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Der Mann mit dem Sträußchen

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16 Kameramänner tragen ihre Objektive durch die Joseph-von-Fraunhofer-Halle in Straubing und suchen gemeinsam mit den zugehörigen Reportern nach Menschen, die ihre Meinung zur FDP in die Republik funken wollen. In der Mitte des Saales steht zum Beispiel ein ZDF-Mann. Er schaut ein bisschen aus wie Oliver Welke aus der Witzesendung. Nun hat er einen der sehr zahlreichen Senioren vor sich. Er hält dem Mann mit dem schönen weißen Haar ein orangenes Mikrofon unter die Nase, rückt mit seinem Welke-Gesicht ganz nah an das Seniorengesicht. Der Mann mit dem Weißhaar weicht ein bisschen zurück. Dann geht auch der Reporter mit seinem Gesicht wieder auf Distanz. Dafür flipt die linke, die freie Reporterhand durch die Luft. Sie geht mal hoch und mal tief, wahrscheinlich illustriert sie die Umfrageergebnisse der FDP, er will den Senior ein bisschen weichquatschen, damit er was Schönes sagt. Dann scheint der Seniorenmann was zu sagen. Jedenfalls sieht man den ZDF-Mann aus der Ferne nun still nicken. Geht doch. Auch wenn es ein bisschen zäh geht. Guido Westerwelle soll kommen. Das ist der Mann, der in Deutschland „anstrengungslosen Wohlstand“ und „spätrömische Dekadenz“ entdeckt hat. Das ist der Mann, der jetzt zwar Außenminister ist, der aber mit einer Kanzlerin regiert, die manchmal so sozial wie die SPD ist. Das ist der Typ, den heute nur noch die Hälfte der Menschen wählen würden, die noch im September für ihn und die von ihm geführte Partei stimmten. Ein armer Mann, eigentlich. Blau-Gelbe Fahnen hängen von der Galerie und verkünden „FDP“. Blaues Licht bescheint die Wände und gibt der Messehallenatmosphäre ein bisschen was von einem Aquarium. Mädchen in Trachten schieben Spezi und Wasser und Bier auf metallenen Kantinenwagen zwischen den Tischen hindurch. Es ist fast 10 Uhr und immer mehr Menschen drängen herein. Die Partei ist aufgeregt. Zwei junge Liberale beraten, ob und wie man sich verteilen solle, um in der Menge zu klatschen. Einer zieht ein Absperrband von einem Seiteneingang hin zu den Tischen. Das ist ein schönes Signal, weil es bedeutet: da kommt wer. Dann geht die Tür auf und ein bayerischer Wirtschaftsminister, eine bayerische Generalsekretärin, eine deutsche Justizministerin und der arme Mann rauschen zwischen den Tischen hindurch. Die Menschen freuen sich, nun geht es los. Vielleicht gibt Guido Westerwelle ja noch mehr Anlass, für die Hauptnachrichtensendungen noch mehr Hartz IV-Empfänger zu besuchen. Vielleicht reagiert er auf die neuen Umfrageergebnisse von diesem Morgen (von diesem Morgen!), die die FDP bei sieben Prozent sehen. Vielleicht springt er im ideologischen Wahn auf das neoliberale Gaspedal und übersieht endgültig, dass es da doch eine Finanzkrise gab und dass es doch das schlimme Klimaproblem gibt, weswegen man den Neoliberalismus ja eigentlich schon beim Sondermüll wähnt. Aber langsam. Erst die Vorspeisen. Miriam Gruß ist die eloquente Generalsekretärin der bayerischen FDP und macht was Lustiges. Sie mault nicht gegen die Opposition sondern gegen die Partei, mit der sie in Bayern an der Regierung ist. Ihr Zeugnis sieht so aus: Horst Seehofer von der CSU ist ein Fähnchen im Wind. Markus Söder von der CSU benimmt sich wie ein „verkanntes Genie“ und außerdem sei der CDU die CSU doch offensichtlich ziemlich peinlich. Es gibt also ganz viel zu rechtfertigen bei den Gelben, die mit den Schwarzen nicht mehr so einwandfrei zusammenzupassen scheinen, wie das mal der Fall war. Fürs Meckern über die Opposition bleibt da kaum noch Zeit. Dann noch zwei, drei Vorredner. Dann Guido Westerwelle, alle Kameras auf Aufnahme. Er gehört zu den Politikern mit den schönsten Gesten am Rednerpult. Er steht superfrei da und liest superselten ab. Seine Sätze formuliert er eigentlich immer wie Anklagen. Das unterscheidet ihn wahrscheinlich von Leuten wie Horst Seehofer oder Gerhard Schröder, die sich das Herrische auf die Zunge haben tätowieren lassen. Westerwelle kann das Coolsein noch nicht, was nach mindestens 75 Jahren Opposition vielleicht auch kein Wunder ist. Aber das ist ja nicht der ganze Westerwelle. Er hat ja Hände und mit denen ist er ganz viel im operativen Geschäft tätig. Die Sträußchen-Geste zum Beispiel sollte er sich patentieren lassen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sie ist eine Mischung aus Faust und Zeigefinger, sie ist ein bisschen defensiv und ein bisschen offensiv. Ein bisschen simuliert sie die Übergabe einer selbstgepflückten Wiesenblume. Wahrscheinlich ist sie ein Angebot. Und sie ist nicht die einzige Geste, die man während seiner Aschermittwochsperformance beobachten kann. Hier eine Auswahl:

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Natürlich hat er auch was gesagt. „Ich bleibe dabei: Leistung muss sich lohnen.“ Die Leute klatschen, weil es im aktuellen Zusammenhang irgendwie kontrovers klingt und weil es die vermeintliche Fortführung einer Debatte ist. Horst Seehofer sagt aber zur selben Zeit in Passau dasselbe: Leistung muss sich lohnen. Das Neue in Straubing ist: Guido sagt das, was er von einer Woche sehr scharf ausgedrückt hat nun in ganz weichen Worten. Er sagt es in sehr bekannten und uralten FDP-Worten. Er interpretiert sich also selbst neu. Und das, das freut die Menschen in Straubing irgendwie. Zwischendrin geht es in der Ansprache um normale FDP-Sachen. Um die Mittelschicht und um Brasilien zum Beispiel. Da war Guido Westerwelle neulich und da ist ein riesiger Teil der Bevölkerung unter 15 Jahre alt. Deshalb sei es an der Zeit, mal nach Brasilien zu sehen, weil da viel Zukunft aufwächst. Sagt Westerwelle. Und schließlich geht es um Noten in der Schule. Herr Westerwelle findet Noten gut und findet es schlecht, Kinder nicht benoten zu wollen, wie es in Hamburg gerade passiert. „Wenn man dem Kind das Frusterlebnis nach einer schlechten Note nimmt, nimmt man ihm auch das Erfolgserlebnis nach einer guten Note, wenn es sich angestrengt hat.“ Es geht also auch wieder um Leistung. All das ist so ungewöhnlich wie Schnee im Winter und man muss sagen: Guido Westerwelle ist eigentlich ganz normal. Die Zuhörer freut das. Sie scheinen erleichtert, so wie er seine Kritik aus der vergangenen Woche umformuliert. Sie finden ihn jetzt eigentlich ganz super. Am Ende sind sie sogar aufgestanden für ihn. Eine Frau sagt, dass sie Westerwelle mit der Bildungspolitik recht gibt. „Wer nichts Gescheites lernt, aus dem wird doch auch nichts“, sagt sie. Das ist nicht neu, aber jetzt ist es schon wieder von Westerwelle, und dem hören die Menschen gerade ganz genau zu. Vielleicht ist das ja so: Wer einmal provoziert, dem lauscht man gern. Die Menschen klatschen laut, die Kameramänner schalten ihre Lichter an und fragen die Menschen, was sie zur FDP zu sagen haben. Jetzt fällt ihnen ganz viel ein.

Text: peter-wagner - Fotos: dpa, rtr, ap

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