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Importdemonstrant für Schwulenrechte

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Mikolaj (grünes Poloshirt) auf der "Parade der Gleichheit" in Warschau Mit zehn Berliner Freunden sitze ich nach einer durchtanzten Nacht morgens um sieben im Berlin-Warszawa Express und schaue hinaus auf die vorbeiziehende Landschaft. Vor fast auf den Tag genau achtzehn Jahren fuhr ich die gleiche Strecke – nur in die andere Richtung. Es war das Jahr 1988, ich war zehn Jahre alt und war auf der Flucht aus dem kommunistischen Polen in den „goldenen Westen“. Seit der Gründung der ersten freien Gewerkschaft „Solidarnosc“ in Polen und der Verhängung des Kriegszustands 1981 waren meine Eltern im Untergrund aktiv. Sie kämpften für Menschenrechte, Demokratie und Meinungsfreiheit. Als kleiner Junge war ich oft mit dabei, wenn sie für diese Ziele auf die Straßen von Warschau gingen. Die Bilder der tränengaswerfenden Milizen mit ihren Maschinengewehren im Anschlag haben sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. Irgendwann wurde der Druck zu groß, meine Eltern beschlossen zu fliehen und so wurde West Berlin zu unserer neuen Heimat. Heute, fast zwanzig Jahre später, gehe ich wieder in Warschau auf die Strasse. Seit 1988 hat Polen sich sehr verändert: Der kommunistische Staat existiert nicht mehr und das Land ist seit zwei Jahren Mitglied der Europäischen Union. Und auch ich habe mich verändert: Aus dem kleinen polnischen Jungen ist ein deutscher, ein europäischer Staatsbürger geworden, der nicht hinnehmen will, dass in seinem Geburtsland heute wieder grundlegende Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Dafür haben meine Eltern nicht gekämpft Seit einigen Monaten ist in Polen eine Regierung an der Macht, für die alles Fremde und Andersartige eine Bedrohung darstellt. Unterstützt von Teilen der katholischen Kirche versucht diese rechtsnationale Regierung mit aller Macht in der polnischen Gesellschaft eine „moralische Wende“ zu vollziehen: Sie wettern gegen die EU, gegen nationale Minderheiten und eben auch gegen Schwule und Lesben. Das ist nicht das Polen, für das meine Eltern damals gekämpft haben. Regierungspolitiker bezeichnen Homosexualität als Perversion und Krankheit, weigern sich, offen schwulen Menschen die Hand zu schütteln und den Teilnehmern der Gleichheitsparade haben sie mit Prügeln gedroht. Bei manchen Polen kommt das gut an. Vor allem ältere Menschen sind in Polen oft latent homophob. Obwohl ich im fernen Deutschland lebe, habe mich noch nicht getraut, mich gegenüber meinen Großeltern in Warschau zu outen. Aber es war mir wichtig, in diesem Jahr vor Ort zu sein. Wenn man wie ich seit Jahren in der „schwulen Seifenblase“ Berlin lebt, kann man sehr schnell vergessen, dass die Welt da draußen händchenhaltende Männer und sich umarmende Frauen nicht immer als Bereicherung empfindet. Wenn zum Berliner Christopher-Street-Day alljährlich knapp eine Million Menschen zusammenkommen, dann steht inzwischen der Spaßfaktor im Vordergrund. Es ist gut, dass Deutschland soweit ist, es ist aber nicht gut, dass 80 Kilometer weiter, hinter der Oder, die Welt ganz anders aussieht. Sprüche wie „Schwule ins Gas!“ gehören hier zum Standard-Repertoire der radikalen Schwulen-Gegner, von denen auch bei der Parade in Warschau wieder ein paar hundert am Rand standen. Ich merkte, dass ich mich für Polen nicht schämen muss Aber glücklicherweise haben sie die Atmosphäre nicht dominiert. Als ich mit etwa 5000 friedlich demonstrierenden Menschen wenige Meter von meinem Geburtshaus entfernt vorbeizog und das Meer fröhlicher Gesichter, die vielen Regenbogen- und Europafahnen und die aus den umliegenden Fenstern winkenden älteren Damen sah, wusste ich, dass ich mich nicht für Polen schämen muss. Mir ist klar geworden, dass auch Polen den Anschluss an das moderne, weltoffene Europa finden wird und in wenigen Jahren das Leben der polnischen Schwulen und Lesben aussehen wird wie meins in Berlin oder das meiner Freunde in Paris, London oder Madrid. Vielleicht werden eines Tages auch meine Großeltern mit auf die Parade kommen? Meine Eltern sind schon jetzt sehr stolz auf mich, meine Freunde und alle Warschauer die mit uns demonstriert haben. Sie wissen jetzt, dass sie damals nicht umsonst gekämpft haben. Auch Oliver Brandt fuhr zur "Parade der Gleichheit" nach Warschau. Er hat keine polnischen Vorfahren. Wie ist es wenn man in ein fremdes Land fährt, nur um dort zu demonstrieren? Olis Bericht findest du hier Wie lebt es sich als Schwuler in Warschau? Am Freitag gibt es zu diesem Thema ein Interview mit Szymon Niemiec, dem Organisator der "Gleichheitsparade" in Warschau.

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