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Tweets aus dem Grab

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"When your heart stops beating, you'll keep tweeting", verspricht die neue Twitter-App „LivesOn“. Wenn es uns also einmal nicht mehr geben sollte, übernimmt dieser Dienst für uns das Twittern, genauso wie wir es gemacht hätten. Niemand muss je wieder auf unsere witzigen, schlauen und lehrreichen Tweets verzichten – und wir werden auf eine gewisse Art unsterblich. Das klingt doch großartig, oder nicht?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Künstliche Intelligenz nennt man den Zaubertrick, der hinter der App stecken soll. Während wir noch selbst twittern, analysiert das Programm von „LivesOn“ unsere Tweets und nutzt Algorithmen um zu lernen, wie wir uns auf Twitter und im Internet verhalten, wie wir schreiben, wem wir folgen und was wir mögen. Einmal angemeldet kann man angeblich schon vorab testen, wie nah die generierten Tweets an den eigenen liegen. Der automatisch gesteuerte Account wird dann eingefroren, bis er nach unserem Tod das Kommando übernimmt und uns für unsere Follower in jeweils 140 Zeichen am Leben erhält. Allerdings bestimmt jeder bei der Anmeldung einen "Exekutor" der letztendlich bestimmt ob und wie lange der Tote twittern darf. "LivesOn", soll im nächsten Monat starten, doch schon jetzt ist er umstritten.

Wer will eigentlich die Tweets eines Toten lesen? Ist das nicht makaber? Dürfen wir tote Verwandte „entfolgen“, wenn uns ihre Nachrichten nerven, oder ist das pietätlos? „LivesOn“ wirft so einige moralische und philosophische Fragen auf. Dave Bedwood, „Creative Partner“ der Londoner Werbeagentur „Lean Mean Fighting Machine“, die die App entwickelt haben soll, sagte in einem Artikel in „The Guardian“, schon bevor die Menschen über die ethische Bedeutung nachdenken, seien sie unterschiedlicher Meinung - rein vom sponaten Gefühl her. Manchen wären eben begeistert von „LivesOn“ und andere entsetzt. Aber Menschen könnten darin einen Weg finden, weiter zu leben. Bedwood meint: „Kryonik (das Einfrieren von Körpern oder einzelnen Organen – meist dem Gehirn – für die Zukunft) kostet ein Vermögen; das hier ist kostenlos und ich wette, es wird besser funktionieren als ein gefrorener Kopf“.

Möglicherweise sind diese Sorgen aber auch völlig unbegründet, denn einen Beweis dafür, dass diese App wirklich existiert, gibt es noch nicht. Der Autor Sal Cangeloso, der auf geek.com über „LivesOn“ schrieb, ist überzeugt, dass es sich nur um einen PR-Gag handelt. Alleine, dass eine Werbeagentur dafür verantwortlich sei, sage schon alles. Das Ganze „könnte einen nicht wirklich guten Film promoten“. Die britischen Zeitungen „Daily Mail“ und „The Guardian“ aber stellten die Glaubwürdigkeit nicht in Frage. Die Autoren verglichen den neuen Dienst mit einer ähnlichen Anwendung: „DeadSocial“.

http://vimeo.com/59514189

Auch mit diesem Programm kann man Nachrichten und Posts an seine Hinterbliebenen schreiben, auf Facebook, Twitter oder Linkedin – nur dass der Tote, bevor er zu diesem wird, die Texte, Fotos oder Videos selbst schreiben und produzieren muss. Die Nachrichten werden dann einfach auf den richtigen Tag vordatiert. So können Opas bald ihrem Enkel auf Facebook auch noch zum 50 Geburtstag gratulieren, Ehefrauen ihrem Mann „Ich liebe dich“ sagen, wenn sie bereits tot sind, aber auch Typen ihre Exfreundinnen stalken und mit ständigen Nachrichten aus dem Jenseits kontinuierlich in den Wahnsinn treiben. Allerdings befindet sich auch „DeadSocial“ noch in der Betaphase.

Der Gruselfaktor ist also enorm hoch, auch wenn die Idee des ewigen digitalen Lebens und der Erinnerung an Verstorbene im ersten Moment schön klingt. Die Direktorin eines Medienpsychologie-Zentrums warnt vor solchen Möglichkeiten, denn wer tot ist, kann schließlich weder fürs Stalken noch für sonst etwas zur Rechenschaft gezogen werden. „Und wenn wir in Zukunft auf sozialen Netzwerken von digitalen Geistern heimgesucht werden, würdest du dich dann immer noch einloggen?“

Digitale Geister, unsterbliche Accounts und Tweets von Toten? Das klingt schon wirklich sehr nach Science-Fiktion-Gruselfilm. Im März wird sich zeigen, ob es diese Apps für Tote wirklich gibt. Aber, dass alleine die Möglichkeit so viele Fragen aufwirft, zeigt, dass im Bereich Tod und Social Media noch viele nicht geklärt ist.

Text: teresa-fries - Illustration: katharina-bitzl

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