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Warschau und die Wahl: ein Besuch im Nachbarland bei Nacht

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Vor zwei Jahren war ich das erste Mal in Warschau, die längste Nacht an diesem Wochenende verbrachte im „Luztro“, einem Elektroclub, der am Wochenende rund um die Uhr geöffnet ist. Eine polnische Freundin schlepppte mich dort hin, weil sie mir eine andere Seite von Warschau zeigen wollte. Hier, so erklärte sie mir sei alles friedlich. Friedlich im Gegensatz zu den rechtsradikalen Gegendemonstranten beim Warschauer CSD, die wir tagsüber gesehen hatten. Maria schwärmte von der „Elektroszene“ in der Stadt. Sie erzählte, dass Drogen total billig seien. Das stimmt, in Warschau kostet Ectasy soviel wie zwei Bier und knallt schneller. „Auf Drogen sind alle ganz entspannt, hier macht auch jeder mal mit jedem rum. Homophobie gibt es hier nicht.“ Das klingt nach einem einfachen Weg zum Weltfrieden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jetzt zwei Jahre später war ich wieder in Warschau, wieder im „Luztro“. Der Club liegt zentral, nur ein paar Minuten vom Bahnhof entfernt, nicht weit von der Kunstpalme, die in der Mitte des Kreisverkehrs steht. Der Veränderung Polens zu einem weltoffenem Land, das bereit ist Vielfalt nicht als Bedrohung wahrzunehmen, könnte es wie der Palme ergehen. Eine Künstlerin importierte sie aus Israel, es gab Proteste, die Warschauer waren empört, doch mit den Jahren haben sie sich daran gewöhnt. Im Club angekommen erwarten mich nur wenige Nachtschwärmer auf der Tanzfläche, ich bin offensichtlich zu früh. Es ist drei Uhr morgens, langsam trudeln die ersten Gäste ein, bewegen sich zum Rhythmus der Musik. Vor dem Club stehen ein paar Bierbänke, auf denen sich eine Gruppe Jungs, alle Anfang zwanzig, fläzt. Mirko fällt mir sofort auf, er sieht aus wie ein kleiner Welpe. Er trägt Jeans, ein rotes T-Shirt und Kopfhörer um den Hals. Kein Wunder, dass er schnell erzählt, er sei auch als DJ in Warschau unterwegs. Seine Freunde necken ihn, weil er seit einer Woche versucht ohne Drogen das Nachtleben zu genießen, und sie nicht glauben, dass er es schafft. Wir plaudern, irgendwann kommen wir auch Politik zu sprechen, auf die Kaczynskis, die konservativen Brüder, die das Bild Polens im Ausland prägen. Ich will wissen, wie Mirko und seine Freunde in den Clubs über Politik denken und ob sie sich überhaupt dafür interessiert. Ich hatte erwarte, auf eine No-Future-Generation zu treffen, die sich mit Drogen betäubt und keinen Bock mehr auf die lächerlichen Zwillinge hat. Sascha, einer von Mirkos Kumpeln, hat eine Meinung, auch wenn er schon nicht mehr ganz nüchtern ist. Er will, dass die Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ die Wahl verliert, er will, dass Polen weltoffen wird. Und vor allem will er, dass er als Schwuler nicht weiter als „Pädophiler“ beschimpft wird. Er will offen leben. Der 23-Jährige referiert über die polnischen Parteien: die Grünen sind zu schwach, die Liberalen genauso konservativ wie die Kaczynski-Partei und die Sozialdemokraten bringen zwar gesellschaftlichen Fortschritt, seien aber für viele durch ihre kommunistische Vergangenheit noch belastet. Noch während ich mich frage, ob es eine gute Idee war um diese Uhrzeit über Politik zu sprechen, erzählt Sascha weiter. Er habe eigentlich keine Hoffnung, dass sich Polen so schnell entwickeln werde. Aber er wünscht es sich trotzdem. Die Beats dröhnen bis auf die Straße, das „Luztro“ füllt sich.. Die Jungs fangen an zu diskutieren. Ein paar aus der Clique sind genervt, sie wollen rein, die Musik spüren, Spaß haben und nicht immer wieder über Politik reden. „Das ändert doch alles nichts, es wird alles bleiben wie es ist.“, meint einer auf dem Weg nach drinnen. Aber Mirko hat Lust zu reden, er erzählt mir abwechselnd von Politik, seiner ersten Freundin, der ersten großen Liebe, Drogen und dem leeren Gefühl nach seinen One-Night-Stands. Wir sprechen deutsch, mit den anderen rede ich Englisch, sie sprechen zwischendurch Polnisch. Wir übersetzen reihum, aber es funktioniert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mirko verteidigt Lech Kaczynski gegen seine Freunde. Ich will wissen, ob er ihn auch wählen würde. Mirko überrascht mich. „Ich habe ihn vor zwei Jahren gewählt und ich werde es jetzt wieder tun“, wieder lachen seine Freunde und schütteln den Kopf. Ich merke, dass Mirko es Ernst meint. Er ist 21 Jahre, zu jung um den Kommunismus erlebt zu haben. Doch er meint: „Wir brauchen Kaczynski, um den letzten Rest-Kommunismus aus diesem Land zu treiben.“ Es dürfe nicht jeder das Gleiche bekommen, das müsse aufhören. Wie kann es sein, dass ein junger Mann aus der Stadt mit schwulen Freunden im Schlepptau homophobe Populisten wählt? Mirko meint, es sei ein Klischee, „Lech Kaczynski hat nichts gegen Schwule“. Seine Freunde lachen wieder. Ich scheine die einzige zu sein, die das alles nicht fassen kann. Ich dachte, dass sich Warschaus Jugend die Politik schön trinkt und im Drogenrausch vergisst. Aber schönreden reicht offensichtlich auch.

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