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Die Kahnfront: Kölner Künstler stehen zur Nummer eins

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Seit Mittwoch steht fest: Jens Lehmann, der einzige verbliebene Deutsche in der Endrunde der Champions League, zieht mit Arsenal London ins Halbfinale ein. In den Spielen gegen Juventus Turin und Real Madrid konnte er sich zwar nicht als alles überragender Superkeeper präsentieren, behielt aber zumindest die Nerven und patzte nicht. Über Oliver Kahn hingegen hört man gerade wenig Gutes: Er sei an einem Tiefpunkt angekommen. Am Wochenende die Fehler im Spiel gegen Köln, anschließend fragte die Bildzeitung: „Schmeißt er jetzt sogar ALLES hin?“ und berichtet von einem Nationaltorwart, der auf dem Stadionparkplatz sein eigenes Auto nicht findet. Es sieht so aus, als müsste sich Klinsmann im Torhüterwettstreit gegen den Münchner und für Lehmann entscheiden. Unterstützung für Kahn kommt jetzt allerdings aus einer Stadt, von der man nicht erwartet hätte: aus Köln. Hier haben zwei Künstler die Kampagne „Die 1 muss stehen“ ins Leben gerufen. Cornel Wachter und Timo Belger sind sich sicher: Bei der WM kann nur einer im deutschen Tor stehen - Oliver Kahn. Zur Präsentation ihrer Kampagne hatten sie am Donnertag in die „erste Kölner Weissbierbrauerei“ eingeladen, eine Schankkneipe nähe Barbarossaplatz, die bayrische Lebensart ins Kölschexil bringen soll. Laut Presseankündigung soll es auch „Münchner Weißwürscht“ und „Halve Hahn“ geben, folkloristisches Cross-Over-Food sozusagen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Motiv der Kahn-Kampagne. Gibts auch auf fairgehandelten T-Shirts. Kurz vor dem Pressetermin findet man Cornel Wachter noch mit der Bohrmaschine in der Hand, bereit das Logotransparent endlich aufzuhängen. Der Kölner Künstler sieht ein wenig aus wie Detlev Buck, bloß in Hosenträgern. Spricht man ihn auf aktuelle Schlagzeile in der Bildzeitung an und stellte die Frage, ob man denn jemanden ins deutsche Tor stellen könne, der sein eigenes Auto nicht findet, bekommt man die Antwort: „Ich würde den ins Torstellen, der die Bildzeitung nicht findet.“ Dann holt der Mann weit aus und es wird deutlich, dass es für die Kölner hier um mehr geht als nur um banale Sportlichkeiten: Die Leute wollen einen der beiden leiden, stolpern, bluten sehen und das bedient die Kampagne der Bild. „Andere sehen, denen es noch dreckiger geht, das ist das ganze Programm, seit Kohl Sat1 zu seinem Lieblingsfernsehen gemacht hat und den Markt für die Privatsender geöffnet hat.“ Man wollte mit der Kampagne nicht ins Museum gehen, deswegen präsentiert man sich jetzt in der Weissbierbrauerei der Presse, die die Botschaft weitertragen soll, und stellt ein anderes Medium in den Mittelpunkt: Das T-Shirt mit dem Logo der Kampagne. Was Wachter wichtig ist: „Die Kunst steht alleine damit, keiner traut sich sonst etwas zu sagen. Ich habe fünfzehn Prominente gestern angerufen, Fußballer, Golfspieler, Moderatoren: Keiner wollte hier herkommen und zu Kahn stehen. Die sagen alle: Ich leg mich jetzt nicht fest, wenn sich in ein paar Wochen rausstellen kann, dass ich mich irre. Aber wir sagen es: Der Mann gehört einfach in das Tor.“ Warum sind sich die Kölner aber so sicher, dass es Kahn sein muss? „Es gibt ein Gefühl und es gibt eine Meinung, wissen kann das ja keiner“, gibt sich Timo Belger moderat, der laut Handzettelbiographie im gleichen Krankenhaus geboren ist wie Jürgen Klinsmann. Aber: „Der Olli ist nun mal einer, der mit seiner Erfahrung die junge Mannschaft rauspeitschen kann, die da hinten drin steht. Das kann nur ein Kahn machen, der vielleicht ein Stück weit auch zum Animalischen mutieren muss.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Kahn-Kampagnieros: Fortuna-Köln-Fan Cornel Wachter, seine Künstler-Kollege Timo Belger und Peter Schardt Die Meinung über den Deutschen im Kader von Arsenal ist also klar: Champions League hin oder her, was ist wenn Lehmann plötzlich mit der Wackelabwehr der Nationalelf dasteht?. Und Wachter wiederholt mehrmals: „Kahn ist ein Jugendidol!“ An diesem Punkt setzt auch das zweite Thema der Kampagne an, die ernste Seite, wenn man so will. „Mit den Nettoerlösen wollen wir in Köln, in Berlin und in München Obdachloseninitiativen unterstützen. Und wir möchten jungen Leuten auch nach der WM mit der Kampagne noch einen Anlass geben zu sagen: Ich stehe wie eine 1, auch wenn ich die 50. Bewerbung geschrieben haben.“ Aber man wolle nicht jungen Menschen aus Deutschland helfen mit dem Verkauf von Shirts, die vielleicht von asiatischen Kindern genäht wurden. Die beiden Künstler ziehen die Verbindung von sozial und ökologisch verträglichen Produkten zum Fußball und ereifern sich über die wenigen fair gehandelten Fußbälle, die bisher im Einsatz sind. Deswegen steht auch ein Bekenntnis zum ethischen Konsum im Mittelpunkt: „Soweit uns bekannt, sind wir die einzige Kampagne mit Blick auf die WM in unserem Land, die ökologisch produziert, sozialverträglich hergestellt und Kunst ist,“ kann man auf den Informationsblättern lesen. Ebenso steht da die Erklärung: „Die Kampagne hat die schriftliche Erlaubnis von Oliver Kahn.“ Hatte man Angst vor einer Klage, sich also „die Klatsche zu holen“ wie Wachter es sagt? „Nein, das ist einfach eine Sache der Höflichkeit. Diese Geschichte spielt ja mit seinem Primatenimage, sie konterkariert das. Wir wollten aber auch nicht, dass Oliver Kahn so ein Ding sieht, und auf einmal einen Rappel kriegt.“ Aber als man anfragte, gab sich Kahns Managerin erstaunlich humorvoll: Der Olli sei doch schon hinweg über das Thema, der geht spaßig damit um, der isst die Bannen selbst, die ihm zugeworfen werden. Kahn selbst soll nur gelacht haben, dann gab er sein Einverständnis. „Er sei gebauchpinselt, dass Kölner Künstler sich mit mir auseinander setzen, hieß es. Der ist gar nicht so blöd der Typ.“ Anfang Mai will Jürgen Klinsmann verkünden, wer denn nun Nummer 1 ist im Tor, schrieb die Bildzeitung am Mittwoch ebenfalls. Bleibt abzuwarten, ob die Kahnfront, die sich über alle Städterivalitäten hinwegsetzt, geholfen hat.

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