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"Wenn du fett wirst, werde ich angepisst sein!"

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Auf der Website Munchies schreibt eine Autorin über ihren Selbstversuch mit der App "Carrot Hunger", die allen, die abnehmen wollen, ordentlich Druck machen soll, dass sie es auch wirklich tun. Seine Benutzer begrüßt die App mit den Worten: "Wenn du fett wirst, werde ich angepisst sein!"

Man trägt Größe und Gewicht ein, gibt an, wie viel man in welchem Zeitraum abnehmen will und dann notiert man jede Mahlzeit, die man zu sich nimmt, samt Uhrzeit und Mengenangabe. Überschreiten die täglichen Mahlzeiten und Snacks die verordnete Kalorienanzahl, wird die App sauer. Sie schaltet sich in den "Angry Mode", droht mit Werbungsanzeigen auf dem Bildschirm, beschimpft einen, ("You're going to wish you were never born" oder "Du hast dich nicht unter Kontrolle und solltest dich schlecht fühlen!") und bietet an, überflüssige Mahlzeiten durch das Zahlen von einem Dollar wieder aus dem Protokoll zu löschen. Die Autorin des Selbstversuchs resümiert, dass sie die App lustig findet, auch wenn sie gemein ist. Sie zitiert aber auch eine Studie, die feststellt, dass Beleidigungen bezüglich der Figur eines Menschen, diesen Mensch nicht zum Abnehmen bewegen, sondern im Gegenteil dazu, noch mehr zu essen - aus Frust. Besonders sinnvoll sei die App daher wahrscheinlich nicht. Und dann schließt die Autorin mit dem Satz: "Um ehrlich zu sein, ist es aber immer noch um einiges leichter, von einem Cartoon auf deinem Handy ,Fleischhaufen’ genannt zu werden, als von deinem Tinder-Date."

Hinter den Worten der Autorin schimmert alles in allem eine ziemlich merkwürdige bis schwammige bis dämliche Haltung durch. Wenn man Text und App ernst nimmt, bleibt man etwas ratlos zurück vor soviel Unreflektiertheit. Interessant ist aber: Betrachtet man die App als subversives Kunstprojekt, als Parodie ihrer selbst und damit als Werkzeug, uns unseren kranken Schönheitsideale und unsere Selbstgeißelungs-Kultur vor Augen zu führen, ist sie ziemlich gelungen. Zumal diese Features wie das "Angebot" sich eine Mahlzeit, die man gegessen hat, aus dem Protokoll wieder rauskaufen zu können, ja so irr und beknackt sind, dass man sie gar nicht ernst nehmen kann - sie parodieren die eigenen Milchmädchenrechnungen, mit denen man die eigenen vermeintlichen Alltagssünden so oft rechtfertigt.

Aber leider wird diese App eben nicht als Kunstprojekt verkauft. Sondern als lustiges Werkzeug für latent essgestörte Hipster. Und damit bleibt sie, was sie ist: Die traurige Diagnose einer wahnsinnigen Gesellschaft.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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