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Thomas Brussig in Kairo (2)

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Für zweieinhalb Tage durfte ich mich vom Stadtschreiber in den gemeinen Touri verwandeln – eine Tour zur Weißen und zur Schwarzen Wüste stand an. Die Bustickets für die fünfstündige Fahrt zur Oase Bahariya kosteten 21 Ägyptische Pfund, das sind 3 Euro pro Person. „Das ist kein Geld“, sagte ich zu Kirstin. Als ich den Bus sah, der uns fahren sollte, sagte ich: „Das ist aber auch kein Bus.“ (Das gleiche läßt sich über Taxipreise/Taxis sagen.)

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Oase unterschied sich kaum von der Wüste; sie wirkte wie eine Stadt, die in der Wüste gebaut wurde. Nur an wenigen Stellen, u.a. im „Hot Spring Hotel“ ist die Oase so üppig bewachsen, wie man es sich als ahnungsloser Mitteleuropäer immer vorgestellt hat. (Später erzählte uns Peter Wirth, der Betreiber des „Hot Spring Hotel“, daß der Oase im Jahr 1953 das Wasser ausging und seitdem das Wasser aus 1000 m Tiefe geholt wird. Bis 1953 kam es für Jahrtausende aus nur acht Metern.) Die eigentliche Wüstentour startete im „Hot Spring Hotel“, mit einem Jeep, den Hamuda, ein Beduine, steuerte. Wir erreichten die Weiße Wüste etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang, ließen uns von Hamuda ein Abendessen überm Feuerchen bereiten und legten uns schlafen. (Da ich die Nacht vorher durchgemacht hatte, schlief ich auch sofort ein.) Kirstin schlief unter freiem Himmel, ich Feigling, Weichei etc, pp. (kurz: ich Dichter) legte mich ins Zelt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Weiße Wüste ist ein Naturwunder, von dem ich noch nie etwas gehört hatte: Kalkfelsen, die aus dem Wüstensand ragen und im Laufe von Jahrtausenden (oder warens Jahrmillionen?) unglaubliche Formen angenommen haben: Es gibt ein Kamel, eine Henne, ein Gesicht, eine Höhle, einen Atompilz und diverse sonstige Pilze... Die Fotos, die wir geschossen haben, wirken wie Alaska-Bilder. Gerade in Vollmondnächten ist die weiße Wüste atemberaubend schön. Die weißen Felsen strahlen blau – ähnlich dem Schwarzlichteffekt in Diskotheken – so daß die Landschaft wirkt wie die Kulissen einer Wilson-Inszenierung... Ich könnte noch lange darüber schreiben, was ich über die Vollmondnächte in der Weißen Wüste gehört und gelesen habe, denn wir haben uns für unsere Tour ausgerechnet die Nacht vor Neumond ausgesucht. Und da ist auch in der Weißen Wüste die Nacht schwarz wie die Nacht. Außerdem wars kalt. Übers Verdursten und Ertrinken habe ich letztens schon was geschrieben, unter Berücksichtigung des Erfrierens behaupte ich mal: In der Wüste sind nur wenige verdurstet, schon manche ertrunken, aber viele erfroren. Der nächste Morgen war sehr, sehr schön. Zehn Minuten vor Sonnenaufgang weckte uns Hamuda, machte wieder ein Feuerchen – während wir die Pracht bestaunten und knipsten, bis das Akku schlapp machte. Kirstin genoß die klare Luft; Kontrastprogramm zu Kairo. Nach dem Frühstück gings wüstensafarimäßig durch die Landschaft, die, wie schon gesagt, ein Naturwunder ist. Wo es eine Weiße Wüste gibt, ist die Schwarze Wüste nicht fern. Die sahen wir auch noch. Diesmal war Lavagestein für die Färbung der Landschaft zuständig. Dann gabs noch einen „Christian Mountain“, an dem wir nichts Christliches entdecken konnten. Gewiß, er war eine Attraktion, weil überall, wo das Gestein geplatzt war, kristallene Strukturen zutagetraten… Ach so, der Berg heißt Crystal Mountain.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das wahre Abenteuer war natürlich nicht die Wüstensafari, sondern die Busfahrt, und zwar sowohl die Hin- als auch die Rückfahrt. So einen Busbahnhof in einer Fünfzehn-bis-achtzehnmillionenstadt zu finden, ist nicht leicht, und ob es dann der richtige ist, erfährst du erst, wenn du wirklich da bist. Auf der Rückfahrt musst du damit rechnen, daß dir an einer beliebigen Ecke der 15-bis-18-Millionen-Stadt erklärt wird, die Busfahrt endet hier. Gäbe es nicht die hilfsbereiten Ägypter, kämst du dir vor wie ein Entführungsopfer unmittelbar nach seiner Freilassung an unbekanntem Ort. Zur Fahrt selbst: Wenn an den Bussen ungefähr nichts mehr funktionierte – die Lautsprecheranlage machte es noch. Es vergingen auf der Hinfahrt vier lange Stunden, in denen uns der Busfahrer die Chance gab, seine Musik zu mögen. Wir nutzten sie nicht. (Wir, das waren außer uns zwei Deutschen auch Japaner, Koreaner, Australier und US-Amerikaner.) In der letzten Stunde, kaum war die Musik verstummt, beschäftigte sich der hinter mir sitzende ägyptische Fahrgast mit seinem Handy – er probierte sämtliche Klingeltöne durch. (Ich nehme zu seinen Gunsten an, daß er ein Gedankenleser war und uns, nachdem wir in den Niederungen der arabischen Musik gelitten hatten, die Scheußlichkeiten westlicher Musik gleichsam spiegelbildlich unter die Nase rieb, so daß unsere Verwünschungen in Richtung Orient UND Okzident gingen.) Dies ist ein Auszug des Tagebuchs von Thomas Brussig, der zur Zeit als Stadtschreiber in Kairo gastiert. Anlass ist die Ägyptische Buchmesse, auf der dieses Jahr Deutschland als Gastland repräsentieren darf. Die kompletten Tagebücher von Thomas Brussig kann man auf der Webseite des Goethe-Instituts lesen, über das er uns die Auszüge freundlicherweise zur Verfügung stellt.

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