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Gräber überall

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Wer in diesen Tagen in seiner Stadt ungewohnte Gräber auf Grünflächen oder am Straßenrand entdeckt, begegnet den Auswüchsen der Berliner Protestaktion „Die Toten kommen“. Am Sonntag, 21. Juni, rief das "Zentrum für politische Schönheit" in Berlin zu einem Protestmarsch auf, dessen Ziel die Wiese vor dem Bundestag sein sollte. Dort wurden von den mehr als tausend Teilnehmern der Aktion hunderte Gräber ausgehoben. Es entstand ein riesiger Friedhof in Gedenken an Flüchtlinge, die ums Leben gekommen sind - ein Zeichen des Protests gegen die Flüchtlingspolitik der EU. Die intendierte Aussage der Aktion: Die Toten des Mittelmeers sind nicht mehr länger nur abstrakte Ziffern, sie werden immer sichtbarer. Sie rücken in unser Leben und wir dürfen sie nicht weiter ignorieren.

Nun kann man darüber streiten, wie angebracht es ist, sich Stimmen und Körper bereits Verstorbener zu eigen zu machen. Wie angebracht es überhaupt ist, eine solch komplizierte, vielschichtige und bereits vieldiskutierte Problematik wie die Flüchtlingspolitik der EU zu einem so eindimensionalen und dramatischen Happening zu machen.

Sicher ist: Die Aktion findet großen Anklang und zahlreiche Nachahmer in ganz Deutschland. Ein tumblr-Blog namens unknownrefugees.tumblr.com sammelt jetzt Fotos der Gräber. Es sind viele. Einige bestehen nur aus einem aufgestellten Holzkreuz, andere sind beinahe professionell dekoriert, aufwendig mit Pflastersteinen umzäunt und von unzähligen Kerzen gesäumt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Das "Grab" eines "unbekannten Flüchtlings" in Dresden

Das ist natürlich eindrucksvoll, erst recht in der Bilderflut, die man auf dem Blog bestaunen kann: Anscheinend gibt es eine ganze Menge Menschen, die einen so diffusen Handlungs- und Protestbedarf gegen die herrschenden Zustände empfinden, dass sie sich über jede greifbare, übersichtliche Option freuen, diesem Unwohlsein Luft zu machen. Und sei es in Form eines selbstgebauten Grabes am Straßenrand. Bleibt die Frage, was ein solches am Ende wirklich bewirkt. Oder ob es nicht als kurzlebige Urban-Gardening-Meme aus dem Juni 2015 in die Geschichte der folgenlosen Protestversuche der sogenannten Generation Y eingeht.



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