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Die Pärchenkolumne. Heute: Getrennt verreisen.

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Michèle sagt: Dominic und ich machen Pause. Ab nächsten Samstag wird er zwei Wochen lang in England in einem Jugendcamp Kinder reicher Eltern bespaßen. Geld bekommt er dafür auch, deswegen nennt er es Arbeit. Ich nenne es tolldreist Urlaub, weil er dort nicht zum ersten Mal hinfährt und ich mich noch gut an die Urlaubs-/Arbeitsfotos vom vorletzten Jahr erinnere. Da sehe ich Dominic in einem Pool mit einem sehr geräumigen Grinsen im Gesicht und weit und breit keine Kinder, dafür aber viele andere lustige Betreuer. Ein bisschen knatschig macht mich das schon. Immerhin können wir aufgrund Dominics konsequenten Geldmangels dieses Jahr nicht in den Urlaub fahren und ich werde somit die nächsten zwei Wochen über meiner grässlichen Seminararbeit brüten, während er sich in Mittelengland einen feinen Lenz macht. Weil es aber nichts bringt zu grollen, habe ich mir vorgenommen, die Zeit effektiv zu nutzen. Ist Dominic nämlich nicht da, kann ich endlich mal all die Dinge machen, die während seiner Anwesendheit auf der Strecke bleiben. Die 2 x 1,40 m meines Bettes gehören jetzt komplett mir und ich kann sie morgens um 9 Uhr verlassen, ohne dass Dominic grummelt, es sei viel zu früh, um aufzustehen. Außerdem liegt hier immer noch die neue P.J. Harvey DVD rum, die ich mir jetzt so oft ansehen kann wie ich will, ohne dass Dominic das „zu anstrengend“ findet und lieber Bob Ross schauen möchte. Aber das wichtigste Highlight ist der Besuch meiner Freundin Anja. Zwangsläufig bleiben Freundschaften ja immer auf der Strecke, sobald man einen Freund hat. Deswegen kommt Anja gleich ein komplettes Wochenende von Würzburg hier her und wir machen freundfreien Mädchenkram – und mit Mädchenkram meine ich nicht, dass wir uns gegenseitig die Nägel lackieren, fünfmal Notting Hill schauen und unbändig Eiscreme in uns reinstopfen, sondern Sachen, die eben nur ohne Freund funktionieren. Wenn Anja zu Besuch kommt, hat sie immer eine unnormal große Anzahl kurioser Ereignisse im Schlepptau, die man nur mit ihr erleben kann. Mittels großer Mengen Gin Tonic haben wir zusammen schon Weihnachtsbäume geklaut, Nachtclubs erpokert, unerlaubterweise in Aufenthaltsräumen schwedischer Jugendherbergen genächtigt, mit Steakmessern Bäume in Finnland gefällt und mit der Fußballnationalmannschaft von Ghana Freundschaft geschlossen. Überhaupt ist Anja ein Anziehungspunkt für B- bis C-Prominenz. Kaum läuft man mit ihr in irgendeinen, nach dem Zufallsprinzip ausgesuchten Club irgendwo auf der Welt ein, schon muss man sich mit Pelle Almqvist, Moneybrother oder den Strokes betrinken. Kurzum: Dominic würde da nur stören. Der soll sich mal ruhig mit britischen Kanisterköpfen rumschlagen, Anja und ich werden hier auf ein paar Tischen tanzen und mein Sturmfrei ordentlich nutzen. Wenn ich dann trotzdem anfangen sollte, ihn zu vermissen, ziehe ich vielleicht doch Eiscreme und Notting Hill in Erwägung . Aber nur ganz vielleicht. michele-loetzner

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dominic sagt: Michèle und ich sehen uns bis auf wenige Ausnahmen fast täglich. Durch so viel Reibung entsteht natürlich Wärme, aber leider auch ein wenig Abrieb. Um dem massiv entgegenzuwirken, gehe ich deswegen für zwei Wochen zum Arbeiten nach England. Natürlich gefällt Michèle es nicht, dass wir dieses Jahr keinen gemeinsamen Urlaub verbringen, dabei müsste sie es nur von der positiven Seite betrachten: In etwas mehr als 14 Tagen bekommt sie einen entspannten, gut gebräunten und sportlichen Freund zurück, der ihr tolle neue 99p-Singles mitbringt und bereit zu neuen Schandtaten ist. Nicht zu vergessen die Bezahlung, aus der ja vielleicht doch noch ein gemeinsamer Urlaub werden könnte. „Wer's glaubt“, meckert Michèle, solange ich noch da bin. Wäre ich nicht, wie gesagt, zum Arbeiten dort, es wäre beinahe ein bezahlter Urlaub. Ich leite ein Feriensprachcamp, organisiere Freizeitaktivitäten und Stadtausflüge, feile mit den englischen Kollegen nebenbei an meinem Cockney-Akzent. Kinderbespaßung ist ein angenehmer Job. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Zeitplan ist zwar recht straff von morgens um acht bis nachts um zwölf, dafür muss ich mich nicht um Marginalien wie putzen, waschen und einkaufen kümmern. Gut finde ich auch, dass Michèle praktisch Urlaub von mir hat. Sie hat jetzt Gelegenheit, endlich in Ruhe all die Leute zu treffen, auf die sie meistens keine Lust mehr hat, wenn sie sich mal wieder über mich ärgert. Sie muss nicht tagsüber bei mir anrufen um festzustellen, „Du willst ja überhaupt nicht telefonieren!“ oder morgens vor mir aufstehen um mir dann zu erzählen, was sie schon alles geleistet hat, „Während du schliefst.“ Meine neuen Komplizen heißen in diesem Fall Roaming und Zeitumstellung. Ein klein bisschen schlechtes Gewissen habe ich ja doch, denn für Michèle werden es langweilige 14 Tage sein, in denen sie nichts zu meckern und beanstanden hat. Es wird nicht den geringsten Grund geben, aus dem wir uns in die Haare bekommen: Wenn ich zurück bin, wird aus Michèle der friedlichste Menschenfreund auf Erden geworden sein! Dann können wir gerne zusammen wegfahren.

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