondern die vergängliche Hässlichkeit ist die raison d´être der Mode überhaupt. Das könnte somit als Erklärung dafür herhalten, wieso Modeopfer es sich nicht nehmen lassen, vermeintliche Modesünden vergangener Jahrzehnte mit Hurra noch mal aufs Neue zu begehen (so geschehen bei zwei Drittel aller Klamotten aus den 80ern). Nach dem Ekelschema setzt sich schließlich ein Großteil aller Trends durch. Was wir heute nicht mal geschenkt in unseren Kleiderschrank, geschweige denn an unseren Körper lassen würden, finden wir nach häufigerer Betrachtung zunehmend interessant – bis wir irgendwann Gefallen daran finden. In den letzten Jahren hat sich die ästhetische Ratlosigkeit noch zugespitzt. Noch nie war die Halbwertszeit von Kleidung so kurz wie heute. Weil es nach den 90ern logischerweise nichts mehr zum Revivaln gibt, werden heute eben alle Modedekaden auf einmal zitiert. Das bedeutet auch: Noch nie war die Auswahl so groß, noch nie widerlegte Mode ihre eigene Gegenwart so vehement wie jetzt, wo alles, sowohl Minimalismus und dekadenter Kitsch, als auch Futurismus und Retronostalgie gleichzeitig Trend ist. Das lässt unter anderem eine Schlussfolgerung zu: Schön gibt es nicht mehr. Nur noch „the Good, the Bad and the Ugly“ in allen möglichen Erscheinungsformen. Mehr Mut zur Hässlichkeit!

Text: xifan-yang - Illustration: Katharina Bitzl

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