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Im Zug mit Bret

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„Ich lüge nicht mehr“, sagt Bret Easton Ellis. Früher habe er immer Geschichten erfinden müssen, wenn er mit Journalisten sprach, weil ihm langweilig war. Er trug Anzüge und wollte intellektuell wirken. Das sei jetzt vorbei, sagt er. Er trägt einen schwarzen Adidas-Sweater, Jogginghose, Poloshirt, darunter sprießen Brusthaare, die über die Knopfleiste hinauswachsen. Bret Easton Ellis steht auf, grüßt freundlich, lächelt, lässt sich wieder zurück in den erste Klasse-Sessel fallen und wartet erstmal ab. Seine Deutschlandtour ist fast zu Ende und er ist leicht erkältet. „Ich habe große Angst davor, jetzt noch richtig krank zu werden“, sagt er, und: Die Leute dächten ja immer, dass er anders sei, weil sie den Autor und die Figuren verwechseln, die er schuf. Seine Pressebegleiterin, Claudia Cosmo, fragt, wie lange er das Gespräch führen möchte. „So lange es geht, von mir aus bis Leipzig“, bietet Easton Ellis an. Dann schließt Frau Cosmo die Tür des kleinen Abteils, um für sich und den Autor Suppe zu holen. Easton Ellis möchte vielleicht über Furcht und über Abgründe reden: „Das heißt, einerseits will ich das, andererseits habe ich große Angst davor“, sagt er. Er hat ständig Furcht, weil er Glück nicht genießen kann, weil er immer damit rechnet, dass es bald schon wieder vorbei sein wird. So wie damals, als er sich auf die Urlaube mit der Familie gefreut hat und der Vater letztlich alles durch Suff und Launen und Zorn kaputt gemacht hat. Da tun sich auch schon die Abgründe des Bret Easton Ellis auf: Er ist eben der Sohn dieses Vaters und - auch wenn er sonst freundlich und offen ist - beim Schreiben kramt er in der eigenen Dunkelheit. Als er American Psycho schrieb, war es der Zorn auf seinen Vater, der ihn Patrick Bateman erschaffen ließ. Als er an Lunar Park arbeitete, hatte sich dieser Zorn in Traurigkeit verwandelt. Das Buch hat ihm Spaß gemacht, sagt er. Er konnte spielen und ausprobieren. Aus den Monstern in den früheren Romanen, den gefühlskalten Jugendlichen, den Frauen- und Pennermördern und Terroristen, hat die Traurigkeit ein austickendes Stofftier, den Terby, werden lassen. Würstchensuppe und grüne Augen Claudia Cosmo bringt Suppe mit Würstchen aus dem ICE-Bordrestaurant und verlässt sofort wieder das Abteil, kurz stört eine Durchsage über Lautsprecher. Easton Ellis schaut nach, ob das Aufnahmegerät noch läuft, dann erzählt er weiter: Er schreibe seine Bücher zunächst immer für sich selbst, für seine Stimmungen. Und er schreibe immer direkt am Leben: „Ich habe nicht gerade viele Ideen für Geschichten“, sagt er. Easton Ellis ist keiner, der auch noch Kritiken oder Essays für Zeitschriften schreibt. Nur die Lesungen, die braucht er, um den Verkauf seiner Bücher zu fördern. Momentan stellt er sich die Frage, was die Protagonisten aus seinem Debüt Unter Null machen, das er zum 20. Geburtstag des Buchs, im vergangenen Jahr, wieder gelesen hat. „Ich habe Angst vor dem Thema“, sagt er, „aber es beschäftigt mich“: Was ist los mit den Leuten aus Unter Null, mit Blair und Clay und den anderen, was ist aus ihnen geworden?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Easton Ellis isst seine Suppe und seine grünen Augen schauen neugierig, er zeigt seinen I-Pod, sagt, er sei gerade damit beschäftigt gewesen, alle R-Bands zu hören, die ihm sein Tourmanager draufgeladen hat. Er ist müde, gestern hatte er in München gelesen, war danach noch ausgegangen. Aber die Zeit der langen Partys ist vorbei. „Meine erste Welttour zu Glamorama hat mich fast umgebracht. Ich war 15 Monate unterwegs“, sagt er. Dieses Mal war es ihm wichtig, die Lesereise möglichst kurz zu halten, auch wenn es bedeutet, dass der Terminplan straff organisiert ist. Er kann es sich kaum erlauben, die Nächte nach den Lesungen durchzufeiern. „Aber in Berlin ist es dann doch wieder passiert. Ich war in einem Club, fand die Stadt und alles sehr trendy, und dann habe ich auf der Männertoilette gekokst. Keine Ahnung warum“. Am nächsten Abend musste er in Hamburg lesen und fühlte sich elend. Seine Pressefrau, flüstert er, sagt, er solle so etwas nicht erzählen: „Aber das ist mir egal. Was ich erzähle, darf auch so geschrieben werden. Was keiner wissen soll, erzähle ich auch nicht.“ Ein schlafloser Fan und ein überwältigter Autor Dann erzählt er davon, wie ihn die Resonanz auf seine Bücher überwältigt. In Manchester gab es einen Jungen, der sein Exemplar von Lunar Park signiert haben wollte. Easton Ellis gab fast vier Stunden Autogramme, der Junge stand weit hinten in der Schlange, er wusste, dass er seinen Zug verpassen würde. Davon erzählte er dem Autor und der war fassungslos: „Da schreibst du ein Buch und bist damit ganz allein und auf der Reise erst merkst du, was dieses Buch bewirken kann. Ich meine, dieser Junge kam aus einem Dorf in England und verbrachte die Nacht in den Straßen Manchesters, nur weil er es von mir signiert haben wollte. So etwas überwältigt mich“, sagt Easton Ellis. Er hat weinen müssen und auch jetzt, im Zug, muss er sich bemühen, die Fassung zu bewahren. Ein bisschen hilflos schaut er: „Warum erzähle ich das eigentlich.“ Manchester, Deutschland, das alte Europa - bisher hat er nur wenig davon gesehen, weil er immer wenn er hier war, arbeiten musste. Draußen ziehen Schneeberge im Osten Deutschlands und kleine Häusergruppen vorbei. „Was tun die Menschen hier nur? Was arbeiten sie?“, fragt er. Bestimmt müssten viele wegziehen, um Jobs zu finden. Für die Recherche zu Glamorama war er in Frankreich und in Italien. Nach Venedig und an den Comer See will er jetzt, nach Tourende. „Ich habe da einen sehr reichen Freund, der ein Haus am See hat“, sagt er. Den will er besuchen. Vielleicht findet da ja auch die Hochzeit zwischen Brad Pitt und Angelina Jolie statt. Er lächelt und fragt, ob darüber in den Medien schon berichtet werde. Er hat während der Tour kaum fern gesehen. „Naja, vielleicht bin ich ja nur völlig zufällig dort“, sagt er. Er schaut aus frech grinsenden Augen, wie ein Kind, das spielt. Man fragt sich, wer er nun ist: Der Bret Easton Ellis aus dem Zug, der lachte, als er von Lunar Park und dem Terby-Stofftier erzählte, der fast weinte wegen der Resonanz auf seine Bücher, der höflich und zuvorkommend ist und in Italien einen netten Freund besucht. Oder der Bret Easton Ellis, der die Champagner- und Chanel-Welt mit seinen Büchern demontierte und gerade durch diese Bücher zu einem Teil davon wurde und der nach seiner Welttour brav dorthin zurückkehren wird. Ins Haus George Clooneys, mit Brad und Angelina und all den anderen. Vielleicht ist er einfach beides. Oder nichts davon. Oder er lügt auch nur schon wieder. Bilder: AP

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