Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Nachtwache im Hostel 3: Stress während der WM

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Vier Monate war ich nun schon Nachtwächter in diesem Hostel. Das hinterließ natürlich Spuren: Der Zigaretten und Kaffeekonsum war im selben Maße angestiegen, wie mein Schlafdefizit. Noch dazu hatte ich die meisten Schichten mit meinem Lieblingskollegen Ö., der seinen Job ernster nahm, als jeder Fahrkartenkontrolleur. Einige verstörte Kinder, die eigentlich nur auf die Toilette wollten, nahm der Chef der Nacht in seinen festen Würgegriff. Noch mehr Frauen überraschte er in Unterwäsche in ihren Zimmern, weil er dachte, verdächtige Geräusche vernommen zu haben. Ich immer hinterher trottend und entschuldigend grinsend Sätze wie „Noch ein Wort und ich polier dir die Fresse“ ins Englische übersetzend. Doch es kam noch schlimmer. Ö. wollte seine Crew, die bislang nur aus mir und meinem Mitbewohner bestand verstärken. Denn wir waren ja studentische Waschlappen, die noch viel lernen mussten. Sein erster neuer Mann blieb nicht lange, weil er ständig betrunken war und mit seinem Kampfhund durch die Gänge taumelte. "Überall Stress!" Doch er zauberte bald den nächsten harten Knochen aus dem Hut: J. J. hatte einen Blick, der in alle Richtungen ging, nur nicht an sein Gegenüber und eine breite Zahnlücke, die er sich während seinen angeblichen Zeiten in einer Erpressergang zugezogen hatte. J. amüsierte sich öfters mal, wenn ich die Zeitung aufschlug: „Warum liest du diesen Zeitung? Die Welt ist eh bald tot. Weißt du warum? Weil wir euch Christen Krieg geben.“ In solchen Augenblicken nahm man am besten einen besonders tiefen Schluck Kaffee. Und während solchen Augenblicken wahr man heilfroh, dass die meisten Gäste kein Deutsch sprechen konnten. Dann kam die Fußball-Weltmeisterschaft. Zwei Wochen lang ein komplett ausgebuchtes Hostel: Amerikaner, Australier, Engländer, Südamerikaner und wer auch sonst immer einen Grund hatte, zwei Wochen lang einen sportlich bedingten Ausnahmezustand mitzufeiern. Es ging gut los: Am Abend meiner ersten Schicht spielte Deutschland gegen Polen. Schon am Eingang des Hostels bemerkte ich, dass der Ausnahmezustand nicht auf der Straße stattfinden sollte, sondern genau hier. Während meines Jobs. Eine riesige Traube von Australiern belagerte die Lobby, trank Fosters aus der Dose und sang „Aussie, Aussie, Aussieeeee!“ Ich bahnte mir meinen Weg durch das australische Bollwerk und wusste aber eigentlich nicht, was ich machen sollte. „Hey Dude. You're working here?“ Tat ich ja leider. „Munich is awesome, dude. Germany in general!“ Bevor ich irgendeine Höflichkeitsfloskel loswerden konnte, stand plötzlich J. zischen mir und dem angetrunkenen Australiern. „Ralph. Was laberst du? Die Hütte brennt. Geh, mach’ Runde! Überall Stress!“. Mir war nicht ganz klar, warum ich um diese Uhrzeit durch das Hostel gehen sollte. Es war natürlich überall laut. Das ganze Gebäude war bis oben hin voll mit Fußballfans. Allerdings war in der Bar bestimmt mittlerweile ein Fernseher, auf dem ich das Spiel anschauen konnte. Also nix wie nach oben und vor den Fernseher. J drückte mir noch ein Walkie-Talkie in die Hand. Es hätte bestimmt bessere Orte gegeben, um dieses Spiel zu sehen, aber ich war froh, überhaupt irgendetwas davon mitzubekommen. Die Bar war vollgestopft mit unterschiedlichen Gästen. Neben mir standen einige Jungs, die sich mexikanische Flaggen um die Lenden gewickelt hatten. Auch viele Leute mit Deutschland-Outfit kommentierten das Geschehen auf dem viel zu kleinen Fernseher. Plötzlich stand Ö, neben mir. „Die Deutschen spielen gar nicht so schlecht heute. Trotzdem soll Polen gewinnen“. Ich wusste, dass es sinnlos war mit Ö, über Fußball zu reden. Über das Walkie-Talkie knarzte die Stimme von J. Ich verstand kein Wort und wollte das auch nicht. Doch Ö. hatte leider bessere Ohren. „Komm Ralph. Stress in drittem Stockwerk“. Ich versuchte noch einen letzten Blick auf den Fernseher zu erhaschen. Dann wetzte ich auch schon Ö. durch die verwinkelten Gänge hinterher. Im dritten Stock trafen wir auf J.. „Zu laut hier“, meinte er und friemelte schon die Mastercard in den Türöffner. Im Zimmer saß ein völlig betrunkener Südamerikaner in Shorts, der irgendwelche Weisen auf seiner Akkustischen jaulte. „Du singst zu laut“, bellte ihm J entgegen. „Ich nehme dir gleich die Gitarre weg“ setzte Ö nach. Der Gast verstand sofort, grinste und nahm eine tiefen Schluck aus seinem Bier. J. riss ihm das Bier aus der Hand. „Kein Alkohol auf Zimmer. Checkst du das?“ Zurück in die Lobby im Erdgeschoss. Die war voll bis zum Anschlag. Die letzten Minuten und es stand immer noch 0:0 in der 89. Minute. Ich begann, mit einem Australier über das Spiel zu diskutieren. Er glaubte, dass sowieso Australien Weltmeister werden würde. Allerdings schloss er auch Deutschland nicht ganz aus. Ich stieß mit ihm an. Er mit Bier ich mit einer Pepsi.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Schnell, Ralph.“ Ö. packte mich an der Schulter und zerrte mich vor die Tür. „Da sind Leute auf Balkon, die reden und schmeißen Flaschen runter.“ Ich rollte genervt mit den Augen. „Noch die Nachspielzeit. Ich muss jetzt wissen, wie das Spiel ausgeht.“ Ö schaute mich konsterniert an und seine Wangenknochen bebten wieder. Das war nie ein gutes Zeichen. „Spinnst du Oida? Du nimmst den Beruf nicht ernst. Hier ist Stress. Checkst du das nicht?“ Es war WM, es war Sommer, die Leute wollten Spaß, die Leute wollten sich betrinken und feiern. Plötzlich brüllten die Leute im Hostel auf. Ich rannte sofort zurück in die Lobby. Deutschland hatte gerade das 1:0 geschossen. Der Australier von vorhin legte mir den Arm um den Hals und bot mir einen Schluck Bier aus seiner Dose an. Ich nahm einen Schluck. Ö. trat neben mich und blickte mich finster an. Dann sah er zum Fernseher. „Schönes Tor“, sagte er dann noch. Und: „Kein Alkohol während der Arbeit“. Ich dachte, ich hätte dem Mann jetzt endlich klar gemacht, wie so ein Job laufen sollte. Ich unterhielt mich angeregt mit den unterschiedlichen Gästen. Meistens natürlich über Fußball. Es war eine großartige Stimmung in der Lobby. Dann lernte ich auch noch irgendein Mädel aus Schweden kennen. Ich erzählte ihr ein paar Schwänke aus meinem Schweden-Urlaub drei Jahre zuvor. Dann knackte wieder das unsägliche Walkie-Talkie. „...schnell!....vierter Stock....Schlägerei“. Beim Finale der Weltmeisterschaft hatte ich wieder Schicht. Wenigstens war Deutschland nicht im Finale.

Text: ralph-glander - Foto: dpa

  • teilen
  • schließen